Schuhe in der Praxis

Docs, Crocs, Clogs & Co.

Frauen sind ihnen hoffnungslos verfallen, für Männer sind sie meist nur Mittel zum Zweck: Schuhe begleiten uns auf Schritt und Tritt und das bereits seit mehreren tausend Jahren. Einst als Schutz vor Kälte und Untergrund erfunden, repräsentieren sie heute wie kaum ein anderes Kleidungsstück die Persönlichkeit des Trägers. Durchschnittlich vier Paar Schuhe leistet sich jeder Deutsche pro Jahr. Doch besonders für den Arbeitsalltag sollten neben modischen Vorlieben auch gesundheitliche Risiken bei der Kaufentscheidung berücksichtigt werden.

Es muss viele Zehntausende Jahre her sein, seit einer unserer Vorfahren es leid war, sich beim Gehen die Füße zu verletzen: Ein Schutz für die Fußsohlen musste her, sodass Dornen, spitze Steine und Kälte dem Wandersmann nichts mehr anhaben konnten. Die vielen unterschiedlichen Lebensräume, die der Mensch im Lauf seiner Geschichte erobert hatte und die hohen Belastungen, die der aufrechte Gang seinen Füßen abverlangte, erforderten fast zwangsläufig eine individuelle schützende Fußbekleidung. Wie tauglich das Schuhwerk der Steinzeitmenschen bereits vor 5 300 Jahren war, lässt sich gut an der Gletschermumie „Ötzi“ erkennen: Experten haben sich Ötzis Treter genau angeschaut und ihnen eine perfekte Eignung für Klettertouren in den Alpen bescheinigt. Mit einigen Eigenschaften erfüllen sie sogar die Anforderungen, die moderne Hersteller von Trekkingausrüstung an ihre Produktentwicklungen stellen. Eine dünne Sohle aus Bärenleder lässt Schweiß und eindringendes Wasser gut nach außen gelangen, schützt aber dennoch vor dem kalten Gebirgsboden. Ein Geflecht aus Bastfasern, Hirschleder und eine wärmende Fütterung aus Heu vervollkommnen die Hochleistungsalpenstiefeletten, die Ötzis Füße wohlgebettet lange Wandertouren überstehen ließen.

Doch die Vorteile schützender Fußkleider wussten auch Menschen in ganz anderen Regionen zu schätzen: In Armenien belegt der Fund eines Lederschuhs eine mindestens 5 500 Jahre alte Tradition, in Missouri in den USA wurden etwa 7 300 Jahre alte Sandalen aus pflanzlichen Materialien entdeckt. Wann und wo die Geburtsstunde des Schuhs genau geschlagen hat, ist unklar. Denn die Überreste der schnell verrottenden Öko-Treter sind seltene Einzelfunde.

Untersuchungen an menschlichen Knochen liefern jedoch interessante Hinweise, seit wann sich unsere Vorfahren gegen das Barfußlaufen entschieden haben. Eine Arbeitsgruppe um Professor Erik Trinkaus von der Washington University in St. Louis verglich die Dicke bestimmter Fußknochen verschieden alter fossiler Funde miteinander und machte dabei eine überraschende Entdeckung: Während die etwa 40 000 Jahre alten menschlichen Überreste in der chinesischen Tianyuan-Höhle in bestimmten Fußbereichen relativ feingliedrig waren, sahen die gleichen Knochen älterer Funde weitaus robuster aus. Die Forscher schlussfolgerten, dass Schuhe im Verlauf des Peking-Menschenlebens die Knochen entlastet hatten und sie deshalb bis zu ihrem Tod wesentlich graziler blieben. Somit gehen Paläontologen davon aus, dass der Mensch schon seit mehr als 40 000 Jahren seine Füße nicht mehr ungeschützt den plagenden Einflüssen der Natur überlässt – und wie sich zeigt, hat das auch Auswirkungen auf den Fuß selbst.

Denn der menschliche Körper ist kein starres System, sondern weist in Wachstum und Verformbarkeit eine erstaunliche Flexibilität auf. Gut zu beobachten ist dies bei den so genannten Giraffenhalsfrauen aus Myanmar, die durch das langjährigen Tragen massiven Halsschmucks beträchtliche Deformationen des Skeletts hinnehmen müssen. Auch im Fußbereich sind extreme Verformungen weitläufig bekannt: Das Einschnüren von Frauenfüßen hatte in China noch bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine fast 1 000-jährige Tradition und führte zu den berüchtigten Lotosfüßen. Um den „Marktwert“ ihrer Töchter zu erhöhen, schreckten Mütter sogar nicht davor zurück, die Fußknochen ihrer Mädchen zu brechen und die Füße eng zu bandagieren. Um den „Marktwert“ ihrer Töchter zu erhöhen, schreckten Mütter sogar nicht davor zurück, die Fußknochen ihrer Mädchen zu brechen und die Füße eng zu bandagieren. Mit einer Endlänge der Füße von etwa 13 Zentimetern, war es den erwachsenen Frauen dann kaum möglich, schmerzfrei zu gehen – doch auf Männer wirkte die absolute Hilflosigkeit der Frauen äußerst attraktiv. Heutzutage scheint eher das Gegenteil die Männerwelt zu reizen: Frauen in High Heels ziehen die Blicke auf sich, die Signalwirkung der Stöckelschuhe ist nicht zu leugnen. Warum genau diese Schuhe so verführerisch sind, können auch Verhaltensbiologen nur vermuten. Ein Mehr an Körpergröße, die laut zu vernehmenden Schritte oder die auf reizende Veränderung der Körperhaltung mögen jedenfalls durchaus dazu beitragen, beim anderen Geschlecht Aufmerksamkeit zu erregen. Doch auch diese Schuhmode hat einen hohen gesundheitlichen Preis: Das regelmäßige Tragen hochhackiger Schuhe verformt die Knochen und endet manchmal mit schmerzhaften Spätfolgen. Eine Studie am Institute for Aging Research of Hebrew Senior Life mit mehr als 3 000 älteren Teilnehmern ergab, dass mehr als zwei Drittel der Frauen mit Schmerzen im Hackenbereich in einer früheren Lebensphase hochhackige Schuhe getragen hatten.

Untersuchungen zeigen, dass High Heels das Risiko für Kniearthrosen und Gelenksdegenerationen erhöhen. Und extrem überzeugte Stöckelschuhträgerinnen haben verkürzte Wadenmuskeln und eine verdickte steifere Achillessehne – was für sie das Barfußlaufen wiederum unangenehm macht.

Neben High Heels gibt es allerdings auch andere Trends in der Schuhmode, die Orthopäden Sorgen bereiten: Spitz zulaufende und zu kurze Schuhe zwängen den Fuß in Fehlstellungen, die auf Dauer schmerzhafte Entzündungen an Kapseln und Bändern nach sich ziehen. Die Störung des natürlichen Zusammenspiels von Gelenken, Sehnen und Muskeln der Zehen endet mit einem permanenten Schiefstand der Zehen.

Veränderungen der Fußknochen, die im Volksmund als Überbein, Hammerzeh oder Krallenzeh bekannt sind, können in höherem Lebensalter häufig nur noch durch eine Operation in einen schmerzfreien Zustand zurückgeführt werden. Um so erschreckender ist es, dass laut internationalen Studien bereits mindestens jedes zweite Kind seine Füße in zu kleine Schuhe quetschen muss. Als Konsequenz haben nur 40 Prozent der Erwachsenen gesunde Füße, während 98 Prozent der Neugeborenen noch glücklich über ihre wohlgeformten unversehrten Füße sein können.

Der beste Schuh für den Job

Grund genug also für jedermann, besonders im Arbeitsleben über geeignetes Schuhwerk nachzudenken. Was wir tagtäglich mindestens acht Stunden an unseren Füßen tragen, sollte aus Sicht von Orthopäden weniger nach ästhetischen als vielmehr nach gesundheitlichen Aspekten ausgewählt werden. Dass Pumps dabei nicht die erste Wahl sind, mag auf der Hand liegen. Aber die Vielzahl an Marken, Formen und Stilen bringt so manchen ins Grübeln, welcher Schuh wohl „den besten Job“ macht. Sind es Schuhe mit einem ergonomisch geformten Fußbett, festes Schuhwerk mit dicker Sohle, das stets ein sicheres Auftreten gewährleistet oder doch eher Turnschuhe – schließlich wird bei der Arbeit oft eine sportliche Leistung verlangt, wenn lange Wege schnell und zügig überwunden werden müssen? So zahlreich wie die Argumente für einen bestimmten Schuh sind, so unterschiedlich ist dann auch die Fußbekleidung, die man im Alltag beobachten kann (siehe Info-Kasten). Auch Gesundheitsexperten waren sich lange nicht einig darüber, was auf Dauer Skelett, Bänder und Gelenke schont: „Vor rund 30 Jahren kursierte noch die Idee, man müsse den Aufprall des Fußes möglichst gut dämpfen und viel Energie absorbieren“, erklärt Prof. Gert- Peter Brüggemann, Biomechaniker an der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Doch dadurch wurde der Schuh sehr instabil.

Heute wissen wir, dass die wirkenden Kräfte beim Aufprall viel geringer sind als beim Abstoßen.“ Auch das folgende Konzept der „Motion Control“, das dem Schuhträger eine „geführte“ Bewegung des Fußes versprach, hält der Experte heute für überholt: „Wichtig ist vielmehr, dass ein Schuh sehr flexibel ist und leicht elastische Elemente in der Sohle besitzt. Diese sollten sich gut an den Fuß anformen und ein Barfußlaufen auf weichem Boden simulieren.“ Daher zeigt der Experte auch allen überzeugten Dauerbarfußläufern die Rote Karte: In der Regel seien die Böden viel zu hart für unsere Füße, optimal wäre als Lauffläche ein frischer Rasen.

Doch meist ist es nicht die gesundheitliche Weitsicht, die bei der Wahl des Schuhs im Vordergrund steht. Auch beim Arbeitsschuh spielt Design und gesellschaftliche Akzeptanz eine entscheidende Rolle. Während vor Jahren bei medizinischem Personal eine besondere Vorliebe für Birkenstockschuhe mit einem bequemen Fußbett aus Kork zu beobachten war, werden heutzutage Sammelbestellungen für den Vollgummischuh der Marke Croc in Auftrag gegeben. Kaum ein Schuh spaltet die Menschen so in Sympathisanten und Gegner, wie die knallbunten Treter mit Wohlfühlfaktor. Was vor gut zehn Jahren als Nischenprodukt vor allem bei Seglern und Gartenfreunden viele Anhänger fand, avancierte 2006/2007 zum umstrittenen Modephänomen, nachdem sich der Tragekomfort weltweit herumgesprochen hatte. Auch wenn Lifestyle-Kolumnen sich ausgiebig über die „hässlichen Entlein“ lustig machten – Ex-US-Präsident Bush, Michelle Obama oder Jack Nicholson scherten sich wenig um den guten Geschmack der Fashion-Journaille und betteten ihre Füße in die Schaumharzsandalen. Die jüngsten Geschäftszahlen des Herstellers bestätigen weiterhin den Erfolg der Idee: Im zweiten Quartal 2010 konnte das Unternehmen seinen Umsatz um 31 Prozent steigern, seit 2002 wurden 120 Millionen Paar Schuhe verkauft. Daran änderte auch eine kritische Bewertung der Zeitschrift „Ökotest“ nichts, die in den Schuhen möglicherweise krebserregende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) nachwies. Ein weiteres PR-Fiasko ereilte das Unternehmen im Sommer 2008, als eine Studie vor einer elektrostatischen Aufladung durch das Tragen der Schuhe warnte, worauf Wiener Kliniken mit einem Verbot der Gummilatschen reagierten. Ein Jahr später folgte daraufhin eine neue Crocs-Linie mit dem Namen „Work shoes“, die ausdrücklich antistatisch ist.

Doch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege ist nach wie vor wenig begeistert von der Gummi- Mode beim Pflegepersonal. „Die elektrostatischen Eigenschaften der Crocs waren nie unser Hauptkritikpunkt,“ erläutert Lothar Sperber, Präventionsexperte der BGW in Karlsruhe. „Wir empfehlen die Schuhe nicht, weil sie keine feste Fersenschale haben und somit keine vernünftige Seitenstabilität bieten können.“ Solange Schuhe keine ausreichende Festigkeit im Fersenbereich gewährleisten, könne er besonders medizinischem Personal nur von dieser Modeerscheinung abraten. Stattdessen empfiehlt Sperber, wie auch Biomechaniker Brüggemann, auf die Angebote der Sportartikelhersteller zurückzugreifen: Ein qualitativ hochwertiger fester Sportschuh erfüllt in der Regel alle Ansprüche, die Präventionsfachleute an einen geeigneten Arbeitsschuh stellen. Er gibt sicheren Halt, schützt vor herabfallenden Materialien und zeichnet sich durch eine angemessene Rutschfestigkeit aus.

Der Schuh, der den Pomuskel formt

Und da Halt eine wesentliche Eigenschaft von guten Arbeitsschuhen ist, disqualifiziert sich auch ein neuer Wundertreter am Schuhhimmel: Der MBT-Schuh. MBT steht für Massai-Barfuß-Technologie und soll andeuten, dass mithilfe dieser Schuhe ein Barfußlaufen auf natürlichem Untergrund simuliert wird – so wie es das ostafrikanische Volk der Massai täglich kilometerweit praktiziert. Ein weicher Fersenbereich und eine bogen–förmige Sohle zwingen die Fußmuskulatur zu stabilisierenden Ausgleichs- bewegungen. Ob diese Zusatzbeanspruchung – so wie es einige Anbieter versprechen – sogar Cellulite bekämpfen kann, bleibt fraglich. Doch verschiedene Studien haben bereits gezeigt, dass MBT-Schuhe bei Rücken- und Gelenksproblemen deutliche Verbesserungen erzielt haben. Experten warnen jedoch davor, MBT-Schuhe als normales Alltagsschuhwerk zu betrachten. Vielmehr sind sie Trainings- und Therapiegeräte, die die Fähigkeit zu balancieren erhöhen sollen. Gleichzeitig bergen sie aber auch die Gefahr, in kritischen Situationen oder bei Ermüdung deutlich schneller umzuknicken.

Ebenso wird es ungemütlich auf der Rolltreppe und im Zug oder an Bord, wenn eine von Außen zugefügte Bewegung ausgeglichen werden muss. Da kommt der Träger dann schon mal ins Kippeln. Gleiches gilt natürlich auch für Schuhe wie den Finnamic- Rollenschuh oder den ReflexControl-Schuh, die durch gezielte Instabilitäten eine Verbesserung von Körperhaltung und neuromuskulären Fähigkeiten erreichen wollen.

Mit welchen weiteren Schuhinnovationen die Schuhbranche in Zukunft um Kunden buhlen wird bleibt abzuwarten. Ein ausgemachtes Ziel wird es sein, den Verbraucher mit gut passendem Schuhwerk zu versorgen. Wie der jüngste Deutsche Fußreport ergab, tragen 82 Prozent der Bevölkerung zu große oder zu kleine Schuhe. Ein Problem dabei dürfte sein, dass Füße sehr unterschiedlich gebaut sind. Männerfüße gleichen Frauenfüßen nicht, und die Füße eines Australiers sind anders geformt wie die eines Deutschen. Professor Brüggemann ist daher überzeugt, dass sich ein Besuch in einem Schuhgeschäft der Zukunft etwas anders gestalten wird: „Ich denke, dass es bald ähnlich wie heute schon in Japan ablaufen wird: Im Laden wird der Fuß gescannt und so sehe ich sofort, welcher Schuh passt.“ Bei den Maßen sollen dann auch nicht nur die Längen, sondern auch die Breite und die übrige Fußform berücksichtigt werden. Fehlstellungen, Kopf- und Rückenschmerzen durch falsches Schuhwerk könnten dann endlich der Vergangenheit angehören.

Dr. Mario B. LipsWissenschaftsjournalistDudenstr. 3410965 Berlinmariolips@web.de

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