Röslers gesundheitspolitischer Plan

Die Entdeckung der Solidarität

„Vertrauen“ war das Wort, das sich wie ein roter Faden durch die Rede von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler beim Hauptstadtkongress Gesundheit Anfang Mai 2010 zog: Das Gesundheitswesen solle mehr auf die Qualifikation, Motivation und Erfahrung von Ärzten vertrauen als auf staatliche Zertifikate. Und auch die Volksvertreter verdienten einen Vertrauensvorschuss für ihre gesundheitspolitischen Pläne.

Die Gesundheitswirtschaft sei nicht nur eine Schlüsselbranche, weil sie jährlich rund 263 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet, erläuterte Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler. „Vor allem bietet sie das beste Gesundheitswesen der Welt, in dem jeder Versicherte – unabhängig von seinem Alter, seinem Geschlecht und seinen Vorerkrankungen – die bestmögliche Versorgung erhält.“ Allerdings hätten gerade die Leistungserbringer zunehmend das Gefühl, in einem unfairen System zu arbeiten: „Belohnt wird nicht derjenige, der die beste Leistung erbringt, sondern der das System am besten zu nutzen weiß“, kritisierte der Minister und ergänzte: „Es ist doch pervers, dass es Computerprogramme gibt, die einem niedergelassenen Arzt sagen, welche Leistungen er bis zum Quartalsende unbedingt noch abrechnen sollte, um das Budget voll auszuschöpfen – und welche Leistungen er besser vermeidet, um nicht in Regress genommen zu werden.“ In diesem System gehe es nicht mehr um die medizinischen Bedürfnisse von Patienten und auch längst nicht mehr um die ärztliche Therapiefreiheit.

Für diese Fehlsteuerung machte Rösler zum einen die staatliche Überregulierung verantwortlich: „Nicht alles, was gut funktioniert, muss zwingend vom Staat organisiert werden.“ Ausdrücklich warb Rösler in diesem Zusammenhang um mehr Vertrauen in die Qualifikation, Motivation und Erfahrung von Ärzten: „Was zählt mehr: ein Facharzt mit sechs Jahren Studium, fünf Jahren Weiterbildung, zwei Jahren Zusatzausbildung und 20 Jahren Berufserfahrung – oder ein Qualitätssiegel einer staatlichen Institution?“

Mündiger Patient fordert den Mediziner

Es gebe andere funktionierende Kontrollmechanismen für Leistungserbringer als die omnipräsente und überbordende Bürokratie: „Ärzte brauchen unser Vertrauen – und zwar Vertrauen in ihre Grundmotivation, aufgrund der sie ihren Beruf ergriffen haben: nämlich den Menschen zu helfen“, meinte Rösler. Ein mündiger und informierter Patient sei die beste Motivation für einen Arzt, sein Wissen ständig zu überprüfen und aufzufrischen. Gleichzeitig seien Information und Transparenz aber auch unabdingbar, um Versicherte zu Eigenverantwortung und gesundheitsbewusstem Verhalten zu motivieren.

Völlig ungeeignet für die Förderung von mehr Eigenverantwortung ist in den Augen der FDP – und bekanntlich auch vieler Ärzte – hingegen das Sachleistungsprinzip der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): „Die Versicherten zahlen Monat für Monat, Jahr für Jahr Beiträge und haben den Eindruck, nicht genug dafür zu bekommen, weil sie den Gegenwert der medizinischen Leistungen gar nicht kennen.“ Durch ein transparentes Rechnungswesen und einen Wechsel zur Kostenerstattung könnten auch die Versicherten deutlich sehen, welchen Wert die Arbeit ihres Arztes habe.

Transparenz und Kostenerstattung sind nach Auffassung von Rösler keineswegs unsozial, denn auch die Liberalen schreiben sich neuerdings die Solidarität zwischen Starken und Schwachen ganz groß auf ihre Fahnen: „Das Gesundheitswesen ist ein anderer Wirtschaftszweig als beispielsweise die Automobilbranche oder das Bäckerhandwerk“, erinnerte Rösler. „Als Kunde können Sie sich frei entscheiden, ob und welches Auto Sie fahren oder welche Sorte Brot Sie kaufen wollen. Als Patient hingegen können Sie sich nicht aussuchen, ob und welche Krankheit Sie haben wollen.“

Wortreich beschwor der Minister die Solidarität als Kernelement des deutschen Gesundheitswesens und nahm damit vorsorglich Kritikern eines vermeintlich unsozialen oder gar neoliberalen gesundheitspolitischen Kurses der schwarz-gelben Koalition den Wind aus den Segeln. Mehr noch: Er erklärte die von vielen politischen Gegnern als unsozial gescholtene Kopfpauschale zum Garanten für eine solidarische GKV-Finanzierung. „Der Ausgleich zwischen Arm und Reich, zwischen Alt und Jung sowie zwischen Krank und Gesund kann nicht über einen einheitlichen GKV-Beitragssatz funktionieren, das ist ungerecht“, argumentierte Rösler.

Prämie garantiert Solidarität

Er verwies auf die Beitragsbemessungsgrenze und die private Krankenversicherung, die es Besserverdienenden ermögliche, sich teilweise oder ganz aus der solidarischen GKVFinanzierung zu verabschieden. Ebenso wie seine politischen Gegner bemühte auch Rösler den viel zitierten Generaldirektor, der nach Einführung der Kopfpauschale angeblich den gleichen Beitragssatz wie seine schlechter bezahlte Sekretärin entrichten muss. „Dieser Generaldirektor – dessen Blinddarmoperation im Übrigen genauso viel kostet wie die seiner Sekretärin – ist doch längst nicht mehr GKV-versichert. Der solidarische Ausgleich sollte deshalb über das Steuersystem erfolgen, damit tatsächlich jeder dazu beiträgt“, forderte der FDPPolitiker.

Ein derart grundlegender Wandel in der GKV-Finanzierung lasse sich allerdings nicht von heute auf morgen umsetzen: „Die geplante Gesundheitsreform wird auch manch einen schmerzhaften Einschnitt erfordern“, gab Rösler zu bedenken und wagte einen eleganten Schwenk zurück zu seinem Eingangsthema: Ebenso wie die vom System geschundenen Ärzte verdienten auch die gesundheitspolitischen Akteure der Bundesregierung einen Vertrauensvorschuss. „Geben Sie uns Zeit und vertrauen Sie darauf, dass wir das System zu Besserem weiterentwickeln wollen.“

Antje SoleimanianFreie Journalistin aus Hamburgantje@soleimanian.de

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