Zahnpflege im Mittelalter des Abendlandes

Regeln für den guten Atem

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Die Zahnheilkunde stand im christlich-europäischen Mittelalter ohne Frage im Schatten von islamischer und antiker Wissenschaft. Einem glücklichen Umstand ist zu verdanken, dass das medizinische Wissen der Antike über die islamische Welt wieder in Europa bekannt wurde. Auch wenn die Mundhygiene weniger hoch im Kurs stand als bei Griechen, Römern oder Arabern, so rieten mittelalterliche Mediziner und Gelehrte doch, die Zähne regelmäßig zu pflegen.

Die christlichen Truppen Alfons VI. (1040–1109, König von Leon und Kastilien) unter der Führung von Rodrigo Diaz de Vivar, genannt El Cid (um 1043–1099), eroberten im Jahre 1085 die Stadt Toledo von den Muslimen zurück. Die dort gefundenen wissenschaftlichen Bücher gingen aber zum Glück nicht in Flammen auf, sondern ihr unschätzbarer Wert wurde erkannt. Etwa um 1134 kam Gerhard von Cremona (1114–1187) nach Toledo und wirkte dort im Dienste des Erzbischofs Raimund von Toledo. Er lernte selbst arabisch und startete eine segensreiche Übersetzungstätigkeit der Werke, wobei ihm der Mozaraber Galippus/Ghalib half.

Wissenstransfer

„G. v. C. hat damit wichtige Werke sowohl der antiken griechischen als auch der mittelalterlichen arabischen Philosophie und Wissenschaft der lateinischen Welt vollständig und originalgetreu zugänglich gemacht. So trug er mit seiner Übersetzungsarbeit wesentlich zum Wissenstransfer zwischen Orient und Okzident bei, der das Menschenbild und die Weltsicht in der Scholastik des europäischen Hochmittelalters maßgeblich beeinflußt hat. Viele der von ihm bearbeiteten Texte wären ohne sein Wirken verloren gegangen. Damit sorgte er dafür, daß auch uns heute dieser reiche Schatz der Geistesgeschichte zur Verfügung steht.“ [aus: Bibliographisches Kirchenlexikon, Band XXVII (2007), Spalten 531-533, Autor: Josef Bordat] Bei den übersetzten Schriften handelte es sich unter anderem um die Werke Galens von Pergamon oder Rhazes (ar-Razi), den medizinischen Kanon des Avicenna (Ibn Sina) und die anatomischen Aufzeichnungen Abulcasis (Abu l-Qasim) [siehe dazu auch: Zahnpflege im frühen Islam, Mit Miswak und Chilal, zm Nr. 22, 16.11.2008, Seite 122-126].

Ebenfalls bedeutend für die Entwicklung der Medizin in Europa war die sogenannte „Schule von Salerno“, deren Anfänge bis ins 9. Jahrhundert zurückgehen. Die kampanische Stadt im Süden Italiens war im Mittelalter Ausbildungsstätte vieler Ärzte. Zu besonderer Blüte in der Wissenschaft gelangte die Stadt durch Constantinus Africanus. Dieser zu Anfang des 11. Jahrhunderts in Karthago geborene Gelehrte studierte im Bagdad der Kalifen und kam circa um 1065 nach Salerno. Dort übersetzte er medizinische Werke vom Arabischen ins Lateinische. Später ging er als Mönch in das Benediktinerkloster Montecassino, wo er weiter übersetzte.

Grundlagen für die Zahnheilkunde

Dieses Wissen der antiken und arabischen Autoren wurde im Abendland wieder bekannt und bildete die Grundlage für die europäische Odontologie und Zahnheilkunde. Die wissenschaftliche Blüte Salernos vollzog sich im toleranten Klima der normannischen Herrschaft. In der Hafenstadt, die auch als „civitas Hippocratica“ bezeichnet wurde, kam es zum wissenschaftlichen Austausch zwischen Arabern, Juden, Griechen und Italienern. Im Jahr 1077 hatte König Roger II. von Sizilien (1095–1154) die Stadt erobert. Während der Herrschaft seines Enkels Kaiser Friedrich II. (1194–1250) wurden im 13. Jahrhundert fortschrittliche Medizinalgesetze erlassen. Weitere mittelalterliche Zentren der medizinischen Forschung waren neben Salerno auch Palermo auf Sizilien, Montpellier in Südfrankreich, Bologna und das bereits erwähnte Toledo.

Schon im Frühmittelalter lassen sich Tipps zur Zahnpflege finden, die auf antike Praktiken zurückgingen [siehe: Schön dank Myrte, Myrrhe und Mastix, Zahnpflege bei Griechen und Römern, zm 8, 16.4.2008, Seite 110-114]. Der angelsächsische Kleriker Beda Venerabilis des 8. Jahrhunderts empfahl zur prophylaktischen Stärkung des Zahnfleisches das Kauen der Wurzel des Ackergauchheils (Anagallis arvensis) und das Spülen des Mundes mit in Essig gekochten Buchsbaumblättern oder mit in Wasser gekochtem Andorn (Marrubium vulgare). Die Zahnreinigung sollte mit einem Pulver aus Bimsstein, Tintenfischschale oder gebranntem Hirschhorn unter Beimischung von Alaun, Eisenkraut und Glaskraut erfolgen.

Mönchsmedizin

Aus dem Bereich der Mönchsmedizin stammen die Ratschläge der Nonne und späteren Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179). Sie war sich der Wichtigkeit der prophylaktischen Pflege der Zähne wohl bewusst. Die Äbtissin forderte das Ausspülen des Mundes morgens mit reinem kaltem Wasser, um den Zahnbelag zu entfernen. Denn der „livor circa dentes“ mache das Zahnfleisch krank und begünstige den „Zahnwurm“. Sie rät daher: „Mit dem selben Wasser, das er in seinem Munde hält, soll er die Zähne putzen; dies soll er häufiger tun, damit der Livor um die Zähne nicht zunehme. Dann werden diese gesund bleiben. Der, dem das Fleisch um die Zähne fault und dem die Zähne krank sind, soll warme Asche der Weinrebe in den Wein legen, wie wenn er ein „lixium“ machen würde. Dann soll er mit diesem Wein Zähne und Zahnfleisch putzen. Dies muß er häufiger tun, und das Fleisch wird heil und die Zähne werden fest werden.“ [zitiert nach: Die Zahnheilkunde in Kunst- und Kulturgeschichte, Heinz E. Lässig, Rainer A. Müller, Köln 1999, Seite 43-44] Eine Zeitgenossin von Hildegard von Bingen war Trotula von Salerno (genaue biografische Daten sind ungewiss). Die Medizinerin stammte wahrscheinlich aus der angesehenen Familie Ruggiero und war mit einem Arzt verheiratet. In dem ihr zugeschriebenen Werk „De Ornatu Mulierum“ (die Urheberschaft Trotulas ist aber nicht zweifelsfrei bewiesen) riet sie, den Mund täglich mit Wein zu reinigen und anschließend mit einem Tuch zu trocknen. Für den frischen Atem sei zudem das Kauen von Fenchel, Liebstöckel oder Petersilie gut. Auch die orientalische Praxis, Lorbeerblätter und Moschus unter der Zunge zu halten, sei zu empfehlen. Besonders weiße Zähne erzeugt laut Trotula ein Zahnpulver aus gebranntem Marmorkalk oder Dattelkernen, weißem Natron, gemahlenem Bimssteinen oder Ziegeln.

Der Mediziner Gilbert of England / Gilbertus Anglicus (um 1180–1250), der möglicherweise in Salerno studiert hat, riet ebenso zur regelmäßigen Zahnpflege. Bei ihm sollte Wein, der mit Birke und Pfefferminze gekocht wurde, den Mund reinigen. Gut für die Mundpflege war nach Gilbertus auch das Trinken von Wein am Abend, der mit Ysop, Zimt, Lavendel oder Quibibis [gemeint ist sehr wahrscheinlich Kubeben-Pfeffer (Piper cubeba)] aufgekocht wurde. Gewürzkugeln unter die Zunge gelegt, gaben guten Atem. Das Rezept lautet: „Jeweils 8 Teile Nelken, Muskatnuss, Zimt und Muskatblüte, 10 Teile rotes Sandelholz, 7 Teile Quibibis, 5 Teile Kardamom. Dies wird mit dem Saft der Minze gemischt und zu kleinen Kugeln geformt.“

Der Magister Bernhard Gordon (um 1260–1308), der seit 1283 einen Lehrstuhl in Montpellier innehatte, zählt in seinem Werk „Lilium medicinae“ die Vernachlässigung der Zahnpflege und das übermäßige Reiben des Zahnfleisches zu den äußeren Gründen für Zahnschmerzen. Bei den inneren Ursachen griff Gordon auf die Werke arabischer Mediziner aus den Übersetzungen des Gerhard von Cremona zurück.

Der Arzt Guy de Chauliac / Guido de Cauliaco (um 1300–1368) war der wichtigste chirurgische Autor des 14. Jahrhunderts. Seine Werke wirkten in der chirurgischen Zahnheilkunde noch bis ins 18. Jahrhundert nach. Studiert hatte der Mediziner in Toulouse, Montpellier und Bologna. Er war auch Leibarzt von drei Päpsten, als diese ihren Sitz in Avignon hatten. Im Jahr 1363 schrieb er sein wichtiges Werk „Chirurgia magna“. In den Abschnitten über die Zahnheilkunde orientierte sich de Chauliac neben antiken Autoren und abendländischen Chirurgen des 13. und 14. Jahrhunderts vor allem an den Werken von Ibn Sina und Abul l-Qasim. Im Schaffen von de Chauliac wird noch einmal klar, wie stark die Mediziner im christlichen Europa unter dem Einfluss ihrer islamischen Kollegen standen.

Mundhygiene auch in Nordeuropa

Die Unterweisungen von Hildegard von Bingen, von Gilbertus Anglicus und Bernhard Gordon zeigen, dass die Notwendigkeit der Mundhygiene über Südeuropa hinaus auch im Norden des europäischen Kontinents gesehen wurde. Zu konstatieren ist aber, dass im mittelalterlichen Europa bis weit in die Neuzeit hinein – vor allem bei den einfachen Bevölkerungsschichten – eine effektive Pflege der Zähne nicht praktiziert wurde. Dafür sprechen auch „die Häufigkeit von Zahnsteinablagerungen und Paradontopathien mittelalterlicher Individuen“. [Untersuchungen zu Knochenabbau und Furkationsbefall an sieben früh- bzw. spätmittelalterlichen Skelettserien, Diss. med. dent., Marcus Knirr, Gießen 2005, Seite 120]

Wenn die Zähne geputzt wurden, dann mit einem Tuch. Erst im Laufe der frühen Neuzeit kamen Vorläufer der Zahnbürsten in Gebrauch. Der Fund einer frühen Zahnbürste, die mit einem Zahnstocher und einem Öhrlöffelchen kombiniert war, wurde im Jahre 1953 in Lübeck gemacht. Die drei miteinander verbunden Gegenstände wurden im Brunnen eines Hauses entdeckt. Die Instrumente sind aus Knochen gefertigt und stammen aus dem 16. Jahrhundert.

In frühmittelalterlichen Gräbern kamen lanzettenförmige Gegenstände aus Metall – in Verbindung mit Ohrlöffelchen – zutage, die sehr wahrscheinlich als Zahnstocher zur Reinigung der Zähne verwendet wurden. Am häufigsten dürften Zahnstocher aus Holz, Federkielen oder Halmen gewesen sein. Aber es gab auch welche aus Edelmetall.

Aus dem Grab des Pfalzgrafen und Herzogs Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg (1547–1614) wurde ein goldener Zahnstocher geborgen. Allerdings ist dieser Fund bereits der Renaissancezeit zuzurechnen. In dieser Zeit ist der Gebrauch des Zahnstochers in Adelskreisen, so wie bei Heinrich III. und Heinrich IV. von Frankreich, nichts Ungewöhnliches [siehe: Die Zahngesundheit der Majestäten, Zahnpflege an den Höfen Europas, zm Nr. 9 A, 1.5.2009, Seite 108-116].

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