Der Trick der Pharmabranche

Minister verschaukelt

Das erste Arzneimittel-Spargesetz der schwarz-gelben Koalition droht ein Flop zu werden. Die Pharmabranche nutzt gezielt Lücken im Gesetz, um den drohenden Zwangsrabatt zu umgehen. „Preisschaukel“ nennt sich dieses Instrument, mit dem die Pillenindustrie schon vor Jahren die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zum Narren hielt. Philipp Rösler steuert jetzt gegen.

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Arzneimittel laufen seit Jahren aus dem Ruder. Zwischen 1993 und 2009 haben sie sich von rund 14 auf über 30 Milliarden Euro mehr als verdoppelt (siehe Grafik). Keinem Gesundheitsminister der letzten zwei Dekaden ist es bislang gelungen, diese Ausgabendynamik wirkungsvoll zu bremsen und Philipp Rösler könnte der nächste sein, der es vergeblich versucht. Das unter seiner Verantwortung entwickelte erste Arzneimittelsparpaket der schwarzgelben Koalition ist am 1. August mit dem GKV-Änderungsgesetz in Kraft getreten – und ein Lehrstück darüber, wie trickreich die Pharmabranche staatliche Eingriffe unterläuft.

Dabei hatte der liberale Minister angekündigt, mit seinem Sparpaket die Pharmabranche in ihre Schranken weisen zu wollen. Mithilfe des GKV-Änderungsgesetzes sollten die Kosten für die Krankenkassen sinken und dadurch die Kassenbeiträge stabilisiert werden. Die Bundesregierung rechnet bislang mit Einsparungen von jährlich rund 1,15 Milliarden Euro. Das Gesetz sieht vor allem vor, die Preise von Medikamenten mit von den Krankenkassen bereits festgelegten Erstattungspreisen (Festbetrag) bis Ende 2013 auf dem Stand vom 1. August 2009 einzufrieren. Für Medikamente ohne Festbetrag müssten die Pharmahersteller eigentlich darüber hinaus den gesetzlichen Kassen 16 statt bisher sechs Prozent Abschlag gewähren.

Rückbesonnen

Eigentlich. Denn diverse Pharmaunternehmen haben sich rückbesonnen auf einen Trick, der schon 2006 bei einem Sparpaket der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt funktioniert hatte – die sogenannte Preisschaukel. Kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes hoben die Pillenhersteller damals auf breiter Front die Preise an, nur um sie kurze Zeit später wieder auf das alte Niveau zu senken. Hintergrund: Das Spargesetz von 2006 sah vor, dass Pharmaunternehmen, die freiwillig ihre Preise senkten, vom Zwangsrabatt ausgenommen wurden. Es war allerdings nicht präzisiert worden, dass die Preise tatsächlich real hätten sinken müssen, also ohne die Preisschaukel.

Das aktuelle Rösler-Sparpaket hat nun eine ähnliche Welle von Preisaufschlägen und anschließendensenkungen hervorgerufen. In den Datenbanken der Apotheker sind bei Hunderten Medikamenten zwischen Mitte Juli und dem 1. August Preissprünge zu beobachten. Innerhalb dieser zwei Wochen wurden auf breiter Front die Preise um zehn Prozent erhöht und dann wieder gesenkt.

Offenbar hat die neue Besetzung im Gesundheitsministerium aus der damaligen Panne nichts hinzugelernt. Denn die entsprechende Passage im aktuellen Gesetzestext lautet: „Wenn ein Pharmaunternehmen seine Preise zum 1. August senkt, dann wird ihm dieser Beitrag auf seinen 16-prozentigen Zwangsrabatt angerechnet, maximal mit zehn Prozent.“ Wie schon 2006 fehlt auch im jetzigen Gesetz die Präzisierung, dass beispielsweise Preissenkungen nur angerechnet werden, wenn sie über eine vorherige Anhebung des Preises hinausgehen, dass es sich also um reale Preissenkungen handeln muss.

Panne erkannt

Erst Anfang August hat das Gesundheitsministerium die peinliche Panne erkannt und Nachbesserungen angekündigt. Sollten die Sparbeschlüsse von der Industrie flächendeckend ausgebremst werden, so werde der Gesetzgeber korrigierend eingreifen, heißt es aus dem Hause des Gesundheitsministers. Man werde Preistricksereien der Pharmahersteller mit einer nachträglichen Gesetzesverschärfung kontern und die Bestimmungen des Gesetzes zum 1. Januar 2011 präzisieren, kündigte der parlamentarische Staatssekretär Daniel Bahr (FDP) an. Darüber hinaus prüfe das Gesundheitsministerium bereits, wie durch höhere Abschläge ein möglicherweise entstandener finanzieller Schaden für die gesetzliche Krankenversicherung ausgeglichen werden könne.

Nun müssen allerdings die ehrlichen Arzneimittelproduzenten befürchten, dass sie bei der nächsten Preisrunde gleich mitbestraft werden. Folgerichtig fordert der Vorsitzende des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Dr. Wolfgang Plischke: „Sollte das Ministerium zu der Auffassung kommen, dass es einer entsprechenden Klarstellung im Gesetz bedarf, um die angebliche Gesetzeslücke zu schließen, dann würde der vfa das selbstverständlich auch unterstützen, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu gewinnen. Dabei sollte diese „Lücke“ dann aber rückwirkend zum 01. August 2010 geschlossen werden, damit alle Unternehmen gleich behandelt werden.“

Gesetz eingehalten

Der vfa hatte zuvor erklärt, den Geist des Gesetzes zu akzeptieren und zu respektieren, und seine 46 Mitgliedsunternehmen aufgefordert, das Gesetz nicht zu unterlaufen. „Für den vfa ist mit Blick auf das GKV-Änderungsgesetz und den darin verfügten Zwangsrabatt klar, dass kein Unternehmen gegenüber den Kassen einen reduzierten Zwangsrabatt berechnen sollte, ganz gleich, ob vor Kurzem Preisveränderungen vorgenommen wurden oder nicht“, betont Wolfgang Plischke. Zumindest das vfa- Mitglied Merck Serono aus Darmstadt hält von solchen Vorgaben wenig – ein Firmensprecher erklärte gegenüber dem „Spiegel“: „Wir nutzen für einige wenige Produkte die uns gebotenen recht lichen Möglichkeiten der Preisgestaltung, um die Ertragseinbußen durch den heraufgesetzten Zwangsrabatt etwas abzumildern.“

Für die Opposition ist die Diskussion um das im Eiltempo umgesetzte Sparpaket ein gefundenes Fressen. Gesundheitspolitiker von SPD und Bündnis 90/Die Grünen werfen der Regierungskoalition Schlamperei vor und fordern Aufklärung. „Die Versicherten haben das Recht zu erfahren, wie viel Geld der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Fehler des Bundesgesundheitsministers verloren geht und wie er es wieder einsammeln will. Keinesfalls darf es dazu kommen, dass die Beitragszahlerinnen und -zahler für diese Schlamperei in Haftung genommen werden“, sagt Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Patientenrechte bei Bündnis 90/ Die Grünen. Sie fordert, die Pharmaunternehmen, die sich der Preisschaukel bedienen, klar zu benennen. „Teile der Pharmaindustrie scheinen das Solidarsystem ausschließlich als Geldautomaten wahrzunehmen“, so Klein-Schmeink. „Das Ausgangsproblem sind die Spielräume, die die Bundesregierung der Pharmaindustrie gelassen hat.“

Und das, obwohl nach Angaben des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach die SPD im Gesundheitsausschuss bereits bei den Gesetzesberatungen auf die Lücke hingewiesen habe. Auch seine Bundestagskollegin, die SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann, hatte in der Ärztezeitung der schwarz-gelben Koalition unverantwortliches Handeln vorgeworfen: „Diese Regierung kann einen zur Verzweiflung bringen: Erst dauert es Monate bis ein Sparpaket zustande kommt und dann muss man feststellen, dass es sich um halbherzige und zum Teil kontraproduktive Vorschläge handelt.“ Jetzt zeige sich auch noch, dass das Gesundheitsministerium ausgerechnet bei „der einzig wirkungsvollen Maßnahme, dem Herstellerabschlag, gepatzt“ habe.

Otmar MüllerFreier gesundheitspolitischer Fachjournalistmail@otmar.mueller.de

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