Internationales Symposium Zahnärztliche Identifizierung

Schnittstelle von Kriminalistik und forensischer (Zahn-)Medizin

Bereits zum 12. Mal trafen sich im Dezember 2010 an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München internationale Experten der Rechtsmedizin, der Zahnmedizin und der Kriminalistik zu „ihrem“ Identifizierungssymposium.

Diese Veranstaltung vor mehr als 100 Zuhörern und Referenten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Norwegen wurde von Generalarzt Dr. Erika Franke und den Oberstärzten Dr. Stephan Schoeps und Dr. Klaus-Peter Benedix eröffnet. Dabei lobte Franke die gute zivil-militärische Zusammenarbeit, für die sie sich beim Bundeskriminalamt und beim Arbeitskreis für Forensische Odontostomatologie (AKFOS) bedankte. Sie betonte die Bedeutung des alljährlich stattfindenden Symposiums, insbesondere vor dem Hintergrund den Angehörigen von Soldaten, die in Afghanistan oder andernorts gefallen sind, Gewissheit bei der Personenidentifizierung zu geben.

BKA und AKFOS

In einem weiteren Grußwort sprach Schoeps über die Bedeutung der Identifizierung eines toten Kameraden: Nur wenn dies erfolgreich geschehen sei, könnten die Überlebenden – Angehörige und Kameraden – „Abschlüsse schaffen“. Er hob die immense Bedeutung einer Abschiedszeremonie „vor Ort“ hervor – eine Gedenkzeremonie gemeinsam mit den dort stationierten Soldatinnen und Soldaten. Zusätzlich stellte er Überlegungen an, um zukünftig – nach US-amerikanischem Vorbild – eine DNA-Datenbank von allen Bundeswehrangehörigen vorzuhalten.

Afghanistan: leben und sehen

In ihrem Festvortrag ging die Fotojournalistin, Medientrainerin, Mediengestalterin und Medienberaterin Veronika Picmanová mit dem Thema „Afghanistan leben und sehen“ ans Eingemachte: Die Referentin bereist seit Anfang 2005 Afghanistan und erzählte von einem weithin unbekannten Land: vom harten Alltag, von Widersprüchen und Kontrasten, aber auch von den Menschen, die trotz allem lachen können. In Kabul arbei-tete sie als Trainerin für Medientechnik für den lokalen Radiosender VOAW (Voice of Afghan Woman), um anschließend im Auftrag der Deutschen Welle angehende Fernsehtechniker für den staatlichen Fernsehsender RTA (Radio Television Afghanistan) auszubilden. Die Referentin berichtete authentisch über ihre Zeit in Afghanistan und darüber, was es bedeutet als Frau in diesem Land zu leben: Licht und Schatten – die Kontraste am Hindukusch – wurden von ihr realitätsnah dargestellt.

Aufgaben der Bundeswehr

Anschließend lobte der begutachtende Zahnarzt der Bundeswehr, Dr. Benedix, die erfolgreiche Aus- und Fortbildung von bisher neun Sanitätsoffizieren für die „Forensische Zahnmedizin“. Diese zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen können gemäß Artikel 35 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Rechts- und Amtshilfe, insbesondere bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücken, von der Bundeswehr für nationale und internationale Identifizierungseinsätze zur Verfügung gestellt werden.

Auch berichtete er, dass die NATO-Vereinbarung STANAG 24.64 (Standardisierungsübereinkommen der NATO-Vertragsstaaten) zwischenzeitlich verabschiedet wurde, so dass die sogenannten „Interpol-Standards“ (einschließlich der Identifizierungssoftware „Plass Data“) in die NATO für den Bereich „Identifizierung“ Einzug erhielten. Dadurch soll zukünftig eine möglichst einheitliche Ausrüstung aller NATO-Partner auch im Bereich der Personenidentifizierung erreicht werden.

BKA-Einsätze sind weltweit

In einem weiteren Referat sprach die Leiterin der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts, Kriminaloberrätin Lynn Aspinall, über die Rolle von Interpol bei der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit. Anhand von Beispielen machte sie deutlich, dass es sich bei Identifizierungseinsätzen meistens um eine internationale Aufgabe handelt: In der Regel stammen die Opfer nicht nur aus einem einzigen Land, sie haben möglicherweise mehrere Staatsangehörigkeiten, und die ante-mortalen Vergleichsunterlagen befinden sich nicht immer im Land der Staatsangehörigkeit oder des Unglücks, sondern in einem anderen territorialen Gebiet. Aus diesem Grund würden größere Katastrophen gemeinsam mit Interpol (insgesamt 188 Mitgliedsstaaten) bearbeitet. In diesem Zusammenhang erinnerte die Referentin an die von Interpol herausgegebenen DVI-Standards (Anforderungen und Normen), DVI-Forms (Vordrucke) und den DVI-Guide (Handbuch) (DVI = Disaster Victim Identification).

Sie schilderte die Ereignisse des Erdbebens von Haiti, das mit der Stärke 7,0 rund 16 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Portau- Prince am 12.01.2010 die Erde erbeben ließ. Bei dieser Naturkatastrophe wurden rund 170 000 Menschen getötet, unter ihnen auch Mitarbeiter der United Nations (UN). Zur Identifizierung der deutschen Opfer sowie deren Release Check seien seinerzeit Mitglieder der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts nach Mittelamerika entsandt worden.

Polizeiliches Phantom

Wolfgang Thiel, Erster Kriminalhauptkommissar aus Hagen, referierte zu dem ThemaEine ante-mortale Oberarmosteosynthese„Kontaminationsproblematik aus (kriminal-) polizeilicher Sicht“ am Beispiel einer im April 2007 in Heilbronn bei einem Einsatz getöteten Polizeibeamtin: Im Rahmen der Ermittlungen wurde das DNA-Profil der potenziellen Täterin bei über 40 weiteren Straftaten (vorwiegend Eigentums- und Tötungsdelikte in großen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland) vorgefunden. Dieser kriminalpolizeilich einzigartige Fall wurde in Teilbereichen aufgeklärt: Die bei der Herstellung kontaminierten Spurenträger haben dazu geführt, dass längere Zeit „erfolglos“ nach einem „kriminalpolizeilichen Phantom“ gefahndet worden war.

Stirnhöhlen für Identifikationen

Über die „Wertigkeit der Stirnhöhlen für Identifikationen – auch im Kindesalter“ sprach Priv.-Doz. Dr. Karl-Heinz Schiwy- Bochat, Köln. Bei der von ihm geleiteten Studie konnte festgestellt werden, dass eine Geschlechtsbestimmung durch Betrachtung und Auswertung des Sinus frontalis nicht möglich ist. Durch den Vergleich von aktuellen Stirnhöhlenröntgenaufnahmen mit Röntgenbildern der Stirnhöhle, die vor mehr als zehn Jahren angefertigt wurden, konnte beobachtet werden, dass beim Vergleich beider Röntgenaufnahmen keine morphologischen Unterschiede nachgewiesen werden konnten. Insofern bietet sich beim Erwachsenen das post-mortale Stirnhöhlenröntgen – beim Fehlen von primären Identifizierungsmerkmalen (Daktyloskopie, DNA und Zähne) und dem gleichzeitigen Vorhandensein von ante-mortalen Stirnhöhlenröntgenaufnahmen – als zusätzliche Identifizierungsmethode an. Anders sieht es bei der radiologischen Betrachtung von kindlichen Stirnhöhlen aus: Durch teilweise „explosionsartiges“ Wachstum des Sinus frontalis sind diese für Identifizierungszwecke ungeeignet und würden in manchen Fällen somit zu falschen Ergebnissen führen.

Moderne Rechtsmedizin

In einem weiten Bogen referierte Prof. Dr. Rüdiger Lessig, Halle, über die Vielschichtigkeit der modernen klinischen Rechtsmedizin und ihre Subdisziplinen. Es handelt sich dabei um ein Fachgebiet, das in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist. Im Vordergrund standen die Untersuchungen von Körperverletzungen bei Gewaltopfern und die sich anschließenden Ursachenermittlungen. Mit eindrucksvollem Bildmaterial wurden Beurteilungsmöglichkeiten von Verletzungen nach unterschiedlicher Gewalteinwirkung dargestellt und interpretiert: für Außenstehende eine umfassende Darstellung dessen, was den meisten nicht aus verschiedenen Fernsehserien bekannt sein dürfte.

Sekundäre Identifizierungsmerkmale

Manchmal sind die mit Identifizierungen betrauten Personen vor beinahe unlösbare Aufgaben gestellt: wenn keine ante-mortalen primären Identifizierungsmerkmale (Daktyloskopie, DNA, Zähne) zur Verfügung stehen. Dass in diesen mutmaßlich aussichtslosen Fällen dennoch Möglichkeiten einer positiven Identifizierung beziehungsweise eines Identifizierungsausschlusses bestehen, verdeutlichte Dr. Dr. Claus Grundmann, Duisburg, mithilfe seines Vortrags zur „Bedeutung sekundärer Identifizierungsmerkmale – insbesondere beim Fehlen primärer Identifizierungsmerkmale“: Zu den eher „weicheren“ sekundären Identifizierungsmerkmalen zählt man Körpergröße, Körpergewicht, Haarlänge, Haarfarbe, Augenfarbe, Ohrform, Bartwuchs, Bekleidung, Ketten, Uhren und mehr, denen in der Regel nur „additive“ Bedeutung beizumessen ist. Ein wenig mehr Bedeutung im Identifizierungsprozess haben „Standard“-Narben (Schilddrüse, Gallenblase, Appendix, Leistenbruch), „einfache“ Tätowierungen, „typische“ Hautperforationen wie Piercings und sogenannte Tunnel, intrauterine Spiralen und mehr. Von weitaus höherer Aussagekraft sind individuelle Narben (insbesondere nach Unfällen oder Verbrennungen), einoder beidseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Stents in Herzkranzgefäßen, Amputationen von Gliedmaßen, Ringe mit Individualgravuren und vieles mehr. Zu den körperlichen Merkmalen, die ähnliche Bedeutung wie die primären Identifizierungsmerkmale (Daktyloskopie, DNA, Zähne) haben, zählt man – meist mit Individualnummern versehene – Herzschrittmacher, Defibrillatoren, Herzklappenersatz, künstliche Hüft- und Kniegelenke, Ventile zur Ableitung eines Hydocephalus internus, Aneuryma- Clips an den Gefäßen der Hirnbasis, Glasaugen, Brustimplantate sowie aufwendige und hochindividuelle Tätowierungen – oftmals sogar mit diversen Namen versehen.

Großschadensereignisse

Die Bewältigung von Großschadensereignissen erfordert Fach- und Sachkompetenz sowie das regelmäßige Üben des Szenarios mit allen beteiligten Einsatzkräften: hierzu referierte Ludwig Heinz, Erster Kriminalhauptkommissar am Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei in Ainring. Anhand eines Films einer „Identifizierungsübung“ wurden der (fiktive) Absturz eines Turboprop- Flugzeugs der Firma Bombardier (Dash 8) mit 35 Toten und die sich anschließenden polizeilichen Maßnahmen dargestellt. Diese einmal jährlich stattfindende Übung führt die Bayerische Polizei gemeinsam mit der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU), der Bundeswehr, dem Institut für Rechtsmedizin der Ludwig- Maximilians-Universität München und der Polizei des Bundeslandes Salzburg durch.

Psychosoziale Notfallversorgung

Dass bei Großschadensereignissen eine adäquate psychosoziale Notfallversorgung der Überlebenden, der Hinterbliebenen und auch der Einsatzkräfte erforderlich ist, war Gegenstand des Referats von Dr. Andreas Müller-Cyran, Leiter der Notfallseelsorge in der Erzdiozöse München und Freising sowie Gründer und fachlicher Leiter des bundesweit ersten Kriseninterventionsteams (KIT) in München: Anhand von Beispielen zur peritraumatischen Akutintervention erläuterte er die speziellen Aufgaben des Kriseninterventionsdienstes. Grundlage sind die bei den Busunglücken in Siofok in Ungarn (2003) und Lyon in Frankreich (2003) sowie bei der Tsunami-Katastrophe (2004) angewandten und den speziellen Bedürfnissen angepassten Konzepte.

GAST-EPIC

Im Rahmen einer halbtägigen Exkursion zum Münchener Großflughafen wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Symposiums die Besichtigung der Hauptfeuerwache des Airports sowie der gemeinsamen Auskunftsstelle für Angehörige von Opfern bei größeren Schadenslagen (GAST-EPIC) ermöglicht. Die Hauptfeuerwache – mittlerweile fast 20 Jahre alt – bereitet sich mit ihren Rettungsmitteln auf den regulären Flugbetrieb des Airbus A 380 und die damit verbundenen Neuerungen und Veränderungen vor. GAST-EPIC bietet 27 Bildschirmarbeitsplätze und ist Informations- und Servicezentrum für Angehörige von Unfallopfern, insbesondere bei größeren Schadenslagen des Luft-, Bahn- und Schiffsverkehrs. Bisherige Einsätze von GAST-EPIC waren unter anderem das ICE-Unglück von Eschede, der Brand der Gletscherbahn in Kaprun, der Flugzeugabsturz am Bodensee, die Notlandung eines Hapag-Lloyd Airbus A 310 nahe des Airports Wien-Schwechat und einige andere Großschadenslagen.

Interpol-Formulare

Prof. Tore Solheim aus Oslo, Norwegen, ging in seinem Vortrag über die Interpol- Formulare im Wesentlichen auf die Entwicklung der zahnärztlichen Anteile ein. Ausgehend von den internationalen Erfahrungen im Tsunami-Einsatz zeigte er die ständige Optimierung dieser Vordrucke durch Interpol auf und bewertete den aktuellen Stand auch aus persönlicher Sicht. Die anschließende Diskussion machte deutlich, dass im internationalen Rahmen allerdings nicht alle nationalen Forderungen in jedem Fall berücksichtigt werden können.

Außergewöhnlicher Fall

Dr. Dieter Techel, Rechtsmediziner aus Stuttgart, berichtete über die Identifizierung zweier Frauenleichen, die durch einen Autounfall in der Mosel ums Leben gekommen waren: Als im Jahre 1983 ein Auto mit zwei Frauen nahe der Luxemburgischen Grenze in der Mosel verschwand, blieb das Schicksal der Insassinnen zunächst ungeklärt. Eine erste Identifizierung konnte jedoch 1987 erfolgen, nachdem ein Schädel in der Nähe der Unglücksstelle gefunden worden war. Hobbytaucher fanden dann im Jahr 2009 nicht nur das vermisste Fahrzeug, sondern zusätzlich auch noch weitere Knochenteile. Anhand dieser Knochenreste konnte über einen entsprechenden DNAAbgleich nach nunmehr 26 Jahren auch die zweite Insassin identifiziert und der Fall endgültig abgeschlossen werden.

Termin 2011

Das 13. Internationale Symposium Zahnärztliche Identifizierung findet vom 29.11. bis zum 02.12.2011 wieder an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München statt.

Dr. Dr. Claus GrundmannAKFOS-Sekretär und SchriftführerViktoriastr. 847166 Duisburgclausgrundmann@hotmail.com

Dr. Klaus-Peter BenedixDachauer Str. 12880637 MünchenKlausPeterBenedix@bundeswehr.org

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