Unterhalt für die Eltern

Wenn das Sozialamt zur Kasse bittet

Die Lebenserwartung steigt und steigt. Immer mehr alte Menschen benötigen Pflege, die viel Geld kostet. Reicht die Pflegeversicherung nicht und können sie selbst für die Kosten nicht mehr aufkommen, müssen die Kinder zahlen. Das Sozialamt schickt die Rechnung, doch die Gerichte setzen Grenzen.

Diese Zahlen sprechen für sich: Bis 2030 wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen gegenüber 2005 um 25 Prozent gesunken sein, dagegen steigt die Zahl der Menschen über 65 um circa 40 Prozent auf 22 Millionen. Entsprechend wird sich die Anzahl der Pflegebedürftigen entwickeln. Derzeit sind es rund zwei Millionen. Die Kosten für die Pflege explodieren. Die Pflegeversicherung steht vor dem Kollaps, wenn sie nicht grundsätzlich reformiert wird. Gesundheitsminister Philipp Rösler wünscht sich ein kapitalgedecktes Modell. Dabei spart jeder Versicherte selbst das Geld für seine spätere Pflege an. Doch für den, der jetzt und in den nächsten Jahren pflegebedürftig wird, muss es andere Lösungen geben. Etwa 3 000 bis 4 500 Euro pro Monat kostet ein Platz in einem Pflegeheim. Die gesetzliche Pflegeversicherung aber übernimmt in Pflegestufe III maximal 1 510 Euro. Den Rest müssen die Betroffenen selber tragen. Zunächst ist der Kranke gefragt. Reicht dessen Einkommen nicht aus, muss bei einem Paar der Ehepartner einspringen. Sein Selbstbehalt beträgt nur 1 100 Euro. Genügen sein Einkommen und das Ersparte nicht, um die Differenz zu bezahlen, springt zwar zunächst das Sozialamt ein. Doch es holt sich die Auslagen so weit wie möglich bei den Kindern zurück. Den Rest übernimmt der Steuerzahler. Den Anspruch auf Erstattung des Unterhalts leiten die Sozialämter aus einem circa 100 Jahre alten Gesetz her. Paragraph 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) besagt: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ Das heißt: Eltern sorgen für ihre Kinder, im Notfall auch für die eigenen Eltern, aber nicht für Bruder oder Schwester.

Sozialamt verschickt Fragebogen

Tritt nun der Notfall ein, und die Eltern können die Pflege nicht mehr selbst bezahlen, überträgt der Pflegebedürftige seinen Anspruch, den er an seine Kinder hat, automatisch auf das Sozialamt. Die Behörde fordert die Unterstützung quasi im Namen des Bedürftigen ein. Damit erhält das Amt die Erlaubnis, umfangreiche Auskünfte über die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kinder zu erfragen.

Zunächst bekommen die Betroffenen einen Fragebogen zugeschickt, den sie ausfüllen müssen. Die Fachanwältin für Familienrecht Susanne Strick von der Kölner Sozietät Leinen & Derichs rät: „Man sollte die Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Kommen dem Beamten Zweifel, verlangt er Belege für die Angaben.“ Wer auf Nummer sicher gehen will, bittet gleich seinen Anwalt um Hilfe. Der weiß, wie genau an welcher Stelle man ins Detail gehen sollte, um dem Sachbearbeiter die eigene Lage zu verdeutlichen. Das trifft beispielsweise für Familien mit Kindern zu, für deren Ausbildung gesorgt werden muss. Oder für Menschen, die unter chronischen Krankheiten leiden und dafür finanzielle Anstrengungen tragen müssen. Die meisten Sachbearbeiter im Sozialamt freuen sich über gut sortierte Unterlagen und sind auch für ein Gespräch zugänglich. Leider gibt es keine bundeseinheitlichen Vorschriften bei der Unterhaltsregelung. Wie die Fragebogen sind auch die Verwaltungsvorschriften zur Feststellung der Höhe der Unterhaltsverpflichtung von Land zu Land oder wie Anwältin Strick meint „sogar von Oberlandesgericht zu Oberlandesgericht unterschiedlich“. Bundesweite Regelungen gibt es nur für einige Eckdaten wie zum Beispiel die Höhe des Selbstbehalts, also der Summe, die der Unterhaltspflichtige im Monat für sich behalten darf. Das sind seit Anfang des Jahres 1 500 Euro. Dem Ehepartner stehen 1 200 Euro zu. Darüber hinaus darf der Unterhaltsverpflichtete folgende Beträge als „Schonvermögen“ geltend machen:

Schonvermögen

Kredite

Raten für Kredite, die er schon aufgenommen hatte, bevor Vater oder Mutter Unterhalt benötigen

Andere Unterhaltsverpflichtungen

Das gilt zum Beispiel für die eigenen Kinder. Deren Höhe richtet sich nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle. Es kann auch sein, dass die Ehefrau beziehungs -weise der Ehemann Unterhalt benötigt, weil deren persönliches Einkommen nicht ausreicht.

Berufsbedingte Aufwendungen

Das können bei einem Zahnarzt die Investitionen für die Praxis sein. In der Regel setzt das Amt fünf Prozent des Bruttoeinkommens für diese Aufwendungen an. Denn die berufliche Existenz muss gesichert sein. Zu Diskussionen kann es aber beispielsweise kommen, wenn der Leasingvertrag für das Firmenauto etwa über einen Porsche läuft. Normalerweise geben sich die Beamten mit den vom Finanzamt abgesegneten Daten zufrieden.

Private Altersvorsorge

Arbeitnehmer dürfen monatlich bis zu fünf Prozent ihres Bruttolohns fürs Alter zurücklegen. Wer nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, kann bis zu 25 Prozent für die Vorsorge einsetzen. Dabei steht es ihm frei, ob er das Geld in eine Lebensversicherung, in einen Fonds oder in Aktien investiert. Klar muss sein, dass es nicht für den persönlichen Unterhalt zur Verfügung steht. Bei Verheirateten stellt das Sozialamt eine Paarrechnung auf.

Darüber hinaus darf der Unterhaltspflichtige zusätzliches Kapital zurücklegen. Der Bundesgerichtshof hat dies in seinem Urteil vom 30. August 2006 (AZ: XII ZR 98/04) begründet. Fachanwalt Jörn Hauß aus Duisburg definiert: „Zusätzlich zu seiner Altersvorsorge steht dem unterhaltspflichtigen Kind ein Altersvorsorgevermögen in Höhe von fünf Prozent seines lebzeitigen Bruttoeinkommens anrechnungs- und verwertungsfrei zu.“ Als Start des Berechnungszeitraums gilt das 18. Lebensjahr.

Selbst genutzte Immobilie

Das Heim der Familie tastet das Sozialamt nicht an. Allerdings setzt es dafür einen Wohnwert von maximal 450 Euro bei Alleinstehenden und 850 Euro bei Ehepaaren an. Zins- und Tilgungsbelastungen zieht es davon ab. Hausbesitzer wissen, dass sie ständig Rücklagen für Reparaturen vorhalten müssen. Manches Sozialamt sieht das anders. Experte Hauß aber meint: „Rücklagen für die Reparatur einer Immobilie sind im Unterschied zur Praxis vieler Sozialhilfeträger ebenfalls zu schonen und monatliche Rücklagen in eine Renovierungsreserve zu akzeptieren.“ Darüber hinaus hält er auch den berühmten Notgroschen für selbstverständlich: „Meines Erachtens ist die Höhe diese Notgroschens mit dem dreifachen Monatsnettoeinkommen der Familie zu bewerten.“

Einkommen der Schwiegerkinder

Ein weiterer Knackpunkt ist die Frage, inwieweit auch das Einkommen der Schwiegerkinder herangezogen werden kann. Grundsätzlich bleiben sie außen vor. Doch durch die Hintertür hat das Sozialamt trotzdem Zugriff. Das ist dann der Fall, wenn das Einkommen des Schwiegerkindes höher ist als das des unterhaltspflichtigen Kindes und gleichzeitig das Gesamteinkommen der Familie über 2 450 Euro liegt. Doch auch hier hat der Gesetzgeber eine Grenze gesetzt. Das unterhaltspflichtige Kind muss nie mehr Unterhalt an seine Eltern zahlen als es selbst verdient. Und noch ein Trost: Das Vermögen des Schwiegerkindes bleibt unangetastet.

Kinder in der Pflicht

Gehören zur Familie des Pflegebedürftigen mehrere Kinder, so sind alle in der Pflicht. Das Sozialamt verlangt von allen gleichermaßen die Offenlegung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Sie sind der Maßstab für den Anteil, den jedes Kind zum Unterhalt beizutragen hat. Häufig kommt es vor, dass Eltern ihren Kindern Gutes tun wollen und schon mal einen Teil ihres Vermögens – sei es Kapital oder eine Immobilie – vorzeitig auf den Sohn oder die Tochter übertragen. Geraten sie selbst später in die missliche Lage, dass sie ihren Unterhalt nicht mehr bezahlen können, kann das Sozialamt die Schenkung zurückfordern, wenn sie weniger als zehn Jahre zurückliegt.

Allerdings raten erfahrene Anwälte wie Susanne Strick und Jörn Hauß unbedingt davon ab, den Berechnungen des Sozialamts blinden Glauben zu schenken. Häufig gestehen die Beamten den Betroffenen zu wenige Rücklagen für die Altersvorsorge zu oder es gibt Diskussionen über den angemessenen Lebensstandard. Mit diesen Auseinandersetzungen beschäftigen sich viele Gerichte. Deshalb sollten die geforderten Kinder sich bei der Auseinandersetzung mit der Behörde möglichst anwaltlich beraten lassen.

Gefährlich ist es, rechtskräftig festgestellte Ansprüche einfach zu ignorieren, denn die Behörde schickt dann einfach den Gerichtsvollzieher ins Haus oder lässt die Konten pfänden. Glück haben Sohn oder Tochter, deren Unterlagen über Einkommen und Vermögen zunächst einmal im Aktenberg der Behörde für mehr als zwölf Monate verschwinden. Damit verwirkt das Sozialamt den Unterhaltsanspruch zumindest für das vergangene Jahr. Der Grund für den Anspruch aber bleibt bestehen. Er erneuert sich automatisch Monat für Monat.

Marlene EndruweitWirtschaftsjournalistinm.endruweit@netcologne.de

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