Nanomedizin

Winzig — aber wirksam

Die Möglichkeiten der Nanomedizin beflügeln derzeit die Vorstellungen vieler Wissenschaftler. Die potenziellen Anwendungen sowohl im medizinischen als auch im zahnmedizinischen Bereich reichen vom innovativen Diagnoseverfahren über neuartige Oberflächenbeschichtungen bei Implantaten bis hin zum gezielten Wirkstofftransport in Nanopartikeln, die möglicherweise die Behandlung bösartiger Tumore entscheidend verbessern können.

Jedes Lebewesen besteht letztlich aus Nanopartikeln, also aus Teilchen im Nanometerbereich, das heißt im Bereich des millionsten Teils eines Millimeters. Da jede Erkrankung ein Geschehen auf molekularer Ebene darstellt, ist es ein Anliegen der Nanomedizin, die pathogenetischen Prozesse auf dieser Ebene zu verstehen und möglicherweise auf dem Boden des besseren Krankheitsverständnisses neue Therapieformen entwickeln zu können. Außerdem wird versucht, Nanopartikel gezielt zur Therapie von Erkrankungen zu nutzen. Denn die Teilchen sind so klein, dass sie sogar die Membranen als natürliche Begrenzung und Abgrenzung der Zellen durchdringen und somit in das Zytoplasma eindringen können. Daraus könnten sich vor allem für die Krebsmedizin völlig neue Therapiechancen ergeben.

Nanotechnologie

Die Nanowissenschaftler untersuchen die biologischen Wirkprinzipien sowie die physikalischen Gesetzmäßigkeiten und chemischen Eigenschaften von Strukturen im Nanobereich und versuchen auf Basis der neuen Erkenntnisse neuartige Materialien und Therapieformen zu erarbeiten. Die Nanotechnologie gilt dabei als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts, was nicht zuletzt der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung etablierte „Nano- Initiative Aktionsplan 2010“ dokumentiert.

Welches Potenzial der Nanotechnologie innewohnt, verdeutlichen Phantasie- Vorstellungen von winzigen Robotern, die durch die Blutbahn zirkulieren und wie eine Patrouille die Körperfunktionen überwachen. Aber einiges, was heute als Science Fiction anmutet, kann möglicherweise künftig Realität werden, wie ein amerikanischchinesisches Forschungsprojekt belegt: So ist es Hirnforschern bei Hamstern gelungen, durchtrennte Sehnerven allein durch die Injektion einer Lösung, die zehn Nanometer dünne Fasern enthielt, zu „reparieren“. Mit dieser Methode ließen sie erfolgreich die Nerven nachwachsen. Die Tiere erhielten dadurch zumindest einen Teil ihrer Sehkraft zurück, ein bislang spektakuläres Forschungsergebnis, das erblindete Menschen hoffen lässt. Die Nanofaser-Lösung ist ferner in der Lage, Blutungen offenbar in Sekunden zu stoppen, was künftig die Behandlung von Verletzungen, aber auch die Chirurgie revolutionieren und nachhaltige Konsequenzen für den zahnmedizinischen Alltag haben könnte.

Besseres Krankheitsverständnis

Doch die Anwendungsmöglichkeiten sind noch weit vielfältiger, wobei es im medizinischen Bereich zunächst oft um ein besseres Verständnis der grundlegenden Prozesse geht. So ist noch unklar, wie es zum Beispiel Viren gelingt, in Zellen einzudringen, diese zu ihrer eigenen Replikation zu nutzen und so letztlich virale Infektionen zu verursachen. Würde die Interaktion zwischen Erreger und Wirtszelle genau verstanden, so könnte dies neue Optionen der Prophylaxe wie auch der Therapie von Infektionskrankheiten eröffnen.

Ähnlich kann auch bei anderen Erkrankungen versucht werden, die Pathogenese direkt auf molekularer Ebene – und damit im Nanobereich – zu verstehen und mit den Möglichkeiten der Nanotechnologie Funktionsstörungen zu beheben. Oder sogar Erkrankungen zu heilen, sei es mittels einer Gentherapie, mit der sich molekulare Defekte beheben lassen, durch ein Tissue Engeneering oder durch die Möglichkeiten der „synthetischen Biologie“.

Wirkstofftransport mit Nanopartikeln

Und dieses alles durch Verfahren, die ähnlich wie die Natur es vorgibt, auf der Selbstorganisation von Molekülen beruht, die jedoch bei der Nanotechnologie von außen gesteuert wird.

Weniger spektakulär als solche Technologien ist die Anwendung von Nanopartikeln zum Wirkstofftransport. So ist es bereits gelungen, den Wirkstoff Colchicin in konzentrierter Form an winzige, etwa 50 Nanometer kleine Silikatpartikel zu binden, über die das Colchicin gezielt in Zellen eingeschleust werden kann.

Mit dieser Möglichkeit verbinden sich vor allem Hoffnungen, die Krebsbehandlung weiter optimieren zu können. Denn es erscheint denkbar, Nanopartikel mit Zellgiften zu beladen, in Tumorzellen einzuschleusen und diese dann praktisch von innen heraus zu zerstören. Die Wissenschaftler versprechen sich davon, deutlich höhere Wirkstoffkonzentrationen an den Zielort bringen zu können und damit eine bessere Wirksamkeit zu   erreichen bei gleichzeitig geringeren Nebenwirkungen.  Das aber setzt voraus, dass die Zytostatika, mit denen die Nanopartikel behaftet sind, erst in der Tumorzelle und nicht schon vorher auf ihrem Weg durch den Körper freigesetzt werden. Im Falle der Colchicinbehafteten Silikatpartikel haben die Forscher dies durch eine Beschichtung mit Lipidmolekülen realisiert. Die Lipidschicht kann den Wirkstoff offenbar am Nanopartikel festhalten und sorgt so dafür, dass die Freisetzung erst intrazellulär und damit direkt am Zielort erfolgt.

Die Nano-Transportsysteme können es ermöglichen, Medikamente einfacher über bislang bestehende Barrieren wie etwa die Blut-Hirn-Schranke zu bringen, was die Behandlung von Erkrankungen, die vom Gehirn ausgehen, von der Alzheimer Demenz über den Morbus Parkinson bis hin zur Schizophrenie deutlich verbessern könnte. Auch ist denkbar, dass durch solche Transportsysteme schwer wasser- oder fettlösliche Vitamine und Wirkstoffe für den Körper leichter verfügbar gemacht werden können.

Targeted Drug Delivery

Die Nano-Medikamenten-Container sind zum Beispiel in der Krebsbehandlung mit großen Hoffnungen verbunden, wie kürzlich bei einem Symposium der Kooperativen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zum Thema „Nanomedizin: Hope oder Hype“ in Wiesbaden dargelegt wurde. Sie sind in diesem Bereich aber nur effektiv zu nutzen, wenn sie zielgerichtet eingesetzt, sie also praktisch mit einem Navigationssystem versehen werden, das dafür sorgt, dass das Transportsystem tatsächlich auch die Krebszellen aufspürt.

Ein solches „Targeted Drug Delivery“ lässt sich mit Hilfe von Rezeptoren konstruieren, die außen auf dem Nano-Container aufgebracht sind und entsprechend dem Schlüssel-Schloss-Prinzip spezifisch an spezielle Oberflächenstrukturen von Krebszellen binden. Die „Targeted Drug Delivery“-Systeme können, wenn sie beispielsweise mit einem Antikörper gegen die Zielzelle versehen sind, quasi als Immuno- Nanopartikel Wirkstoffe – etwa Zytostatika – wie ein trojanisches Pferd in Krebszellen einschleusen, ohne dabei gesunde Körperzellen zu beeinträchtigen.

Am transgenen Mausmodell wird nach Professor Dr. Jürgen Borlak vom Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin der Medizinischen Hochschule Hannover zum Beispiel derzeit erforscht, inwieweit sich arzneistoffbeladene Immuno-Nanopartikel gezielt an Krebsstammzellen navigieren und für den Einsatz im Kampf gegen den Lungenkrebs nutzen lassen.

Eine ähnliche Strategie wäre, wenn das Planspiel aufgeht, bei der Bekämpfung von Viren oder anderen Krankheitserregern möglich.

Unerwünschte Nebenwirkungen – wie sie von den auch im Tabakrauch, im Feinstaub und im Diesel enthaltenen Nanopartikeln ausgehen – sind bei den medizinisch genutzten Nanoteilchen bislang, so hieß es beim Symposium in Wiesbaden, nicht beobachtet worden. Die Winzlinge werden so konstruiert, dass sie rasch zerfallen. Hierbei stehen jedoch weitere Untersuchungen an , um mögliche Risiken der Behandlung abzuklären. So ist bislang noch unklar, was passiert, wenn sich die Oberfläche der Nanopartikel verändert, zumal der körpereigene Abbau nicht immer konstant ist und die Zielorgane und Zielzellen zum Teil unterschiedlich reagieren können.

Hyperthermie auf Nanobasis

Durch die Nanotechnologie erhalten wohl auch Hyperthermieverfahren einen neuen Stellenwert in der Krebsmedizin. Das Behandlungsverfahren basiert darauf, dass eine Erwärmung von über 42 Grad Celsius zellzerstörend wirkt, wobei Tumorzellen gegenüber solchen Temperaturen deutlich empfindlicher reagieren als gesunde Zellen.

Das Phänomen lässt sich offensichtlich durch das Einbringen von Eisenpartikeln in das Tumorgewebe noch verstärken. Dabei konnten Nano-Eisenpartikel so konstruiert werden, dass sie nach der Injektion im Tumorgewebe als Depot verbleiben und nicht ausgewaschen werden. Sie erhalten dazu eine Hülle aus Aminosilan, berichtete Dr. Andreas Jordan von der Berliner Charité in Wiesbaden. Die Hülle sorgt nach seinen Ausführungen dafür, dass die Nanopartikel von den Tumorzellen problemlos aufgenommen werden, aber nicht mehr aus den Zellen ausgewaschen werden können.

Sind sie in das maligne entartete Gewebe injiziert worden, können die Partikel von außen über das Anlegen elektromagnetischer Wechselfelder in Schwingung versetzt werden. Dadurch wird in den Zellen wie mit einer Art Fernzünder Wärme erzeugt, die diese direkt abtötet oder sie zumindest empfindlicher für eine nachfolgende Chemo- oder Strahlentherapie macht.

In den Tumorzellen können, so die bisherigen Erfahrungen, Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius erzeugt werden, was die Tumorzellen irreversibel schädigt. Da die umgebenden gesunden Gewebe keine Nanopartikel enthalten, bleiben sie bei Anlegen des elektromagnetischen Feldes unbeeinflusst und werden folglich durch die Behandlung nicht geschädigt.

Das Verfahren wird derzeit im Rahmen von Studien bei verschiedenen Tumoren erprobt. Die meisten Erfahrungen liegen laut Jordan bei Hirntumoren und speziell beim Glioblastom vor, einem Tumor, der bislang in der Onkologie als kaum behandelbar gilt. Durch die Behandlung mit den Nano-Partikeln konnte nach dem Ergebnis einer Studie des Wissenschaftlers bei 60 Patienten mit Glioblastom, denen umhüllte Eisenoxid- Nanopartikel stereotaktisch in den Tumor injiziert wurden, das mediane Überleben von durchschnittlich 6,2 (historische Kontrolle) auf 13,4 Monate verlängert werden. Noch handelt es sich um ein experimentelles Verfahren, doch gab sich Jordan in Wiesbaden hoffnungsvoll. Er wertet die Studiendaten als Hinweis darauf, dass die Hyperthermie mit Nanopartikeln therapeutisch bedeutsam sein kann und begründet dies damit, dass es sich bei den berichteten Ergebnissen um mediane Überlebensdaten handelt. Es gibt nach Jordan dabei einzelne Patienten, die nach der Behandlung noch sechs bis sieben Jahre lebten, eine beim Glioblastom überdurchschnittlich lange Überlebenszeit.

Die innovative Behandlungsform scheint bei allen lokal begrenzten Tumoren Erfolg versprechend zu sein und wird derzeit in ihrer Effektivität und Sicherheit auch bei Patienten mit Prostata-, Ösophagus-, Pankreasund Zervixkarzinom untersucht.

Der Berliner Forscher versucht außerdem, das Konzept zu erweitern und die Hülle der Nanopartikel zusätzlich mit Chemotherapeutika zu beladen, um so gleich zwei Hebel gegen den Tumor anzusetzen. Denn dadurch können, so die Hoffnung, zusätzlich Zytostatika gezielt und effektiv in die Krebszellen eingebracht werden.

Berechnungen des Wissenschaftlers haben dabei ergeben, dass eine Tumorzelle bis zu eine Million Nanopartikel aufnehmen kann. Diese sollen dann durch die von außen induzierte Wärmeentwicklung auch dazu veranlasst werden, die Zytostatika im Zellinneren freizusetzen, um so die Zellzerstörung noch effektiver zu gewährleisten. Das Verfahren muss allerdings noch klinisch erprobt werden.

Das Labor in Streichholzschachtelgröße

Verbesserungen verspricht die Nanotechnologie auch im diagnostischen Bereich, zum Beispiel in Form der Rasterkraftmikroskopie, mit der sich lebende Zellen dreidimensional darstellen lassen. Das Verfahren dürfte vor allem in der Dermatologie Anwendung finden, wie bei der genaueren Diagnostik und Therapiekontrolle der Neurodermitis.

Auch bei Laborsystemen trägt die Nanotechnologie dazu bei, Mikroanalysesysteme zu etablieren, die Analysen automatisierter und mobiler möglich machen und bei bestimmten Fragestellungen quasi wie ein Labor in der Streichholzschachtel vor Ort zur Analyse von Körperflüssigkeiten, Chemikalien und allgemein zu lösenden Proben einsetzbar werden.

Als Zukunftsvision wird ferner daran gearbeitet, direkt Diagnostik und Therapie miteinander zu verknüpfen und Theranostics-Systeme zu entwickeln, die entstehende Krankheiten erkennen und direkt auch bekämpfen.

Nano-Materialien – bereits Realität im Alltag

Infolge ihrer winzigen Größe besitzen Nanomaterialien besondere physikalische Eigenschaften, die sie für verschiedenste Anwendungsbereiche auch außerhalb der Medizin attraktiv machen. So haben die Partikel eine große Oberfläche bei zugleich geringem Volumen. Die Materialien sind nahezu transparent, da sie aufgrund der kleinen Partikel das Licht kaum streuen. Sie finden bereits Verwendung in Kosmetika, in Datenspeichern mit hoher Speicherkapazität, in Filtersystemen bei der Abwasseraufbereitung sowie in Form ultraleichter Werkstoffe in der Automobilindustrie. In der Medizin wird sehr intensiv daran gearbeitet, mit Hilfe der Nanopartikelinnovative Beschichtungen für verschiedenste Implantate und Dentalmaterialien zu entwickeln und sie beim Gewebe- und Knochenersatz zu nutzen. Die Miniatur-Partikel haben zudem bereits Einzug in den medizinischen Alltag gehalten – zum Beispiel in Form von Gold-Nanopartikeln im Schwangerschaftstest und als Silber-Nanopartikel in antimikrobiellen Cremes und Wundauflagen.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln

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