Karlsruher Vortrag „Mund auf“ 2012

Eine Diktatur kann man nicht reformieren

Mit der Auszeichnung des Schriftstellers Rafik Schami hat die Karlsruher Akademie
für Zahnärztliche Fortbildung ihrem traditionellen „Mund auf“-Festakt einen neuen Höhepunkt verschaffen können. Die Wahl des Deutsch-Syrers mit seinem Einsatz gegen die Assad-Diktatur steht ideal für die Tradition der zahnärztlichen Fortbildungsakademie. Sie würdigt seit 1983 bedeutende zivilcouragierte Persönlichkeiten und deren gesellschaftliches Engagement.

Zum Ende einer qualitativ wie quantitativ hochwertigen zahnmedizinischen Fortbildung (23./24. März 2012) trafen die gut 1 500 Teilnehmer und Gäste auf ein außerordentliches Erzähltalent.

Soviel war angesichts des Werkes von Rafik Schami vorab zu erwarten. Dass der vor Jahrzehnten im Alter von 25 Jahren von Damaskus nach Deutschland exilierte Syrer Suhail Fadil – so heißt der Literat und promovierte Chemiker mit bürgerlichem Namen – dann so deutliche Worte gegen den Diktator Assad und dessen Helfershelfer, damit gleichzeitig für das Wesen der Demokratie fand, bleibt als einmalige Erfahrung, die die Zuhörer mit in ihren Lebensalltag zurücknehmen konnten.

Das Ziel des Veranstalters, mit dem Vortrag „dem gesellschaftlichen Diskurs ein Forum zu bieten“, wurde nahezu perfekt getroffen. Mit der Auszeichnung Schamis sei das Motto des Vortrags, so Akademie-Direktor Prof. Dr. Winfried Walther in seinen einleitenden Ausführungen, damit „quasi bei sich selbst angekommen“.

Der Mut, die Würde und das Wort

An der Notwendigkeit, den „Mund auf“ zu machen, ließ der durch die orientalische Erzählkultur geschulte Schami keine Zweifel. Er machte im zweiten Teil seines Vortrags für die Zuhörer die Titelerzählung seines aktuellen Buches nacherlebbar: „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte“ und die Lebensweisheiten seines Großvaters seien es gewesen, die ihn zum Erzähler, zum Schriftsteller gemacht haben. Schami bot seinem Publikum ein exzellentes Beispiel intellektueller Erzählkunst.

Dass diese Intellektualität auch zum Handeln als Demokrat verpflichtet, war Schamis zentrale, diesen Vortrag als Motto leitende Botschaft: „Der Mut, die Würde und das Wort“ bedingen, so die Beteuerung des Festvortragenden, „Dinge beim Namen zu nennen“. Und was er mit seinem Thema versprach, hielt der Ausgezeichnete auch ein: „Der Mund ist neben den Händen das zweite tragende Instrument der menschlichen Kultur“, behauptete Schami. Schweigen sei – so der für ihn selbstverständliche demokratische Auftrag – ganz im Sinne des Kantischen Prinzips „unmündig“.

Und er bot darüber hinaus einen weiteren, sehr spezifischen Gruß an das zu großen Teilen zahnärztliche Plenum: „Freiheit ist die Zwillingsschwester der Gesundheit.“ Man erkenne auch „ihren Wert erst dann, wenn man sie verliert“.

Freiheit als Ansporn

Welche verheerenden Folgen fehlende Freiheit habe, könne man an seinem Vaterland Syrien erkennen: 40 Jahre Diktatur und insgesamt 14 gegen das eigene Volk – „den inneren Feind“ – gerichtete Geheimdienste hätten „das Land in einen ruhigen Friedhof verwandelt“. Im Endeffekt habe Assads Diktatur dazu geführt, „dass die Syrer trickreich versuchen mussten zu überleben“. Dennoch hätten die jüngsten Ereignisse gezeigt, dass die Menschen auf die Straße gingen, „um für die Freiheit zu kämpfen, wohl wissend, dass es keine direkten Erfolge zur Demokratie gibt“. Dieses Ziel ist für Schami nur ohne das Regime Assad denkbar: „Eine Diktatur kann nicht reformiert werden. Das einzig Heilende ist ihre Abschaffung“, forderte der Deutsch-Syrer in der Stadthalle Karlsruhe.

Zugleich warnte Schami vor der in Syrien grassierenden Gewalt und Zerstörung und deutete an, dass ihn gerade seine friedliche Grundhaltung wieder „in die Minderheit“ geraten lasse. Grund für eine Abkehr von der demokratischen Verpflichtung, als Intellektueller „zu warnen“, sei das aber gerade nicht. Seine Aufgabe als Intellektueller sei vielmehr, „die Vernunft fern jeder Eitelkeit unabhängig in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen“. Eine Auffassung, die Schami zum einen vom Politiker unterscheidet, die er aber auch als Aufforderung an die Intellektuellen der westlichen Demokratien sieht.

Dabei bestach der Preisträger durch Glaubwürdigkeit. Selbst Sentenzen wie „Einer der größten Feinde der Demokratie ist die Gleichgültigkeit“ wirkten aus diesem Mund klischeefrei und schafften merklich Betroffenheit. Und seinen rhetorischen Trick, hier schon längst den Blick in die Ferne durch einen der deutschen Situation vorgehaltenen Spiegel ersetzt zu haben, krönte Schami mit der Feststellung, dass „keine Gesellschaft je immun gegen Krieg und Diktatur war“.

Ein Steuerberater als Zeuge für das Ethos

Der inzwischen mit 65 Jahren seit über vier Jahrzehnten in beiden Kulturen als intellektueller Grenzgänger und Botschafter agierende Schriftsteller Schami wird seiner Überzeugung und der daraus resultierenden selbst gesetzten Aufgabe und Mission augenscheinlich gerecht. Das bestätige schon, so der Vortragende mit ironisierendem Unterton, sein Steuerberater: Für über 2 300 Lesungen sei er inzwischen immerhin weit über 365 000 Kilometer gefahren.

Dass das im Geist von Demokratie und Freiheit geschah, bezeugt nicht nur sein umfangreiches literarisches Werk, sondern auch sein überzeugender, künstlerisch gelungener Auftritt vor den in Karlsruhe anwesenden Zuhörern. Rafik Schami hat angesichts der aktuellen Entwicklung nicht nur eine literarische, sondern mehr denn je auch eine politisch relevante Aufgabe. In seinen eigenen Worten: „Dafür lohnt es sich, den Mund aufzumachen.“

Mund auf? Hut ab! mn

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