Studie zum Rollenverständnis des Berufsstandes

Homogen, freiberuflich und flexibel

Eine frisch veröffentlichte Studie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) arbeitet neue Aspekte zum Rollenverständnis des Berufsstandes heraus. Danach bleibt die freiberufliche Identität trotz gesellschaftlicher Umbrüche erhalten. Zahnärzte verstehen sich als hochgradig homogene Berufsgruppe. Geschlechterspezifische Besonderheiten schlagen nur in Einzelpunkten durch. Die Kollegen reagieren sensibel und flexibel auf demografische, sozialmedizinische und ökonomische Entwicklungen.

Eine Bestandsaufnahme zur Selbstwahrnehmung des Berufsstandes zu erzeugen – das war Sinn und Zweck der neuen Studie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ). Unter dem Titel „Rollenverständnis von Zahnärztinnen und Zahnärzten in Deutschland zur eigenen Berufsausübung – Ergebnisse einer bundesweiten Befragungsstudie“ (ANFO-Z) wurde sie jetzt frisch veröffentlicht.

Es sollte ein Profil erstellt werden, um Strategien und Entwicklungspotenziale der Profession unter veränderten gesellschaftlichen Umständen abschätzen zu können. Verbunden damit wollten die Forscher herausfinden, inwieweit weibliche Berufsvertreterinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen geschlechtsspezifische Berufsmodelle entwickeln. Dies vor dem Hintergrund, dass in den nächsten zehn Jahren jeder zweite berufstätige Zahnarzt weiblichen Geschlechts sein wird.

Befragt wurden 1 626 Kassenzahnärzte, das entspricht einer Ausschöpfungsquote von 52 Prozent und damit einer guten Repräsentativität des Datenmaterials. Die Feldarbeit fand von Februar bis April 2009 statt.

Kernaussagen

Hier die Kernaussagen der repräsentativen Befragung:

• Zahnärzte setzen sich intensiv mit ihren Arbeitsbedingungen auseinander und reagieren sensibel auf Veränderungen in ihrem Berufsfeld.

• Sie sind eine stark homogene Berufsgruppe, die sich der freiberuflichen Berufsausübung verschrieben hat. Eine Geschlechterdifferenzierung gibt es nur in Einzelpunkten.

• Das Leitbild des „informierten Patienten“ wird als zunehmend bedeutsam erachtet, und zwar von jüngeren noch mehr als von älteren Kollegen.

• Die Mehrheit der befragten Zahnärzte kennt das Konzept der Evidenzbasierten Medizin und beurteilt es für die eigene berufliche Tätigkeit als positiv. Bei evidenzbasierten Leitlinien werden aber auch deutlich Grenzen gesehen – bezogen auf Aspekte wie Zeitaufwand, Honorierung und Fallbezug.

• Um ihre Zukunft zu sichern, setzen Zahnärzte vorrangig auf eigene Arbeitsschwerpunkte. Mit gezielten Fortbildungsaktivitäten stellen sie sich auf Veränderungen im Krankheitsspektrum, aber auch im innerprofessionellen Wettbewerb ein. Das gilt in verstärktem Maße für jüngere Zahnärzte.

• Auf die veränderten Anforderungen der Berufsausübung reagieren Zahnärzte mit dem Ausbau, aber auch mit dem Abbau ihrer Tätigkeit. Das Angestelltenverhältnis wird tendenziell an Bedeutung gewinnen, während Kooperationen mit anderen Ärzten, Zahnärzten oder Heilberuflern zurückfallen.

• Die beruflichen Planungen von männlichen und weiblichen Zahnärzten unterscheiden sich nur wenig. Erkennbar ist, dass Zahnärztinnen – im Sinne einer Work-Life-Balance – tendenziell häufiger einen angestellten Status favorisieren, das gilt vor allem für jüngere Frauen.

• Zahnärztinnen favorisieren als Arbeitsschwerpunkte häufiger die Kinderzahnheilkunde, KfO oder Prävention, während ihre männlichen Kollegen mehr die Implantologie oder Prothetik bevorzugen.

• Deprofessionalisierungsgefahren für Zahnärzte sind eher durch äußere Entwicklungen in der Gesellschaft (Bürokratisierung, Ökonomisierung) zu erwarten.

Ergebnisse im einzelnen

Demografische Veränderungen:

Über 40 Prozent der befragten Zahnärzte berichten, dass der Anteil älterer und alter Patienten spürbar zugenommen hat. Insbesondere die über 55-jährigen Zahnärzte haben diese Veränderungen in der Patientenstruktur festgestellt. Merklich ist für die Zahnärzte auch die Zunahme verhaltens- und lebensstilbedingter Erkrankungen ihrer Patienten (Tabelle 1). Von rund 27 Prozent aller Zahnärzte wurden Allgemeinerkrankungen als sehr wichtig und von 57 Prozent als wichtig für ihre Therapieentscheidungen angegeben. Nur bei der Angabe „sehr wichtig“ gab es altersspezifische Unterschiede, wobei der Anteil (34 Prozent) der Zahnärzte unter 35 Jahren gegenüber 24 Prozent bei den über 55 Jahren lag. Auch bei Zahnärzten, die sehr häufig Parodontalbehandlungen durchführen, wird die Bedeutung von Allgemeinerkrankungen für die eigenen Therapieentscheidungen deutlich höher eingeschätzt.

Epidemiologische Veränderungen:

Die Studie sollte auch herausarbeiten, ob und wie die befragten Zahnärzte die Zubeziehungsweise Abnahme von oralen Erkrankungen wahrnehmen, welche zahnmedizinischen Krankheitsbilder sie in ihrer Behandlungstätigkeit klinisch häufiger oder seltener sehen. Deutlich wurde, dass insbesondere Bruxismus, Erosionen, Parodontitis und Wurzelkaries in der Wahrnehmung der befragten Zahnärzte zugenommen haben (Tabelle 2). Bei der Parodontalbehandlung wird die Compliance der Patienten als sehr wichtig erachtet.

Ökonomische Zwänge:

Bei der Frage, welche Faktoren die eigene berufliche Autonomie am meisten einschränken, werden insbesondere genannt (Tabelle 3): Belastung durch Bürokratie und Verwaltung (wird von 86 Prozent unter den drei wichtigsten Punkten genannt), Dominanz des Systems der Krankenkassen (68 Prozent), Beschränkung der Entscheidungsfreiheit über zahnärztliche Leistungen (60 Prozent) und Überlagerung zahnärztlichen Denkens und Handelns durch Ökonomie (57 Prozent). Geringe Bedeutung haben demgegenüber eine fortschreitende Abhängigkeit von der Technik, zunehmend komplexe Versorgungsstrukturen oder die Rationalisierung von Diagnostik und Behandlungsprozessen.

Evidenzbasierte Medizin/Zahnmedizin:

Um Tendenzen zur Verwissenschaftlichung zu eruieren, wurde nach Bekanntheit und Bedeutung des Konzepts einer Evidenzbasierten Medizin beziehungsweise Zahnmedizin gefragt. 60 Prozent der Befragten gaben an, das Konzept zu kennen, 40 Prozent sagt dieses Konzept nichts. Zahnärzte, die sich persönlich in einer starken Wettbewerbssituation zu anderen Kollegen sehen, und männliche sowie jüngere Zahnärzte kennen das Konzept zu höheren Anteilen.

Gefragt danach, welche Bedeutung das Konzept für die eigene berufliche Tätigkeit hat, geben allerdings nur 14 Prozent der Befragten an, dass dieses Konzept für die eigene Berufsausübung „sehr wichtig“ sei (Tabelle 4). Hier messen die jüngeren Zahnärzte sowie Zahnärzte, die Allgemeinerkrankungen für eigene Therapieentscheidungen für sehr wichtig halten, diesem Konzept für die eigene Berufsausübung eine höhere Bedeutung zu als der Durchschnitt der befragten Zahnärzte.

Gefragt nach möglichen Problemen bei der Anwendung von EbM in der eigenen Arbeit, gaben die Zahnärzte vor allem vier Gründe an: die erhöhten Kosten, den steigenden Zeitaufwand, den Verlust der Unabhängigkeit der eigenen Therapie und den Verlust der Individualität der Patienten.

Mündiger Patient:

Die Wissenschaftler fragten ferner nach der Wichtigkeit des Leitbildes des informierten Patienten. 24 Prozent der Befragten halten dieses Leitbild für sehr wichtig, 55 Prozent für wichtig. Nur ein Prozent der Befragten meinen, dass der „informierte Patient“ völlig unwichtig sei. Hierbei zeigen sich teilweise deutliche Unterschiede je nach Altersgruppe: Die jüngeren Zahnärzte messen dem Leitbild des informierten Patienten eine erkennbar höhere Bedeutung zu. Auch das Konzept des „Shared Decision Making“, das in der Arzt-Patient-Beziehung immer stärker Einzug erhält, kommt den Zahnärzten der Befragung zufolge anscheinend bei Entscheidungsfragen zu bestimmten Therapieoptionen sehr entgegen.

Wettbewerb mit Berufskollegen:

Fast 57 Prozent aller Befragten meinen, dass sie sich „sehr stark“ oder „stark“ in einem Wettbewerb mit Kollegen sehen (Tabelle 5). Interessant dabei ist, dass sich Zahnärztinnen signifikant weniger in einer Wettbewerbssituation empfinden als ihre männlichen Kollegen.

Die Wettbewerbssituation wirkt sich auch auf die Beurteilung der persönlichen wirtschaftlichen Situation in den nächsten fünf Jahren aus. So sehen über 50 Prozent der befragten Zahnärzte ihre Situation in der Zukunft für schlechter an, nur 16 Prozent meinen, dass sie „etwas besser“ oder „deutlich besser“ werden wird. Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind signifikant, über 55-jährige Zahnärzte beurteilen ihre Perspektiven deutlich schlechter als die jüngeren, obwohl sie doch eher in etablierten, schuldenfreien Praxen arbeiten.

Rolle der Fortbildung:

Mit diversen Strategien versuchen die Zahnärzte, die veränderten Anforderungen zu bewältigen (Tabelle 6): An erster Stelle steht die fachliche Fortbildung, die von praktisch allen befragten Zahnärzten angegeben wird, gefolgt von Fortbildung zu abrechnungstechnischen Themen und zur Praxisorganisation. Die Fortbildung der Praxismitarbeiter hat mit 78 Prozent gleichfalls einen hohen Stellenwert. Die Einführung eines spezifisch zahnärztlichen Qualitätsmanagementsystems wird von knapp 50 Prozent genannt, sicher nicht nur, weil dadurch Optimierungspotenziale in der Praxis freigesetzt werden, sondern auch, weil der Nachweis von Qualitätsmanagement bis Ende 2010 verpflichtend eingeführt wurde. Mit über 30 Prozent ist die Teilnahme an zahnärztlichen Qualitätszirkeln beachtenswert.

Arbeitsschwerpunkte:

Eine weitere Möglichkeit, auf veränderte Anforderungen zu antworten, ist es, Arbeitsschwerpunkte einzurichten. Die zunehmende Nachfrage nach curricularer Fortbildung und postgradualen Masterstudiengängen macht diese Strategie aktuell. Mehr als 50 Prozent aller allgemeinzahnärztlich tätigen befragten Zahnärzte haben bereits Arbeitsschwerpunkte gesetzt, und zwar am häufigsten in den Bereichen Prävention, Prothetik und Parodontologie. In den Schwerpunkten unterscheiden sich Zahnärztinnen von Zahnärzten. Deutlich mehr Zahnärztinnen wählen die Kinderzahnheilkunde und die Kieferorthopädie, während Prothetik und Implantologie eher männliche Domänen sind (Tabelle 7). Allein in den letzten fünf Jahren haben 68 Prozent, also über 2/3 der befragten Zahnärzte, die Schwerpunkte haben, noch neue Arbeitsschwerpunkte eingeführt oder die eingerichteten Arbeitsschwerpunkte gewechselt.

Die Setzung von Arbeitsschwerpunkten ist die am häufigsten genannte Strategie bei Männern wie bei Frauen, gefolgt von der Überlegung, neue Praxisformen einzurichten und eine Spezialisierung mit formalem Abschluss anzustreben (Tabelle 8). Die Einbindung in Versorgungsnetze als neue Form der Kooperation und die Entscheidung für einen anderen Berufsstatus spielen demgegenüber eine geringe Rolle.

Bemerkenswert vor dem Hintergrund der Debatte „Generalist versus Spezialist“ ist die Antwort von 19 Prozent der Befragten, die eine Spezialisierung mit formalem Abschluss für sich selbst in Erwägung ziehen. Zurzeit liegt der Anteil von Spezialisten mit formalem Abschluss (Fachzahnarzt, postgradualer Master) bei etwas über 10 Prozent.

Beinahe ein Viertel (22,8 Prozent) der befragten Zahnärzte sehen jedoch keine Entwicklungspotenziale für ihre zahnärztliche Berufsausübung. Dort sind überproportional Zahnärzte der höheren Altersgruppen, aus Einzelpraxen, mit niedrigen Anteilen an Privatpatienten und Privateinnahmen und Zahnärzte, die in den letzten fünf Jahren keine Arbeitsschwerpunkte gewählt haben, vertreten. pr

Dr Wolfgang Micheelis / IDZ, Barbara Bergmann- Krauss / ZZQ und Prof. Dr. Elmar Reich / Biberach: „Rollenverständnisse von Zahnärztinnen und Zahnärzten in Deutschland zur eigenen Berufsausübung – Ergebnisse einer bundesweiten Befragungsstudie“, IDZInformation Nr. 1/10, 26. Februar 2010

Die IDZ-Information kann kostenlos beim IDZangefordert werden:IDZ, Universitätsstr. 73, D-50931 Köln,Tel.: 0221/4001-0Fax: 0221/404886idz@idz-koeln.deErhältlich auch als Download unter:www.idz-koeln.de

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