Personalisierte Medizin

(K)eine Pille für alle

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Die moderne Medizin hat eine Erkenntnis gewonnen: Unsere individuelle genetische Ausstattung hat wesentlichen Einfluss auf die Wirkung von Medikamenten. Gängige Therapien nach dem Motto „Eine Pille für alle“ berücksichtigen jedoch nicht, dass Herr Müller und Frau Meier auf die gleiche Behandlung unterschiedlich reagieren können. Die Personalisierte Medizin verspricht hingegen, im Sinne des Patienten unerwünschte Nebenwirkungen zu begrenzen, ja sogar zu verhindern. Leistungs- und Kostenträgern schmeichelt die innovative Therapieform mit Attributen wie Sicherheit und langfristiger Kosteneffizienz.

Mit Kanonen auf Spatzen schießen.“ Mit diesem Bild vergleichen Hardliner den Status Quo in der Therapie. Die Schwierigkeit: Ob ein Mensch sich für eine spezifische Behandlung eignet, ist eine Frage seines Erbgutes. Konventionell verabreichte Pharmaka berücksichtigen das nicht. Oft fehlt die Evidenz. Aktuelle klinische Studien zeigen: Durch die Einnahme von gängigen Asthmamedikamenten, sogenannten Beta-2-Agonisten stellt sich bei 40 bis 70 Prozent der Patienten keine messbare Besserung ein. Gleiches gilt für 30 bis 70 Prozent der cholesterinsenkenden Statine oder 20 bis 50 Prozent aller Antidepressiva. Mit der der Diagnose Krebs werden jährlich mehr als zwölf Millionen Menschen konfrontiert. Tendenz steigend. Die Patienten erhoffen sich durch die moderne Medizin schnelle Hilfe. Krebs und anderen Erkrankungen frühzeitig Einhalt zu gebieten verspricht die individualisierte Medizin – häufig auch als Personalisierte Medizin bezeichnet. Der Weg: Wissenschaftler arbeiten gemeinsam mit Ärzten daran, Diagnostik und Therapie auf den einzelnen Patienten abzustimmen. Das Ziel: Eine Vorhersage von individuellen Krankheitsrisiken. Und eine Behandlung im Anfangsstadium mit einem Minimum an Nebenwirkungen. „Jedes Jahr werden in Europa rund 500 000 Menschen infolge von Nebenwirkungen der von ihnen konsumierten Medikamente ins Krankenhaus eingeliefert“, berichtet Prof. Fred Harms, Vizepräsident der European Healthcare Foundation in Zürich. Dieser Patientengruppe entgehe eine potenziell wirksamere Therapie. Dies führe zu einer ineffizienten Verwendung medizinischer und monetärer Ressourcen im Gesundheitssystem, argumentiert Harms. Könnte der behandelnde Arzt im Vorfeld absehen, wie ein Patient auf eine Therapie reagiert, wäre der Weg zur gezielten und sicheren Behandlung geebnet, ist er überzeugt.

Vielversprechende Therapieform

In Zukunftsstudien wird die individualisierte Medizin als Therapieform der kommenden Dekaden ausgewiesen – befördert durch das Zusammenspiel aus medizinischem Bedarf, der technologischen Entwicklung der Genom- und Postgenomforschung sowie der wachsenden Bedeutung von Patientenrechten im Gesundheitssystem.

Auch die Bundesregierung signalisiert Interesse. So zählt Gesundheit in der Hightech- Strategie 2020 zu den fünf großen Schwerpunkten. Ein Gebäude auf der Großbaustelle: Krankheiten besser therapieren mit individualisierter Medizin. Auch im kürzlich vorgestellten Rahmenprogramm Gesundheitsforschung 2011 der Bundesregierung wird der Wille zur Weiterentwicklung der Forschungsvorhaben im Bereich individualisierte Therapie bekundet. Insgesamt stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den kommenden vier Jahren für die Gesundheitsforschung stattliche 5,5 Milliarden Euro bereit.

Die schwarz-gelbe Koalition zeigt hier Geschlossenheit. Dr. Rolf Koschorrek, (CDU) ZA und Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages erklärte im Gespräch gegenüber den zm: „Wir begrüßen die Personalisierte Medizin. Das wurde auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben.“ Gleichzeitig appellierte Koschorrek an die Wissenschaft, sich des Themas zukünftig verstärkt anzunehmen und eine gesicherte Datenbasis als Diskussionsgrundlage bereitzustellen.

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa) begrüßt den Ausbau der Gesundheitsforschung. Dr. Siegfried Throm, vfa-Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und Innovation, sagt dazu: „Zum Gesamtpaket der Gesundheitsforschung gehört auch eine Stärkung des Bereichs Personalisierte Medizin. Wir haben keinen Zweifel, dass das BMBF diesen Aspekt sehr ernst nimmt und die geplanten Mittel auch einsetzt - auch deshalb, weil das Gesundheitsforschungsprogramm gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) erstellt wurde, und die Personalisierte Medizin zusammen mit der Gewebezüchtung (Tissue Engineering) Hauptthema des letzten BMG-Berichts zur Stärkung des Pharmastandorts Deutschland gewesen ist“. Die Pharma- und Diagnostika-Unternehmen würden ihre Aktivitäten auf diesem Gebiet stetig ausweiten. Einer Umfrage des vfa zufolge werden heute mindestens ein Drittel aller Projekte für neue Medikamente und Arzneimittelanwendungen von einer Suche nach Biomarkern begleitet, die Grundlage eines personalisierten Medikamenteneinsatzes werden könnten, erkläre Throm.

Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des vfa ergänzt: „Pharmaforschung ist risikoreich, langwierig und teuer“, die Entwicklung jeder Medikamenten-Innovation von 2011 wurde schon in den 1990er- Jahren begonnen. Was in diesem Jahr in Pharmalabors in Deutschland und andernorts erfunden wird, dürfte kaum vor 2020 zu den Patienten gelangen, ist Yzer sicher. Deshalb bräuchten forschende Pharma- Unternehmen ein politisches Umfeld, das ihnen ein langfristiges Denken erlaubt. Nur so könnten die großen medizinischen Herausforderungen, wie sie nicht zuletzt die demografische Entwicklung mit sich bringt, gemeistert werden.  

Fördergelder fließen

In der Erwartung, dass eine individualisierte Medizin die Gesundheitsversorgung der Bundesrepublik Deutschland deutlich prägen könnte, werden stetig Gelder bereit gestellt. Aktuelles Beispiel ist eine Initiative des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministeriums. Mit dem, vom europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) geförderten Wettbewerb „perMed.NRW“ will das Land Nordrhein-Westfalen der individualisierten Medizin aus den Startlöchern helfen (siehe Infokasten oben).

In der Wettbewerbs-Jury sitzt neben acht weiteren Wissenschaftlern Prof. Heyo Kroemer. Er leitet die Abteilung Allgemeine Pharmakologie an der Universität Greifswald und ist verantwortlicher Koordinator für das Projekt GANI_MED (Greifswald Approach to Individualized Medicine), das mit mehr als 15 Millionen Euro vom Bund und dem Land Mecklenburg-Vorpommern gefördert wird (siehe Infokasten unten). Gegenüber den zm erklärte der Pharmakologe: „Es ist aus meiner Sicht hoch wahrscheinlich, dass das Gebiet der Personalisierten Medizin in den nächsten Jahren im Fokus der Entwicklung im Gesundheitswesen stehen wird. Ursächlich dafür sind zwei treibende Kräfte. Zum einen der technologische Fortschritt: Er erlaubt die genaue Charakterisierung einzelner Patienten. Und zum Zweiten der demografisch bedingte Druck zur besseren Allokation der Ressourcen im Gesundheitswesen.“ Wettbewerbe wie PerMedNRW könnten wesentlich dazu beitragen, diese Entwicklung zu beschleunigen. Momentan werden an vielen Medizinstandorten Personalisierungskonzepte zu einzelnen Krankheitsbildern verfolgt. „Greifswald hat“, so Kroemer, „mit dem GANI_MED Projekt den umfassendsten Ansatz, Strategien zur Personalisierten Medizin in ein Uni-Klinikum einzuführen“. Dabei würden neben experimentellen Ansätzen auch ethische und gesundheitsökonomische Fragen bearbeitet.

Die Ethik im Blick

Die ethischen Aspekte sind vielfältig: „Sie beginnen mit der Möglichkeit, von der Gabe eines Medikaments oder der Durchführung einer diagnostischen Maßnahme auf Basis bestimmter Tests abzuraten und gehen bis zu Fragestellungen, wie mit Zufallsbefunden im Rahmen von Screeninguntersuchungen umgegangen wird“, zählt Kroemer auf. Auch Erwägungen zum Datenschutz spielen hier eine Rolle. Wie hoch das Einsparpotential auf der Ausgabenseite aus volkswirtschaftlicher Sicht sein kann, könne derzeit noch nicht seriös beantwortet werden. Kroemer: „Der gesundheitsökonomische Teil von GANI_ MED wird die zur Beantwortung der Frage notwendigen Methoden entwickeln.“ Mit Blick auf die kommenden Dekaden werde es unabdingbar sein, große Verbundprojekte zwischen verschiedenen akademischen Partnern, aber auch der Industrie durchzuführen, um das Potenzial wirklich zu bewerten. Es bleibe zu hoffen, dass Deutschland in der Organisation solcher Verbünde erfolgreich sein wird und in der Entwicklung von Methoden der personalisierten Medizin und ihrer Umsetzung in der Krankenversorgung international führend sein kann, resümierte Prof. Kroemer.  

Auch der Deutsche Ethikrat prüft die Möglichkeiten und Grenzen der Individualisierung von Diagnose und Therapie. Bei einem „Forum Bioethik“, das diese Fragen interdisziplinär betrachtet, konstatierte Ethikrat- Mitglied Prof. Regine Kollek: „Die Wissenschaft trägt eine Verantwortung bei der Wahl ihrer Leitbilder, mit denen sie neue Entwicklungen propagiert.“ Hinsichtlich des Anspruchs einer Individualisierung sei mehr Zurückhaltung geboten.

Auf der Großbaustelle der individualisierten Medizin ist die Diagnostikindustrie ein Wolkenkratzer.

Mit moderner Diagnostik zur gezielten Behandlung 

Als weltweit größtes Biotech-Unternehmen entwickelt der Global Player Roche klinisch differenzierte Medikamente für die Onkologie, Virologie, Entzündungs- und Stoffwechselkrankheiten und Erkrankungen des Zentralnervensystems und ist Anbieter von In-vitro-Diagnostik und gewebebasierten Krebstests. „Ärzte sind schon immer bemüht gewesen, die Behandlung weitestgehend auf den Patienten abzustimmen“, weiß Severin Schwan, CEO der Roche- Gruppe. Neu sei dagegen die Tatsache, dass die Biologie und die Behandlung von Krankheiten jetzt auf der molekularen Ebene erforscht werden. Auch Diagnostika würden schon lange von Ärzten angewandt. Zum Beispiel in Form von Blutzuckertests, um den Insulinbedarf von Diabetes-Patienten zu bestimmen. Neuere Beispiele für eine von Diagnostika geleitete Therapie seien die Kontrolle der Viruslast und die Ermittlung des Virus-Genotyps. Insbesondere bei Patienten, die mit HIV oder Hepatitis C infiziert sind. Das Prozedere: Die Tests messen die virale Belastung im Blut des Patienten und können auffällige Resistenzen der Viren gegen bestimmte Arzneimittel feststellen. Auf Grundlage dieser Information könnten Ärzte dann besser entscheiden, wie lange und wie aggressiv die Infektion zu behandeln ist und welche Kombination von Arzneien verabreicht werden soll. Den optimalen Wechsel für das Medi kament, respektive eine Änderung der Dosierung könne man ebenfalls bemessen. Labortests bergen in der Prävention, gerade auch im Hinblick auf die Früherkennung von Krankheiten, ein enormes Potenzial. Auch der Präsident des europäischen Diagnostica-Verbands (EDMA), Dr. Jürgen Schulze, ist überzeugt, dass innovative Labortests der Schlüssel zu mehr Effizienz in der Gesundheitsversorgung sind. Schulze: „Ohne eine zutreffende Diagnose gibt es keine gezielte und damit keine kosteneffiziente Behandlung.“ Momentan würden in Deutschland die Chancen zur Kostendämpfung in der Labordiagnostik bei weitem noch nicht voll genutzt. Aus seiner Sicht sollte die Selbstverwaltung stärker in die Pflicht genommen werden, die politischen Vorgaben auch umzusetzen. Schließlich fordert Schulze klare Fristen, in denen über die Aufnahme neuer Labortests in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entschieden werden müsse.  

Fortschritte der Biotechnologie 

Fest steht: Die rasanten Fortschritte der Biotechnologie eröffnen der Medizin ganz neue Wege. Bärbel Hüsing vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung untersucht, welche Gründe es gibt, dass zum einen Krankheiten mit gleicher Diagnose bei verschiedenen Menschen unterschiedlich verlaufen und zum anderen gleiche Therapien unterschiedlich wirksam sein können. „Krankheitsbilder wirken auf den ersten Blick oftmals gleich, auf molekularer Ebene jedoch lassen sich Unterschiede feststellen. Bei Patienten mit gleicher Diagnose können sich wiederum interindividuelle Unterschiede aus dem Zusammenwirken von genetischer Disposition, Umwelt, Verhalten und Therapie ergeben.“ Denn komplexe Erkrankungen würden nicht allein von genetischen Faktoren beeinflusst. Fortgeschritten sei die Forschung in der Entwicklung von Hochdurchsatztechnologien für die Genomsequenzierung. Diese werden in genomweiten Assoziationsstudien eingesetzt, um Biomarker für Gene zu identifizieren, die mit komplexen Krankheiten verknüpft sind.

Biomarker erstellen Patientengruppen  

Zum Aufzeigen der Unterschiede fungieren Biomarker als Indikatoren zur Charakterisierung von normalen und krankhaft veränderten biologischen Prozessen (siehe Infokasten). Im Zusammenhang mit der individualisierten Medizin werden vor allem solche Biomarker erforscht, die im Zuge der Genom- und Postgemomforschung erstmals zugänglich werden.

Das geschieht, indem Hochdurchsatztechniken für die Genom-, Transkriptom-, Proteom- und Metabolomanalyse sowie Verfahren der molekularen Bildgebung zum Einsatz kommen. Aufgabe dieser Biomarker: Patientengruppen in klinisch relevante Untergruppen, sogenannte Strata, einzuteilen, die jeweils einer anderen Behandlung bedürfen. Das klingt nach Medizin nach Maß.

Maßgeschneidert ist aber bekanntlich teurer, als von der Stange oder in diesem Fall: „Eine Pille für alle.“ Bärbel Hüsing erklärt: „Sofern eine besser zielgerichtete, bedarfsgerechte Allokation von medizinischen Leistungen gelingt, können damit auch geringere Kosten durch eine Reduktion von Nebenwirkungen und Fehlversorgungen verbunden sein.“ Die Wissenschaftlerin warnt allerdings davor, den Begriff individualisierte Medizin wörtlich zu nehmen. Diese Interpretation sei in der Realität weder wirtschaftlich, wirtschaftlich, noch praktikabel. Hüsing: „Somit ist eine solche Medizin nicht im eigentlichen Sinne individualisierend, sondern eher stratifizierend.

Das zunehmende Wissen hat dazu geführt, dass die medikamentöse Behandlung in einigen Fällen bereits auf die genetische Ausstattung zugeschnitten werden kann. Gerade bei lebensbedrohlichen Krankheiten, wo es darauf ankommt, in kürzester Zeit einen Therapieerfolg zu erzielen, ist die Medizin an vielen Standorten davon abgekommen,  „mit Kanonen auf Spatzen zu schießen“. Die Behandlung erfolgt erst, nachdem der genetische Status des Patienten – oder bei einer Krebserkrankung dem des Tumorgewebes – mit einem Test geklärt und daraus die Eignung eines Medikaments abgeleitet wurde, ebenso dessen angemessene Dosierung. Fällt der Test negativ aus, weicht der Arzt auf eine andere Behandlung aus. Für die Patienten bedeutet das weniger Therapieversuche und Nebenwirkungen. In einigen Bereichen der Onkologie ist das Verfahren schon Alltag.

In Deutschland ist momentan für elf Wirkstoffe ein Gentest, oder ein Test, der den Genstatus indirekt ermittelt, vorgeschrieben.

Die Liste aller derzeit personalisiert eingesetzten Medikamente in Deutschland ist unterwww.vfa.de/individuelleinzusehen und wird ständig aktualisiert.

Ein Beispiel aus der klinischen Praxis: Trastuzumab wird zur Behandlung von Brustkrebs eingesetzt und war eines der ersten Medikamente, für das ein Gentest vorgeschrieben wurde. Bei rund 25 Prozent aller Brustkrebspatientinnen haben die Tumorzellen eine hohe Zahl von Molekülen des Wachstumsfaktorrezeptors HER2. Dieser Rezeptor bewirkt, dass sich die Krebszellen schneller teilen und sich der Tumor rascher ausbreitet. Die Anwendung von Trastuzumab bremst die Aktivität der HER2-Rezeptoren und dämmt dadurch die Ausbreitung des Tumors ein. Allerdings ist die Behandlung mit Trastuzumab nur dann sinnvoll, wenn eine hohe Konzentration von HER2-Molekülen festgestellt wird. Bestimmen kann der Arzt diese Konzentration mit Hilfe von Gewebetests. Entsprechend den Testbefunden werden die Patientinnen dann in zwei Gruppen eingeteilt: Für die Patientinnen mit hoher Konzentration von HER2 ist die Behandlung sinnvoll. Die zweite Gruppe würde aufgrund der niedrigen Konzentra - tion von HER2 nicht von der Therapie pro - fitieren.

„In der Zahnmedizin werden ebenfalls diagnostische mikrobiologische Testverfahren angewendet – etwa in der Parodontitistherapie“, erklärt Dr. Pia-Merete Jervøe- Storm von der Poliklinik für Parodontologie, Bonn, gegegnüber den zm. „So konnten in der parodontologischen Forschung wichtige parodontopathogene Bakterien (Markerbakterien) isoliert werden, die mit einem erhöhten Risiko für weiteren Attachmentverlust verbunden werden.“  

Ökonomischer Mehrwert

Aus gesundheitsökonomischer Sicht stehen bei der Personalisierten Medizin die anfänglich hohen Kosten für Forschung und Entwicklung dem späteren Nutzen für eine Untergruppe von Patienten gegenüber. Prof. Lou Garrisson arbeitet im Pharmaceutical Outcomes Research and Policy Program der Abteilung für Pharmazie an der Universität Washington, Seattle (USA). Aus seiner Sicht könnte die Personalisierte Medizin in mindestens vierfacher Hinsicht einen ökonomischen Mehrwert schaffen:

• Wenn sogenannte Non-Responder aus dem Anwenderkreis eines bestimmten Medikaments ausgeschlossen werden, lassen sich Kosten vermeiden.

• Eine gezielte Therapie kann zu einer besseren Annahme durch gute Responder führen, von denen einige das Medikament früher nicht angewendet hätten.

• Bei guten Respondern kann sich die Compliance verbessern, sodass sich insgesamt ein zusätzlicher Nutzen für eine ganze Patientengruppe ergibt. Das gilt insbesondere für chronisch Kranke unter Langzeitbehandlung.

• Die verbesserte Prognose des Therapieerfolgsschafft einen psychologischen Mehrwert für die Patienten. Garrisson bemerkt: „Die meisten wirtschaftlichen Analysen unterschätzen möglicherweise die Gesamtwertschöpfung der Personalisierten Medizin.“

Absehbare Grenzen

Die individualisierte Medizin weist wissenschaftlich belegte Schwachstellen auf: So ist es denkbar, dass es nicht ohne weiteres gelingt, die Ursachen von komplexer werdenden Krankheiten zu erforschen. Die Krux liegt darin, ausreichend aussagekräftige Biomarker zu finden. Diese Aufgabe ist aus Sicht der Wissenschaft nach wie vor mit einer erheblichen Misserfolgsrate verbunden. Es ist davon auszugehen, dass viele Biomarker nur in relativ niedrigen Konzentrationen vorhanden sind. Um sie nachzuweisen, müssen immer empfindlichere Methoden entwickelt werden. Entgegen dem Alles-oder-Nichts-Prinzip besitzt kein Biomarker eine 100-prozentige Vorhersagegenauigkeit. Um die Leistungsfähigkeit eines neuen Biomarkers zu charakterisieren, sind daher Studien erforderlich, die Patienten über längere Zeiträume beobachten. Forscher befürchten, die für eine stichhaltige statistische Analyse erforderlichen großen Patientenstichproben nur schwerlich zu finden. Der Grund: Die medizinische Wissenschaft wendet sich immer spezifischeren Krankheitseinheiten mit einer verhältnismäßig geringen Zahl betroffener Patienten zu. Unter dem Strich ergibt sich daraus das Dilemma, das die untersuchten Patientenpopulationen immer kleiner werden. Dennoch besteht die Notwendigkeit, Biomarker statistisch fundiert zu beurteilen, damit sie am Ende nicht mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften.

Auch gesunde Menschen werden auf Krankheitsrisiken in ihrem Erbgut untersucht. Allerdings hat eine Studie von Genetikern des Gesundheitsnetzwerks Scripps Health in San Diego gezeigt: Nur die wenigsten der 2 000 Teilnehmer änderten trotz eines angezeigten Risikos ihre Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten. Die Probanden lebten drei Monate später so ungesund, wie zuvor. „Die Lebensstiländerung ist eine harte Nuss“, zitiert das Magazin „Focus“ Studienleiter Eric Topol. „Gentests knacken sie offenbar nicht.“

Die Personalisierte Medizin kann helfen, den Ertrag von Investitionen in neue Technologien zur Verbesserung der Gesundheit im Sinne einer „effectiveness“ zu ermitteln. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft der verantwortlichen Akteure, die Kosten der notwendigen Forschung und Erzeugung von Evidenz zu tragen. Der politische Wille ist da und manifestiert sich in bereit gestellten Fördergeldern. Jedoch sollten bei aller Hoffnung auf bessere Therapien, ethische Gesichtspunkte mit einbezogen werden.

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