Gastkommentar

Warten auf die Reife

Das frisch verabschiedete Versorgungsstrukturgesetz lässt sich nicht pauschal beurteilen. Ob die neuen Maßnahmen Früchte tragen, liegt in der Verantwortung aller Akteure, meint die gesundheitspolitische Fachjournalistin Gisela Broll aus Berlin.

Mitten in der Eurokrise hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr seinem unerbittlichen Kollegen im Bundesfinanzministerium Wolfgang Schäuble Gelder abgetrotzt. Nicht nur 1,1 Milliarden Euro für die Pflege, auch das jüngst im Bundestag verabschiedete GKV-Versorgungsstrukturgesetz verspricht, insbesondere den niedergelassen Ärzten und auch Zahnärzten unter bestimmten Voraussetzungen eine Verbesserung der Honorierung. Analog zur Kritik an der angekündigten Pflegereform wird Bahr auch bei diesem Gesetz vorgeworfen, in An-sätzen steckengeblieben zu sein, ohne eine Reform in wesentlichen Strukturfragen eingeleitet zu haben.

Sicherlich enthält das Gesetz eine Fülle von Einzelregelungen, die nur bedingt eine Verbindung zum allseits kommunizierten Hauptgegenstand des Gesetzes, der Verbesserung der ärztlichen Versorgung auf dem Land, enthalten. Andererseits versucht es, zahlreichen Forderungen Rechnung zu tragen, die aus unterschiedlichsten Lagern an die Koalition herangetragen wurden. Das Spektrum der Regelungen reicht von A wie Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung und B wie Neuregelungen zur Bedarfsplanung und Zulassung über F für Regelungen zur zügigeren Terminvergabe für GKV-Versicherte bei Fachärzten, G zu Neuregelungen beim Gemeinsamen Bundesausschuss oder M wie Regelungen zur Medizinischen Versorgungszentren, P für die Entgeltregelungen bei Privatkliniken, R als Stichwort für Regionalisierung oder V bei der Neuordnung der Regelungen zur vertragszahnärztlichen Vergütung bis hin zu Z, der Verbesserung der Zahnärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen.

Dass ein FDP-Gesundheitsminister, noch dazu unter politischem Überlebensdruck und damit getrieben zu dezidierter politischer Profilierung, eher an den Interessen der Ärzteschaft ausgerichtet ist, vermag nicht zu verwundern. Allerdings versuchen viele Neuregelungen, schwelende Konflikte oder auch lange angemahnte Sach-Probleme aus dem Weg zu räumen, und gehen damit weit über „Klientel-Politik“ hinaus. Nicht zuletzt deshalb bewegen sich nicht nur die CDU, sondern auch die sonst gerne bockige CSU im argumentativen Gleichschritt mit dem Bundesgesundheitsminister beim Lob des Gesetzes. Und die Opposition weiß nicht so recht, wo sie öffentlichkeitswirksam ansetzen soll, sitzt sie doch bei vielen Regelungen in der geistigen Urheberschaft mit im Boot, beispielsweise bei der zügigeren Facharztterminvergabe für GKV-Versicherte.

Pauschal lässt sich das Gesetz nicht beurteilen, sondern man wird die Vielzahl an Regelungen und vor allem deren Umsetzung einzeln betrachten müssen. Die Verantwortung liegt nun vor allem bei den Akteuren, und hier insbesondere der Ärzteschaft, die an der Gesetzesausgestaltung teilweise auch sehr intensiv mitgewirkt haben soll. Aus Rechten erwachsen nun einmal auch Pflichten: Befürchtungen der Krankenkassen sind künftig zu widerlegen, zwar die Segnungen des Gesetzes gerne entgegenzunehmen, ohne beispielsweise zu beweisen, dass die Sicherstellung der Versorgung auf dem Land jetzt besser gewährleistet werden kann. Die Koalition hat mit diesem Gesetz die Rücknahme der einstgefeierten Verpflichtung zur Vereinbarung ambulanter Kodierrichtlinien, deren Ausführung sich zu einem Albtraum für die Führung der Kassenärzte entwickelte, gesichtswahrend unter dem Stichwort „Entbürokratisierung und Deregulierung“ begraben. Aber: Dort wo sich insbesondere der Gesundheitsminister mit dem Gesetz weit aus dem Fenster lehnt, wird er umso genauer in die Runde schauen, ob die erwartete Ernte auch eingefahren wird. Die von Schäuble in das Gesetz hineinverhandelte Evaluation der Kostenauswirkungen mit eventuellen Konsequenzen auf die Staatszuschüsse zur GKV bilden ein ständiges Drohpotenzial, auch gegebenenfalls der Union im Wahljahr, gegen Daniel Bahr. Und das ist für alle Beteiligten ungemütlich.

■ Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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