Gastkommentar

Soziale Marktwirtschaft

Die Wirtschaftskrise ermöglicht eine Renaissance gesellschaftsethischer Diskussionen und die Rückbesinnung auf soziale Errungenschaften, meint Jutta Visarius vom LetV-Verlag, Berlin.

Auf dem FDP-Parteitag in Frankfurt wurde zum ersten Mal seit langer Zeit wieder das hohe Lied der Sozialen Marktwirtschaft gesungen. Und Daniel Bahr verkündete anlässlich der Pflegereform, man wolle mit dieser auch den Zusammenhalt der Gesellschaft festigen.

Erstaunlich, gehört die FDP-Führung doch seit vielen Jahren zu den eifrigsten Verfechtern des Neoliberalismus, der aus der Wirtschaftswissenschaft, aus den USA zu uns herübergeschwappt war. Freie Märkte, vor allem freie Finanzmärkte, Eigenvorsorge, Kapitaldeckung et cetera wurden wie eine Monstranz durch die Lande getragen.

Doch war es die Soziale Marktwirtschaft, das deutsche Erfolgsmodell, basierend auf den Theorien des Ordoliberalismus, der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik, systematisch miteinander verbunden und zu einem Neuen gestaltet, die Deutschland Wohlstand und sozialen Frieden beschert hatte. Die daraus abgeleiteten Prinzipien Solidarität und Subsidiarität wurden in Tarifpartnerschaft, Selbstverwaltung und Sozialgesetzgebung mit Leben erfüllt. Dies alles galt vielen in Zeiten einer globalen Wirtschaft als überholt, weltfremd und insuffizient, als Hängematte und Sozialromantik.

Der Wind scheint sich nun wieder zu drehen. Gründe sind die Banken-, Finanzmarkt-, Staatsfinanzenkrisen, die vielen Blasen und das unverantwortliche Verhalten der jeweiligen Akteure. Die Folgen sind weltweit bitter zu spüren – über durch Spekulationen verursachte Hungersnöte bis zum Staatsbankrott. Auch bei uns lassen sich die Auswirkungen der neoliberalen oder einer stark vom Neoliberalismus beeinflussten Politik nachweisen: Die Einkommensschere driftet weiter auseinander, die Reallöhne sind nachweisbar in den letzten Jahren gesunken, ausbeuterische Praktiken haben in Unternehmen Einzug gehalten, Soziales wird als sozialistischer Unsinn gebrandmarkt.

Die Auswirkungen der Krisen lassen die Bürger um ihr Erspartes, um ihren Wohlstand fürchten, sie haben Angst um ihre Zukunft, um die ihrer Kinder und um ihre Alterssicherung – insbesondere, wenn sie sich privat abgesichert haben. Neoliberale Ideen haben zurzeit keine Konjunktur mehr. Auch im Gesundheitswesen hatte sich neoliberales Gedankengut niedergeschlagen, die Prämie ist das folgenträchtigste Beispiel, ein Mantra von Union und FDP, aber Fremdkörper in einer Sozialen Marktwirtschaft.

Das Wort Prämie hat Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Leipzig tunlichst vermieden. Als sie den Mindestlohnkompromiss den Delegierten schmackhaft machte, sprach sie nur noch schamhaft von Lohnabkopplung. Dies und noch viel mehr habe man für die Unternehmen geleistet. Wenn diese jetzt aber unverantwortlich mit ihren Mitarbeitern umgingen, müsse die Politik dies verhindern. Genau das ist Soziale Marktwirtschaft. Die Kanzlerin besinnt sich wieder auf die Wurzeln der Union, es ist nicht nur ein plattes Schielen nach der SPD. Soziale Marktwirtschaft ist ebenso wie Demokratie nicht vollkommen, aber es lässt sich nun mal nichts Besseres finden.

BZÄK-Präsident Peter Engel hat es in seiner Rede auf dem Zahnärztetag auf den Punkt gebracht: „Das Gesundheitswesen steckt nicht in einer Krise des Geldes, sondern der Moral.“ Moral und Ethos lassen sich nun aber leider oder Gott sei Dank nicht verordnen. Doch man kann sich davon lösen, dass das allein selig Machende immer mehr Geld ist. Man kann ein Berufsethos lehren, weitergeben und vorleben. Man kann Strukturen so gestalten, dass sich Prosperität entfalten kann, aber mit Grenzen und sozialen Klammern. Man kann Subsidiarität und Selbstverwaltung stärken und fördern. Genau das ist die Kultur der Sozialen Marktwirtschaft. Sie bedarf der Moral und eines Ethos, auch eines Berufsethos. Das muss aktiv gelebt werden. Dazu bedarf es guter Vorbilder.

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