Fachkräftemangel im EU-Gesundheitswesen

Lösung nicht in Sicht

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Wie sehen die Gesundheitssysteme von morgen aus? Wie kann auch in Zukunft sichergestellt werden, dass genügend hochqualifiziertes Fachpersonal zur Verfügung steht? Dies waren die Kernfragen des informellen Treffens der EU-Gesundheitsminister, zu dem die amtierende ungarische Ratspräsidentschaft am 4. und 5. April 2011 nach Schloss Gödöllõ in der Nähe von Budapest eingeladen hatte.

Angesichts des demographischen Wandels in Europa wies die ungarische Ratspräsidentschaft bereits im Vorfeld der Tagung auf die Notwendigkeit hin, nachhaltig finanzierte und zukunftssichere Gesundheitssysteme zu schaffen, die eine effiziente und bürgernahe Versorgung in allen EU-Mitgliedstaaten ermöglichen. Alle Gesundheitsminister waren sich einig, dass der Gesundheitssektor für das Wirtschaftswachstum der EU eine herausgehobene Bedeutung hat. Einerseits trage er zum Erhalt der Leistungsfähigkeit der Bürger bei, andererseits sei er ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, von dem Wachstumsimpulse ausgingen. Die ungarischen Gastgeber nahmen diese grundlegenden Überlegungen auch zum Anlass, um ein Thema auf die Tagesordnung zu setzen, dass vielen EU-Mitgliedstaaten unter den Nägeln brennt. Dies ist der drohende Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission besteht in der Union bis 2020 allein im Gesundheitssektor ein Fehlbedarf von rund einer Million Fachkräften beziehungsweise sogar von knapp zwei Millionen, wenn man den Pflegebereich mit einbezieht.

Unterschiedliche Interessen

Die Diskussion in Gödöllõ zeigte deutlich, dass bei dieser Frage innerhalb der EU unterschiedliche Interessen bestehen. Gerade Ungarn und die anderen Staaten Mittel- und Osteuropas haben bereits heute sehr unter der Abwanderung von qualifiziertem Fachpersonal zu leiden. Diese Länder drängen daher seit geraumer Zeit vehement auf eine gesamteuropäische Lösung, um ein personelles Ausbluten ihrer Gesundheitssysteme zu verhindern.

Im Gegensatz dazu setzen andere EU-Mitgliedstaaten, wie etwa Großbritannien, gezielt auf die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte, um Lücken bei der Versorgung ihrer Patienten zu schließen. Dabei berufen sie sich nicht zuletzt auf die von den EU-Verträgen garantierte Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Studie vorgestellt

Bereits im Vorfeld der Tagung kursierten auf der Arbeitsebene die vorläufigen Ergebnisse einer von der Europäischen Kommission finanzierten Studie des European Observatory on Health Systems and Policies über die Mobilität der Fachkräfte des Gesundheitspersonals. Hauptgründe für die verstärkte Mobilitätsbereitschaft der Gesundheitsdienstleister in der EU sind der Studie zufolge ein besseres Gehaltsgefüge, bessere Arbeitsbedingungen einschließlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine höhere soziale Anerkennung. Der ungarische Staatsminister für Gesundheit, Miklós Szócska, wies am Rande der Tagung darauf hin, dass die Bezahlung der Fachkräfte in einzelnen westlichen Mitgliedstaaten der EU sogar das Sechsfache der in den östlichen Mitgliedstaaten gezahlten Löhne betragen kann. Die Abwanderungsbewegungen der Fachkräfte finden vor allem in direkte Nachbarländer sowie innerhalb der EU von Ost- nach Westbeziehungsweise von Süd- nach Nordeuropa statt. EU-Gesundheitskommissar John Dalli sprach von einem Teufelskreis, den es zu überwinden gelte.

Im Prinzip stimmten die EU-Gesundheitsminister in Gödöllõ überein, dass die Rekrutierung von Nachwuchspersonal im eigenen Land Vorrang hat, um so einen Systemkollaps in den anderen EU-Mitgliedstaaten zu vermeiden. Gleichzeitig müsse ein Gleichgewicht zwischen der Freizügigkeit der Gesundheitsdienstleister und dem Interesse an einer in jedem Mitgliedstaat funktionierenden Gesundheitsversorgung hergestellt werden.

Kleinster Nenner

Eine schnelle Lösung konnten die Minister angesichts der gegensätzlichen Interessen jedoch nicht präsentieren. Effektive Gegenmaßnahmen wurden nicht beschossen. Man einigte sich gewissermaßen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Um mehr Verständnis und größere Klarheit über die Ursachen und die Folgen der Migration zu erhalten, sollen zunächst verstärkt Daten über die Migrationsströme gesammelt und dann ausgetauscht werden. Hinzu soll ein gezielter Erfahrungsaustausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten kommen. Ob dies aber letztlich zur Problemlösung beiträgt, ist fraglich.

Interessant dürfte werden, wie die Europäische Kommission mit der Thematik umgehen wird. Die Kommission hat bereits im Dezember 2010 von den EU-Mitgliedstaaten das Mandat bekommen, in den kommenden Monaten einen „Aktionsplan Gesundheitsberufe“ auszuarbeiten. Dieser Aktionsplan soll Lösungswege aufzeigen, wie die personelle Schieflage zwischen den einzelnen Staaten bei den Gesundheitsberufen überwunden werden kann.

Eine Option, die im Raum steht, ist eine gemeinsame europäische Bedarfsplanung. Eine solche Option würde jedoch tief in die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten eingreifen und dürfte viel Widerstand hervorrufen. Gleichzeitig kann der Kommission aber nicht egal sein, wenn die Versorgung der Patienten auf einem annähernd gleichen Niveau aufgrund der innereuropäischen Abwanderung von Fachkräften nicht gewährleistet ist. Die Widersprüche zwischen den europäischen Freizügigkeitsregeln für Arbeitnehmer und der Notwendigkeit, in allen EU-Mitgliedstaaten funktionierende Gesundheitssysteme zu erhalten, wird jedoch auch die Kommission auf Dauer nicht vollends lösen können. Es bleibt abzuwarten, ob der Brüsseler Behörde die Quadratur des Kreises gelingt. Der Aktionsplan soll Anfang 2012 vorgestellt werden.

Dr. Alfred BüttnerLeiter der BZÄK-AbteilungEuropa/InternationalesAvenue de la Renaissance 1B-1000 Bruxelles

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