Gastkommentar

Was der Pflege gut tut

Heftarchiv Meinung
Die Pflegeversicherung sollte durch eine zweite Säule ergänzt werden, die „verpflichtend, individualisiert und generationengerecht“ ausgestaltet wird. Darauf hatte sich die Koalition festgelegt. Politiker von CDU und CSU rücken jetzt davon ab, moniert Sozialpolitik-Journalist Walter Kannengießer.

Die Sozialpolitiker der Koalition haben sich weitgehend über die Leistungsverbesserungen im Pflegefall, vor allem zugunsten der Demenzkranken, verständigt. Über die künftige Organisation der Pflegeversicherung und deren finanzielle Absicherung ist noch nicht entschieden. Wegen der Alterung der Gesellschaft, der Zunahme der Pflegebedürftigen und der Abnahme der Beitragszahler bleibt der Politik nur noch eine kurze Zeitspanne für eine grundlegende Reform, durch die nicht nur die Leistungen verbessert, sondern diese auch seriös finanziert werden. Noch immer weichen die Akteure der Koalition einer offenen Diskussion dieser zentralen Frage für die Zukunft der Pflegeversicherung aus. Damit wächst die Gefahr, dass in den Hinterzimmern der Politik über die Köpfe der Betroffenen hinweg Kompromisse vereinbart werden, die langfristig zu einer Verdoppelung bis Verdreifachung der Beitragssätze führen müssten.

In den Vordergrund der Überlegungen sind Vorschläge gerückt, mit zusätzlichen Beiträgen einen kollektiven Kapitalstock anzusammeln, der bei der Beschleunigung des Anstiegs der Zahl der Pflegebedürftigen und der weiteren Abnahme der Zahl der Beitragszahler wieder aufgelöst und zur Finanzierung der Pflege herangezogen werden könnte. Für eine begrenzte Zeit soll also die Finanzierung der Pflege durch Mittel aus dem Kapitalstock entlastet und gesichert werden.

Vor diesem Weg ist zu warnen. Der Fonds würde zu einer Art Reservekasse der Pflegeversicherung, auf die der Gesetzgeber beliebig zugreifen könnte. Die Idee, den Fonds verfassungsrechtlich abzusichern, bietet keinen wirksamen Schutz. Solche Klauseln können vom Gesetzgeber jederzeit aus der Verfassung gestrichen werden. Über die Verwendung der Mittel des Fonds, der mit der Pflegeversicherung verbunden bliebe, würde die Politik entscheiden. Parlamentarische Mehrheiten wechseln, Parteien entscheiden nach politischer Opportunität, Fakten und Einschätzungen ändern sich gegenüber früheren Prognosen. Das Handeln der Politik ist auf Jahrzehnte hin weder vorauszusagen noch festzuschreiben. Kassen und Politiker unterstellen zum Beispiel, dass etwa ab 2050 ein Gleichgewicht zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern erreicht wird. Das dürfte eher zu kurz gerechnet sein.

Die im Koalitionsvertrag vorgesehene ergänzende Kapitalsäule ist nur über eine eigenständige Zusatzversicherung zu erreichen, deren individuelle Anwartschaften auf Leistungen im Pflegefall durch individuell zugeordnetes Kapital gedeckt werden. Es handelt sich also nicht um eine Versicherung zur Ansammlung eines später an den Versicherten auszuschüttenden Kapitals, sondern um eine Absicherung des Pflegefallrisikos. Jeder Bürger kann mit verhältnismäßig niedrigen Beiträgen ihm zugeordnete Anwartschaften und Kapitalbeträge erwerben, die er im Pflegefall abrufen kann. Sozialpolitisch sinnvoll ist eine solche Versicherung nur, wenn sie alle Bürger erfaßt, relativ niedrige Mindestbeiträge vorschreibt und mit einem Sozialausgleich aus Steuermitteln verbunden wird. Solche Risiko-Versicherungen könnten auch Lebensversicherungen anbieten.

Der Vorteil dieses Modells ist klar: Die gesetzliche Pflegeversicherung mit einkommensbezogenen Beiträgen gewährleistet eine Grundsicherung. Das zur Risikovorsorge von den Versicherten in der zweiten Säule gebildete Kapital ist dem politischen Zugriff entzogen. Beiträge und Leistungen bleiben stabil und damit für den Versicherten kalkulierbar. Das Modell ist nicht nur für die Versicherten, sondern auch für die Politiker attraktiv. Sie haben dies nur noch nicht erkannt.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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