Gastkommentar

Röslers Hindernislauf

Für die Regierung sind vor allem zwei innenpolitische Themen von höchster Brisanz: der desolate Status der Staatsfinanzen und die von der FDP angestrebte Systemumstellung im Gesundheitswesen. Beides hängt zusammen, meint Sozialpolitik-Journalist Walter Kannengießer.

Der Streit über den fälligen Kurswechsel in der Finanzpolitik wird im Mai oder Juni beginnen, wenn der Finanzminister seine Pläne für den Bundeshaushalt 2011 und die Jahre danach präsentiert. Die Weichen für die Neuordnung des Gesundheitswesens dürften nicht vor dem Herbst gestellt werden. Was jetzt für Schlagzeilen sorgt, ist Vorgeplänkel. Politiker wollen Handlungsfähigkeit demonstrieren, die Medien lieben das politische Spektakel. Das verunsichert die Bürger. Finanzminister Schäuble macht seinen Kollegen vor, dass Schweigen vorerst klüger ist als umtriebige Geschwätzigkeit, mit der auch politische Fakten geschaffen werden. Die Regierung ist gerade erst 100 Tage im Amt. Sie übernimmt von der großen Koalition ein schwieriges Erbe, und sie hat die Finanzkrise, die Rezession und deren Folgen zu bewältigen.

Schäuble hat aber nicht nur beim Zeitplan die Nase vorn, denn Gesundheitsminister Rösler wird erst nach den Haushaltsbeschlüssen den finanziellen Spielraum kennen, der für die Systemumstellung von der solidarischen Beitragsfinanzierung zur Kopfpauschale bleibt. Vorsichtshalber spricht er schon jetzt von einem schrittweisen Übergang zum angestrebten Reformmodell.

Das hängt damit zusammen, dass nach Röslers Plänen der unverzichtbare Sozialausgleich nicht mehr über einkommensbezogene Beiträge, sondern über den Bundeshaushalt finanziert werden soll. Die Kosten werden auf 20 bis 40 Milliarden Euro geschätzt. Damit beginnen für Rösler die fast unlösbaren Probleme. Schäuble muss und will sparen. Er wird die Ausgaben für die Krankenversicherung nicht erhöhen können, er wird sie mit Blick auf Schuldenberg und Schuldenbremse kürzen müssen.

Der Bund trägt in diesem Jahr 15,7 Milliarden Euro zur Deckung der Kassenausgaben bei. Da kann nicht weiter draufgesattelt werden. Andererseits laufen die Ausgaben der Kassen den Einnahmen davon. Die Tatsache, dass immer mehr Kassen einen pauschalen Zusatzbeitrag von acht Euro für Versicherte einführen, um Defizite zu begrenzen, bestätigt, dass Rösler mit seinen Plänen – unverschuldet – in der Sackgasse steckt. Er versucht, sich daraus zu befreien. So will er mit Pharma- und Kassenverbänden über Einsparungen sprechen. Kostendämpfungsgesetze will er nicht. Doch scheint Rösler Kostendämpfung durch Verhandeln erreichen zu wollen. Kurzfristig bliebe sonst nur die Möglichkeit der staatlichen Regulierung.

Für Reformen gibt es zwei Ansatzpunkte: die Einnahmen und/oder die Ausgaben der Kassen. Die Politik hat die Grundsatzfrage zu klären, ob die Einnahmen die Höhe der Ausgaben bestimmen oder ob sich die Höhe der Einnahmen nach den Ausgaben richten sollen. Bislang folgten durchweg die Einnahmen den Ausgaben, die auch künftig wegen der Alterung der Gesellschaft und des medizinischen Fortschritts steigen werden.

Bleibt der Anteil der durch eine Kopfpauschale zu deckenden Kosten klein, schafft sie kaum bürokratische und soziale Probleme. Wird sie zum zentralen Finanzierungsinstrument des Systems, müssten selbst durchschnittliche und auch darüber liegende Einkommen in den sozialen Ausgleich über die Steuer einbezogen werden. Das wäre mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden; ein erheblicher Teil der Begünstigten hätte die erhaltenen sozialen Transferleistungen über die Steuer mit zu bezahlen. Schon kursieren Vorschläge, den Sozialausgleich bei Einführung einer höheren Kopfpauschale über eine zweite Ergänzungsabgabe zu finanzieren. Das kann nicht ernst gemeint sein. Die Kopfpauschale wird wohl nur ein ergänzendes Finanzierungsinstrument sein können.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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