Elektronische Gesundheitskarte

Alles auf Anfang

Am 14. Dezember kam Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler mit KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller und Kassenchefin Doris Pfeiffer zusammen, um die nächsten Schritte zur Bestandsaufnahme der elektronischen Gesundheitskarte zu vereinbaren. Ergebnis: Eine Neuausrichtung des Projekts ist unerlässlich – für die Ärzte wie für die Kassen. Allerdings macht das BMG schon wieder Druck: Das weitere Vorgehen soll bis Ende Januar klar sein.

Chaotisch, intransparent, nicht praktikabel, exorbitant teuer – so beschreiben Leistungswie Kostenträger in ihren jeweiligen Eckpunkten zur Neuordnung der Telematikinfrastruktur das Projekt eGK unter Ulla Schmidt. Ein vernichtendes Urteil.

„Die Intention des Gesetzgebers, mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte zur Verbesserung der Patientenversorgung beizutragen, ist nach nunmehr sechsjähriger Projektzeit nicht ansatzweise erreicht“, heißt es beispielsweise in dem gemeinsamen Papier der Spitzenorganisationen von Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Apothekern. Im Gegenteil: Die eigentliche Zielsetzung nach Paragraf 291a SGB V – mehr Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz bei der Behandlung von Patienten – sei im Laufe der Jahre zunehmend aus dem Blick geraten. In der Vergangenheit, so die Kritik, sei es immer mehr darum gegangen, im Interesse der Kassen Kosten einzusparen und verwaltungsvereinfachende Anwendungen auf der eGK zu etablieren – statt einen Mehrwert für Ärzte und Patienten zu schaffen. „Wir brauchen eine Telematikinfrastruktur, die medizinisch ausgerichtet ist“, bilanzieren die Organisationen.

Akzeptanz durch Freiwilligkeit

Durchgefallen sei in dem Zusammenhang auch der bisherige Testansatz: Funktionen wie die Aktualisierung der Versichertenstammdaten, das E-Rezept und die Notfalldaten konnten die betroffenen Ärzte und Apotheker in der vorgelegten Form nicht von dem Vorteil der Telematik überzeugen. Weder für ihren Job noch für die Qualität der Patientenversorgung. Eine Schlussfolgerung, die nicht im Mindesten überrascht. Sahen sich die Ärzte, Apotheker und Patienten doch mit völlig unausgereiften, unpraktikablen Prozessen konfrontiert. Statt die Akteure mitzunehmen und ihre Feedbacks ernst zu nehmen, stieg man aufgrund des Zeitdrucks ohne die angemahnten Verbesserungen in die nächste Stufe ein. Ein Grund, warum die Leistungsträger für den Wirkbetrieb auf das Prinzip der Freiwilligkeit setzen. Wohl wissend, dass die Anwendungen dann fachlich und inhaltlich überzeugen müssen, um akzeptiert zu werden – aufseiten der Leistungsträger wie aufseiten der Patienten. Dabei gilt: Kein Mehraufwand in den Praxen als Folge der elektronischen Umsetzung. Keine Kompromisse dürfe es auch beim Datenschutz und den Versichertenrechten geben, mahnen die Leistungsträger. Wobei auch hier gewährleistet sein müsse, dass die Anwendungen für die Patienten noch zu handeln sind – man denke an die sechsstellige PIN-Eingabe.

Was den schleppenden Verlauf betrifft, liegen die Ursachen jedoch nicht nur im komplizierten High Tech. Gleichermaßen verantwortlich für die Probleme: die Einflussnahme des BMG. Insbesondere der vom Ministerium aufgebaute Zeitdruck habe dazu geführt, dass Konzeption, technische Entwicklung und Testmaßnahmen – ungeordnet und teilweise sogar parallel – aus dem Ruder liefen. Die mangelhafte Einbindung der Betroffenen, sprich der Ärzte, Apotheker und Kassen, habe ein Übriges getan. Auch die gesetzlichen und privaten Kassen rügen das bisherige Prozedere. Parallel zum Positionspapier der Leistungsträger haben auch sie ihre Forderungen formuliert. Wie die Leistungsträger stellen sie darin klar heraus: Nutzen und Akzeptanz der Anwendungen müssen bei ihrer Auswahl, Entwicklung und Einführung im Mittelpunkt stehen. Eine zentrale Rolle spielen auch bei ihnen die Datensicherheit und der Datenschutz im Sinne der Patienten.

Mit „Punkt 8“ des Positionspapiers ist jedoch Schluss mit schubidu: „Die Online-prüfung der Kartengültigkeit und die Online-prüfung und -aktualisierung der Versichertenstammdaten auf der eGK sind für die Leistungsträger bei jedem Patientenkontakt verpflichtend.“ Eine Forderung, die die Zahnärzteschaft definitiv ablehnt. „Ob die Praxis online geht, muss jeder Zahnarzt selbst entscheiden können“, betont der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Günther E. Buchholz. Aus dem Grund haben die Zahnärzte in ihren Verhandlungen zum Basis-Rollout jeden Zusammenhang mit einer späteren Online-Anbindung der Praxen eine Absage erteilt. Ein paar Absätze weiter heißt es in dem Kassenpapier: „Unter Voraussetzung der Erfüllung von Punkt 8 sowie unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Bestandsaufnahme kann der Basis-Rollout fortgeführt werden.“ Buchholz: „Im Kern steht dort, dass die Kassen den Basis-Rollout nur dann wieder aufnehmen wollen, wenn wir Mediziner online gehen. Diese Bedingung widerspricht jedoch diametral den bereits abgeschlossenen Verträgen zur Finanzierung und ist damit rechtlich überhaupt nicht haltbar.“ Die Ausstattung in Nordrhein mit Kartenlesegeräten ist laut Buchholz abgeschlossen, und wann es im übrigen Bundesgebiet losgeht, ist noch unklar. „Auch die Kassen zögern, in Nordrhein erste eGKS auszurollen – zumal diese derzeit noch nicht als Versicherungsnachweis gelten“, verdeutlicht Buchholz (siehe Kasten).

Eine klare Schiene

Wie es nach der Bestandsaufnahme weitergeht? Gefragt sind klare Konzepte, von denen Ärzte und Patienten profitieren. Will heißen: Man implementiert am besten die Notfalldaten und die intersektorale Kommunikation der Leistungserbringer zuerst auf der Karte, weil sie sofort medizinischen Nutzen bringen. „Die Speicherung der Notfalldaten auf der eGK sowie eine sichere Punkt-zu-Punkt-Verbindung der Mediziner untereinander – etwa zur Versendung von Arztbriefen – sind beispielsweise zwei Anwendungen, die einen Mehrwert mit sich bringen können“, konkretisiert Jürgen Herbert, Telematikexperte der BZÄK und Präsident der Landeszahnärztekammer Brandenburg. Das bekräftigt auch Buchholz: „Entscheidend ist, dass das BMG endlich die Chance ergreift, das Projekt „elektronische Gesundheitskarte“ neu auf die Schiene zu setzen.“ Buchholz weiter: „Was auch heißt, dass die Gesellschafter künftig mehr Luft haben müssen, um als Vertreter der Betroffenen die Anwendungen mitzugestalten. Denn eins steht fest: Das BMG, das per Rechtsverordnung über vier Jahre zahlreiche strikte Vorgaben erteilte und dadurch die gematik gängelte, hat das Projekt mit zum Erliegen gebracht.“

Bis Ende Januar sollen laut Rösler die Leistungs- und Kostenträger das geplante Vorgehen beim BMG vorlegen. Danach sollen entsprechende Beschlüsse folgen.

Was dann passiert, hängt also maßgeblich davon ab, ob der Minister – anders als seine Vorgängerin – Anwenderfreundlichkeit, Akzeptanz und Sicherheit über den politisch motivierten Zeitdruck stellt.

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