Reform der Krankenkassenfinanzierung

Missglückter Alleingang

Nach dem wochenlangen inner-parteilichen Streit in der CSU um die Gesundheitspolitik brodelt die politische Gerüchteküche weiter. Das Magazin „Der Spiegel“ berichtet bereits über „den schleichenden Autoritätsverlust von CSU-Chef Horst Seehofer“. Stein des Anstoßes: sein Parteikollege Markus Söder, Gesundheitsminister im Freistaat Bayern. Der nahm die Vorsilbe „Frei“ wörtlich und gab ohne Abstimmung mit den Abgeordneten der CSU im Bundestag ein eigenes Gesundheitskonzept heraus.

Bei den Plänen zur Kostensenkung im Gesundheitswesen herrscht bei den Koalitionspartnern weiter Dissens. Bekannt war, dass die CSU eine, nach den Vorstellungen von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) angedachte, einkommensunabhängige Gesundheitsprämie (Kopfpauschale) ablehnt. Neu dagegen ist die Dimension, die der innerparteiliche Streit über einen Gegenvorschlag in den Reihen der CSU erreicht hat. Der jüngste Auslöser: ein Alternativkonzept – öffentlich vorgestellt von Söder genau 24 Stunden nach einer Klausurtagung der CSU-Gesundheitspolitiker, an der der Minister übrigens nicht teilgenommen hatte.

Die Eckpunkte des „Söderschen Konzepts“: Anders als im Koalitionsvertrag ist darin keine Kopfpauschale vorgesehen. Stattdessen will der CSU-Politiker den Beitrag künftig aus zwei Teilen zusammensetzen. Das Gros der Kosten, von Söder als „Bundesbeitrag“ bezeichnet, soll von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu gleichen Teilen mit je sieben Prozent gezahlt werden und via Gesundheitsfonds rund 90 Prozent der Krankenkassenausgaben decken. Beitragssteigerungen würden dazu nach wie vor auch die Arbeitgeber treffen – wenn auch nicht mit derselben Härte, wie die Arbeitnehmer. Die sollen die übrigen zehn Prozent des Finanzvolumens aus eigener Tasche finanzieren. Im Gegensatz zu den Plänen Röslers und den Vorgaben des Koalitionsvertrags will Söder die Eigenleistung der Versicherten aber nicht über einkommensunabhängige Pauschalen einziehen lassen. Vielmehr soll sich auch dieser Beitrag an der Höhe des Einkommens orientieren und von der jeweiligen Krankenkasse frei bestimmt werden. Mit dem Konzept wolle man den Krankenkassen einen Teil ihrer Beitragsautonomie zurückgeben. Zudem würden regionale Unterschiede berücksichtigt, hieß es.

Fehlende Absprachen

Nach der Veröffentlichung des Konzepts hagelte es Kritik aus den eigenen Reihen. Der Tenor: Die CSU-Bundestagsabgeordneten wurden von Söder nicht in die Ausarbeitung des Alternativvorschlags eingebunden. Es habe keinerlei Absprachen gegeben. Dem CSU-Gesundheitsexperten Wolfgang Zöller platzte nach Bekanntwerden des Konzepts der Kragen: Er warf Söder „Selbstdarstellung per Alleingang“ vor. Auch der Sozialexperte der CSU-Landesgruppe in Berlin, Max Straubinger, zeigte sich verärgert. Gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ erklärte er: „Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass Probleme gelöst und nicht der Bekanntheitsgrad eines Landesministers gesteigert wird. Das Problem hat einen Namen und der lautet Söder“, kritisierte Straubinger. Nach seiner Einschätzung funktioniere die Zusammenarbeit zwischen der CSU in Berlin und München in vielen Ressorts reibungslos – jedoch nicht im Bereich Gesundheit. Markus Söder ginge es vor allem um Schlagzeilen. Der Vorschlag sei ein veralteter CSU-Vorschlag aus dem letzten März. Die Partei hatte im vergangenen Jahr eine Kommission für die Gesundheitsreform unter der Leitung von Söder eingesetzt. Seitdem habe es aber erst zwei Sitzungen gegeben, ergänzte Straubinger. Die CSU-Bundestagsfraktion hat Söder für ein Gespräch zur Aussprache am 19. April nach Berlin eingeladen. Laut Agenturberichten hat er zugesagt.

Schadensbegrenzung

CSU-Chef Horst Seehofer hatte erst kürzlich eine „Epoche der Brüderlichkeit“ ausgerufen, um innerparteiliche Konflikte zu schlichten. Nach Söders Vorstoß versuchte er nun gemeinsam mit dem Landesgruppenvorsitzenden Hans-Peter Friedrich (CSU), den Schaden in dem noch jungen Zeitalter zu begrenzen, um einen frühen Abschluss der Epoche zu verhindern. Seehofer forderte ein sofortiges Ende der Querelen. Die CSU-Anhänger hätten „für solche öffentlichen Debatten kein Verständnis“. Alle wichtigen Themen würden „unter starker Einbeziehung der Landesgruppe diskutiert“, erklärte er in München. Auch Friedrich versuchte zu beschwichtigen: „Es ist ein Vorschlag, eine Gedankenskizze. Es gibt da keine endgültigen Entscheidungen.“ Zugleich räumte er ein: „Den Kommunikationsprozess finde ich suboptimal.“

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), wies das CSU-Konzept zurück. Er erklärte gegenüber der „Rheinischen Post“: „Für die Unionsfraktion ist der Koalitionsvertrag die Grundlage unseres Handelns. Und der sieht aus guten Gründen den Einstieg in einkommensunabhängige Beiträge vor.“ Man solle die Regierungskommission „endlich mal in Ruhe an der Sachfrage arbeiten lassen“, anstatt jede Woche ein neues Fass aufzumachen. Der Vorstoß von Söder wirkt sich auf den Erfolg und das Image der gesamten Partei aus. „Die Durchsetzungskraft der CSU in Berlin hängt entscheidend von der Geschlossenheit der CSU insgesamt ab“, konstatierte Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer. Die CDU befürchtet, dass sich die aktuellen Geschehnisse auch noch auf den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen auswirken könnten.

Das Bundesgesundheitsministerium hält das neue CSU-Konzept zudem für ungeeignet. Die Einnahmen der Krankenkassen blieben so auch künftig von den Einkommen abhängig und damit konjunkturanfällig, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums. Gesundheitsstaatssekretär Daniel Bahr (FDP) sagte, die Vorschläge der CSU seien bereits in den Koalitionsverhandlungen abgelehnt worden. Bahr erklärte im Gespräch mit der Deutschen-Presse-Agentur: „Mit dem CSUKonzept kommen milliardenschwere Mehrbelastungen auf die Versicherten zu, ohne dass dadurch die Finanzierung stabiler wird.“

FDP-seitig äußerte auch die gesundheitspolitische Sprecherin Ulrike Flach gegenüber der Leipziger Volkszeitung ihre Kritik an dem vorgestellten Konzept: „Söders Versuch, hinter den Koalitionsvertrag zurückzufallen, wird scheitern.“ Ein Treffen von Rösler und Söder in Berlin brachte keine Annäherung. Letzterer betonte dabei erneut seine Ablehnung gegenüber der von der FDP favorisierten Kopfpauschale. Söder: „Das Modell hat enorme bürokratische Hürden und ist sozial ungerecht.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies abermals Befürchtungen zurück, die Gesundheitsreform werde unsozial. Merkel: „Dieses Gesundheitssystem, wie wir es verändern wollen, wird solidarischer sein, als das, was wir heute haben.“

In der CSU berät nun erst einmal die Gesundheitskommission unter Leitung von Söder weiter – auf Bundesebene sitzt die Regierungskommission zur Gesundheitsreform unter der Führung von Rösler zusammen. Als einzige CSU-Politikerin innerhalb dieser Instanz erhält Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner – als verlängerter Arm nach Bayern – eine Schlüsselrolle für den Einfluss der Interessen ihrer Partei bei der Gestaltung der Gesundheitspolitik.

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