Fortbildung: Zahnmedizin fürs Alter

Vom Konus zum Magneten – viele prothetische Möglichkeiten

Mit dem Alterungsprozess des Menschen gehen oftmals typische Veränderungen von körperlichen und geistigen Funktionen einher. Wobei dies nicht an das kalendarische Alter gekoppelt ist. Multimorbidität und Polypharmazie begleiten den Übergang vom „go go“ zum „slow go“ und zum „no go“. Lassen die manuellen, die taktilen und die visuellen Fähigkeiten nach, ist die Organisationsfähigkeit bereits eingeschränkt. Das ist bei der Planung einer prothetischen Versorgung immer zu berücksichtigen.

Denn eine Reduzierung der Organisationsfähigkeit und der manuellen Geschicklichkeit ist zusätzlich gepaart mit nachlassendem Selbstwertgefühl und zunehmender Zurückgezogenheit. Die Schwelle für die Eigenvorsorge und damit auch für eine effektive Mundhygiene erhöht sich. Der Zusammenhang mit Veränderungen der Konstitution kann beispielhaft anhand der Erkrankungen des Bewegungsapparats illustriert werden. Bei rheumatoider oder psoriatrischer Arthritis, Arthrosen und Gicht, aber auch bei Parkinson-Erkrankung sind direkte Einflüsse auf die manuellen Fähigkeiten zahnärztlicher Patienten häufig (Abbildung 1). Die Fähigkeit, den Zahnersatz beim Aus- und Eingliedern zu handhaben und sowohl den Zahnersatz als auch die verbliebenen Zähne und festsitzenden Konstruktionsanteile intensiv zu reinigen, wird durch die Bewegungshemmung und -behinderung zwangsläufig immer weiter eingeschränkt. Bedenkt man darüber hinaus, dass ein nachlassender Visus die Kontrolle der Reinigungsbemühungen zusätzlich limitiert, und denkt man an eine möglicherweise reduzierte Immunlage multimorbider Patienten, werden die Koinzidenzen zum weiteren Zahnverlust augenfällig.

Für die prothetische Planung und die Ausführung von Zahnersatz stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls wie man als Zahnarzt auf diese komplexen Veränderungen reagieren muss. Führen wir uns vor Augen, dass strategisch eine prothetische Versorgung für eine Funktionsperiode von mehr als einer Dekade eingegliedert wird, legen wir mit unseren Entscheidungen die Bedingungen für den Patienten und die Nachsorgemöglichkeiten auch für die Zukunft fest. Wir tun gut daran, bei älteren Patienten mit beginnenden Handicaps in einem Was-wäre-wenn-Szenario die individuelle Konstitution und Multimorbidität in unsere Überlegungen mit einzubeziehen.

Die rein biomechanische und technische Betrachtung von Zahnersatz ordnet sich eindeutig und ausnahmslos der Frage nach Reinigbarkeit, Handhabbarkeit und Funktionsfähigkeit auf Dauer unter. Viele Überlegungen zur Gestaltung des Zahnersatzes basieren auf empirischer Erfahrung, da die wissenschaftliche Evidenz auf diesen Gebieten doch vergleichsweise gering ist.

Schalt- und Freiendsituationen

Natürlich sind viele Schalt- und Freiendsituationen prinzipiell auch noch in höherem Alter mittels Pfeilervermehrungen durch Implantate lösbar. Dies setzt jedoch die Fähigkeit zur uneingeschränkten und

zielgerichteten Mundhygiene voraus. Gerade beim älteren Patienten ist besonders zu beachten, dass die Position der Implantate und die Gestaltung der Suprakonstruktionen eine leichte Zugänglichkeit bei der Mundhygiene für Zahnbürste und Interdentalraumbürste garantieren müssen. So muss eine eigenständige Mundhygiene auch noch möglich sein, wenn die Fähigkeiten beginnen, sich einzuschränken. Gerade bei festsitzendem Zahnersatz muss parallel zu diesen Erscheinungen auf die Verkürzung der Intervalle für die professionelle Zahnreinigung gedrängt werden.

Gerostomatologie im Team umsetzen

Den Patienten muss geholfen werden, die Hürden der steigenden allgemeinen Morbidität und deren Begleitumstände zu überwinden. Das gesamte Praxisteam muss strategisch auf dieses gerostomatologische Problem vorbereitet werden. Die ständige Remotivation wird zwar von den Mitarbeiterinnen als ermüdend empfunden, ist aber unerlässlich für den Erfolg. Oft muss dem älteren Patienten auch erst bewusst gemacht werden, dass festsitzender Zahnersatz doch mehr Pflegeaufwand verlangt als die eigenen Zähne. Die konstitutionsabhängigen Probleme ziehen sich durch alle Situationen, die im Folgenden dargestellt werden, wie ein roter Faden.

Bevor jedoch die Eingliederung eines abnehmbaren Zahnersatzes in der Freiendsituation verordnet wird, sollten alle Möglichkeiten der Strategien der verkürzten Zahnreihe durchdacht und mit dem Patienten diskutiert werden. So ist bei weitgehend erhaltener Frontbezahnung der Aufbau der Okklusion in einer Freiendsituation nach distal bis zur Prämolarenregion eine erfolgreiche und umfangreich belegte Strategie [Augthun und Mundt, 2008]. Jeglicher Zahnersatz muss neben seinem Nutzen auch bezüglich der eingetragenen Risiken betrachtet werden. Gerade beim kompromittierten älteren Patienten ist diese Strategie hervorragend geeignet, um die Risiken und Probleme von abnehmbarem Zahnersatz vermeiden zu helfen. Auch ist zu bedenken, dass die Adaptationsfähigeit an einen Zahnersatz, konstitutionsabhängig beim älteren Patienten deutlich reduziert sein kann.

Möglicherweise liegen Lösungsmöglichkeiten auch bei wenigen Einzelimplantaten für einen fehlenden Prämolaren oder einer Extensionsbrücke in Prämolarenbreite, um die Prämolarenokklusion wieder aufbauen zu können. Diese verhältnismäßig kleinen Maßnahmen sind gerostomatologisch besser beherrschbar als die alternative große, abnehmbare Lösung. Der Prämolarenbereich ist auch mit etwas Handicap leichter zu pflegen als die Molaren und so werden die parodontal-hygienischen Bedingungen für den leichten Zugang durch zusätzliche Mundhygienehilfsmittel beachtet. Dem Erhalt einer vollständigen Zahnreihe oder lediglich einer mit kleinen festsitzenden Konstruktionen aufgebauten Zahnreihe nur bis zum Prämolarenbereich sollte die erste Aufmerksamkeit bei der Planung geschenkt werden [Armellini et al., 2008]. Auch wenn im Gegenkiefer noch antagonistenlose Zähne erhalten sind, kann bei älteren Patienten in der Regel auf eine Abstützung durch den Gegenkiefer verzichtet werden, da die Elongation nicht oder nur sehr gering erfolgen wird und dieses Vorgehen bei Oberkieferzähnen funktionell folgenlos bleibt.

Werden prothetische Versorgungen in diesen Freiendsituationen vermieden, können auch fragliche Zähne noch lange erhalten werden, ohne in das Risiko der prothetischen Gewährleistung gehen zu müssen. Derartige Kompromisse können gerade bei der diskutierten Klientel die Grenzen weit nach hinten schieben helfen. Die Vermeidung von Zahnersatz ist eine ureigene prothetische Strategie. Bei dieser strategischen Denkweise werden abnehmbare Konstruktionen nur bei ausgedehnten Freiendsätteln und im stark reduzierten Restgebiss notwendig.

Mit bereits erkennbarem Handicap wird die Entscheidung bei umfangreicherem Zahnverlust und bei schlechten Parodontalverhältnissen eher gegen eine Pfeilervermehrung hin zum abnehmbaren Zahnersatz erfolgen. Als einfachste Form gilt die klammerverankerte Modelleinstückguss-Prothese, die mit verhältnismäßig einfachen Maßnahmen am Restzahnbestand zu verankern ist. Die Einschubrichtung sollte nicht zu weit vom Lot auf die Okklusionsebene abweichen, um die Eingliederung zu erleichtern. Die Anzahl der Klammerelemente sollte unbedingt auch wegen einer leichten Ein- und Ausgliederbarkeit auf das für die Retention, Absteifung und Abstützung notwendige Maß reduziert werden. Der Gefahr, dass Patienten durch eine Abnahme der Geschicklichkeit und durch die reduzierte muskuläre Motorik der Wange sich Klammerelemente in die Mundschleimhaut spießen, sollte vorrangig durch eine Öffnung der Klammer nach mesial begegnet werden. Die Übergänge zu den Kunststoffsätteln sollten ponticartig ausgeformt werden.

Da gerade die nicht sichtbaren Flächen von Zähnen schwer zu reinigen sind, hilft eine solche Gestaltung als Leitstruktur für die Interdentalraumbürstchen, wie dies auch bei den folgenden Versorgungsformen diskutiert wird. So gelingt es den Patienten durch einfaches Durchstecken der Interdentalbürstchen leichter, den distalen und den mesialen marginalen Bereich zu reinigen. Mit der quer gestellten Zahnbürste erreichen sie kaum zuverlässig diese Bereiche. Auch wenn die Modelleinstückguss-Prothese bei der Eingliederung als eine kostengünstige Lösung gilt, konnte dies bei Berücksichtigung der Nachsorgekosten im Vergleich zu Doppelkronen-verankertem Zahnersatz nicht bestätigt werden [Hofmann et al., 2002].

Präferenziell verzichtet man nicht nur beim älteren Patienten auf jegliche Art von Barrenstegkonstruktionen, da die Reinigbarkeit in der Mundhöhle per se schwierig ist und die Gefahr der Vakatwucherung besteht. Stege als Dolder-Steg sind nur für Implantatkonstruktionen unter Teilprothesen in unserem Repertoire verblieben. Den hohen Kosten, dem technischem Aufwand, den erschwerten Reinigungsmöglichkeiten und der eingeschränkten Reparatur- und Erweiterungsfähigkeit stehen nur die gering ausgeprägten Vorteile in Ästhetik und Handhabung gegenüber. Gerade bei älteren Patienten mit eingeschränkten Fähigkeiten ergibt sich aus den oben näher ausgeführten Umständen keine vorteilhafte Anwendung.

Ähnlich werden die vielen Nischen und Spalten von Ankerkonstruktionen geschätzt, sowohl im abnehmbaren Anteil der Patrize als auch im festsitzenden Anteil der Matrize. Im Zuge einer klaren Begrenzung des prothetischen Repertoires hat sich die Greifswalder Universitäts-Zahnklinik nach Abwägung von Vor- und Nachteilen entschieden, auf Ankerelemente als Retentionselemente an Kronen zu verzichten. Diese Entscheidung ist eine individuelle Abwägung eines jeden Zahnarztes.

Nicht absehbar ist, ob der Patient auf Dauer noch in der Lage sein wird, den Verschluss der bedingt abnehmbaren Konstruktion selbstständig aktiv zu öffnen. Daher sollte auf Riegelkonstruktionen jeglicher Art bei älteren Patienten mit drohenden nachlassenden Fähigkeiten verzichtet werden. Auch wird der Mechanismus nur schwer von betreuenden Personen – vor allem, wenn es sich um nicht-zahnärztliches Personal handelt – zu bedienen sein. Daher besteht die Gefahr, dass die Konstruktionen nicht mehr häufig genug ausgegliedert und gereinigt werden. Ausnahmen stellen nur Patienten mit erworbenen Kiefer- und Gesichtsdefekten dar, für die bei ausgedehnten Formen die Riegelkonstruktion oftmals noch ein gangbarer Ausweg ist. Bei dieser sehr besonderen Klientel muss immer die leichte Zugänglichkeit auch für betreuende Personen berücksichtigt und umgesetzt werden.

Geschiebe und ihre Varianten

In der allgemeinen Übersicht über integrierten Zahnersatz geht der Einsatz von Geschieben dramatisch zurück. Es bleibt dahingestellt, ob dies dem prägenden Einfluss der Festzuschussregelungen zuzuschreiben ist. Unter den Geschieben haben sich die Futtergeschiebe (mit Kunststoffinsert) insbesondere wegen ihrer Handhabung durch den Patienten als erfolgreich erwiesen. Ein weiterer Grund mag sein, dass sie sich problemlos in Versorgungen auf CoCr-Basis eingliedern lassen. Teilkonfektioniert ähneln sie den gedeckelten Stabgeschieben und lassen sich mit wenig Aufwand herstellen. Konfektionierte Versionen finden sich inzwischen bei allen Herstellern von Konstruktionselementen. Unter dem Aspekt der Hygienefähigkeit schneiden Futtergeschiebe besser als Präzisionsgeschiebe ab. Die geringe Hubhöhe von zwei Millimetern gestattet den notwendigen Abstand von der marginalen Gingiva, um eine ungestörte Reinigung unter der Patrize zu garantieren. Zusätzlich sind bei den konfektionierten Versionen die festsitzenden Patrizen so gestaltet, dass ein Führungskanal für die Interdentalraumbürste genutzt werden kann. Die Kunststoffinserts liegen weitgehend spaltfrei dem Metallgehäuse an. Sehr geschätzt wird an diesen Geschiebeteilen, dass sie bei der Ein- und Ausgliederung auch bei leichtem Verkanten gut laufen. Diesen Vorteil spielen sie in der Kombination von anterioren Geschieben mit Klammern auf einzelnen distal stehenden Molaren aus. Die leichte Reparierbarkeit und Einstellbarkeit ist ein weiterer Vorteil. Über eine Drei-Jahres-Periode konnten die vorteilhaften Auswirkungen auf die Parameter „Parodontale Gesundheit der Pfeilerzähne“, „Tragekomfort“ und „Stabilität der Geschieberetention“ nachgewiesen werden [Zajc et al., 2007]. Allerdings wird unverändert darauf hingewiesen, dass es nicht empfohlen werden kann, die Geschiebe an einzelnen Pfeilerzähnen zu befestigen und damit die Verblockung zweier Pfeilerzähne therapeutisches Ziel bleibt. In der Fünf-Jahres-Evaluation können die Ergebnisse bestätigt werden, jedoch wird erkennbar, dass einseitige Freiendprothesen deutliche höhere Komplikationsraten aufweisen [Schmitt et al., 2011]. Als wenig invasive Lösung wird die Anbindung eines extrakoronalen Retentionselements mittels der Adhäsivtechnik diskutiert [Marinello et al., 1991].

Doppelkronen

Doppelkronen haben ihre Domänen insbesondere im stark reduzierten Lückengebiss. Immerhin haben in der Bevölkerung (SHIP) bereits bis zum Alter von 65 Jahren elf Prozent im Oberkiefer und 13 Prozent im Unterkiefer nur ein bis drei Restzähne [Mundt, 2011]. Die Vielfalt der Ausführungsvariantenist inzwischen groß. Parallelwandige Teleskope, Ringteleskope, klassische Konuskronen und konusartige Doppelkronen werden eingesetzt. Konusartige und parallelwandige Doppelkronen werden auch mit Mesostrukturen nach der Galvano- [Weigl et al., 2000] oder der Faltprägetechnik [Mundt et al., 2005] gefertigt. Galvanoteleskope neigen im Gegensatz zur Faltprägetechnik in Freiendsituationen zum Ausschlagen der Mesostruktur und Retentionsverlust. Prinzipiell ist die Handhabung bei der Aus- und Eingliederung, wenn man es gut einstellt, außerordentlich einfach. In der Planung ist dieses Therapiemittel sehr universell einsetzbar und zumindest beim Einsatz von Mesostrukturen bei Retentionsverlust auch reparabel.

Eine gute Ästhetik setzt aber auf dem natürlichen Zahn eine adäquate Präparation voraus, um der Überdimensionierung entgegenwirken zu können. Im Allgemeinen gilt die Doppelkrone als gut reinigbar. Dies mag bei einzeln stehenden Primärkronen vielleicht noch gelten, doch ist bereits in dieser Situation die Reinigung mit quergestellter Zahnbürste an der distalen Fläche eines Prämolaren für Patienten mit bereits eingeschränkten Fähigkeiten ein Problem. Kaum gelingt dies bei direkt nebeneinander stehenden Doppelkronen. Die interdentale Reinigung mit der Zahnbürste gelingt nicht zuverlässig; die Zahnseide hat durch den fehlenden Bauch der Primärkrone keine Leitstruktur und rutscht leicht in die Tiefe des Sulkus; das Interdentalraumbürstchen verliert sich in dem breiten Zwischenraum. Wird das Augenmerk speziell auf die Gestaltung der abnehmbaren Konstruktion als Leitstrukturen für Zwischenraumbürstchen gerichtet, ist auch für den nicht mehr so geschickten Patienten eine einfache Möglichkeit zu schaffen, mit seinem Hygienehilfsmittel „durchzustechen“ und die interdentalen Marginalbereiche gezielt sauber zu halten. Natürlich erfolgt danach die Reinigung mit der Zahnbürste bei ausgegliederter Suprakonstruktion in einem zweiten Schritt [Biffar et al., 2010]. Den Behandlern muss dabei bewusst werden, dass die Situation, nur ein bis drei Restzähne zu haben, ein 8,59-fach erhöhtes adjustiertes relatives Risiko trägt, in einem Fünf-Jahres-Zeitraum einen weiteren Pfeilerzahn zu verlieren [Biffar und Schwahn, 2011] als im Vergleich zur Versorgung der Molarenlücke.

Dies ist jedoch gänzlich davon unabhängig, welche Art der Verankerung gewählt wurde. Da das Risiko, einen Pfeilerzahn zu verlieren, über alle prothetischen Versorgungen bei einer schweren Parodontalerkrankung in einer ähnlichen Größenordnung liegt, unterstreicht dies die Bedeutung – insbesondere bei einem Patienten mit bereits eingeschränkten Fähigkeiten –, alle Möglichkeiten zu nutzen, um dem Patienten die Mundhygiene zu erleichtern.

Diese Zusammenhänge führen auch zu dem hypothetischen Schluss, dass es protektiv für den Pfeilerbestand ist, wenn durch strategische Insertion von Pfeilerimplantaten das Unterstützungsfeld wieder vergrößert wird. Für den Oberkiefer konnte dieser Nutzen nachgewiesen werden [Kaufmann et al., 2009]. Die Vorteile dürfen aber nicht durch eingeschränkte Hygienemöglichkeiten geschmälert werden. Doppelkronen sind einfach in diese Konzepte der Pfeilervermehrung zu integrieren. Bei der Aufwand- und Nutzenabwägung ist das Konzept der strategischen Pfeiler mit abnehmbarem Zahnersatz insbesondere bei älteren Patienten eine vorteilhafte Option gegenüber der rein festsitzenden Implantatlösung [Krennmair et al., 2007]. Jedoch sollten die Regeln der minimalen Pfeilerzahl bei Implantaten beachtet werden. Bei der Einbeziehung von Implantatpfeilern werden wegen der Komplikationsraten mehr Abstützungen benötigt als auf natürlichen Pfeilern [Weng und Richter, 2007].

Auch beim Verlust von Pfeilern kann die Konstruktion in der Regel erweitert und umgebaut werden. Natürliche Pfeiler können potenziell auch durch einzelne Implantate ersetzt werden. Beim nachträglichen Einbau in Zahnersatz leisten Druckknopfsysteme erfolgreiche Hilfestellungen, da sie sich auch nachträglich gut in Sekundärkronen und Prothesensättel einbauen lassen.

In der Diskussion mit dem älteren Patienten ist zu beachten, dass Kenntnisse über Implantate, deren Nutzen und deren Anwendung in der Bevölkerung noch wenig verbreitet sind und dies eine besondere Schwelle auch bei weitgehend gesunden und unabhängig lebenden Senioren darstellt [Müller et al., 2011].

Der zahnlose Kiefer

Von den 65- bis 75-Jährigen sind gemäß DMS-IV-Studie im Unterkiefer 23,3 Prozent und im Oberkiefer 31,3 Prozent zahnlos [Micheelis, 2006]. Warum sich diese hohen Prozentsätze bei der Klientel der täglichen Praxis nicht im gleichen Umfang abbilden, ist im Detail nicht bekannt. Die strategische Implantation im zahnlosen Kiefer steigert insbesondere die Performanz für die Unterkiefer-Totalprothese. Gezeigt werden konnte, dass mit der Stabilisierung von unteren Totalprothesen durch Implantate sowohl die Ernährungslage als auch die mundbezogene Lebensqualität gesteigert werden können [Morais et al., 2003; Rashid et al., 2011]. Die Stabilisierung mit vier Implantaten statt zwei steigert zwar weiter ein wenig die Kaufähigkeit, aber insgesamt bei substanziell höheren Kosten [Zitzmann et al., 2006]. Als Retentionselemente stehen für die Stabilisierung zur Auswahl: Doldersteg, Locator, Kugelanker, Doppelkrone und Magnete. Das zuverlässigste Element auf Dauer ist immer noch der Doldersteg. Der Barrensteg hat zwar eine etwas höhere Retention, erfordert jedoch eine intensivere Nachsorge [Mericske-Stern et al., 2009]. Form und Ausdehnung der Stege gestaltet jedoch die Unterkieferprothesen oft voluminös, und die Reinigung unter dem Steg muss mit dem Patienten geübt werden. Bei Kugelankern ist insbesondere bei kleinem Kugelkopfdurchmesser der Verschleiß Metall auf Metall höher und zeitigt einen höheren Nachsorgebedarf im Vergleich zum primär deutlich teureren Doldersteg. In einem direkten klinischen Vergleich mit jeweils einjähriger Tragedauer zeigte sich, dass in der Auswahl zwischen Steg auf vier Implantaten oder der Lösung Steg auf zwei Implantaten und Kugelanker auf zwei Implantaten die Patienten zum Kugelankersystem tendieren [Burns et al., 2011].

In der Kompetition zwischen klassischem Kugelankersystemen und Locator hat das Element mit dem flachen Kunststoffinsert immer mehr Raum gewonnen. Über eine Drei-Jahres-Periode ist gemessen am Nachsorgebedarf die Erfolgsrate 15 Prozent höher als bei einem Kugelankersystem [Mackie et al., 2011]. In einer anderen Studie unterliegt der Locator den Kugelankersystemen [Kleis et al., 2010]. Größere Pfeilerdivergenzen führen bei allen Ankersystemen zu einer Abnahme der Retentionskräfte und zur Erhöhung der seitwärts gerichteten Kräfte [Yang, 2011].

Dauer-Retention durch gute Implantatausrichtung

Aus klinischer Erfahrung ist bekannt, dass die Retention und ihr Erhalt umso unproblematischer sind, je paralleler die Retentionselemente stehen. Bei ungenügender Reinigung kommt es gerade bei älteren Patienten zum Verstopfen der zentralen Retention. Sollte dies häufiger geschehen, kann mit nur geringer Haltekraftreduktion auf den zentralen Retentionszapfen des Kunststoffelements verzichtet werden. Zwischen der Auswahl von Kugelankern und Magnet-Attachment liegen die Präferenzen der Patienten eher auf der Seite der Kugelanker [Ellis, 2009].

Die Erfahrung zeigt, dass bei älteren Patienten mit starken Einschränkungen ein Wechsel des Retentionssystems zu Magnetverankerungen sinnvoll sein kann. So kann auch für Patienten, die die anderen Systeme nicht mehr handhaben und reinigen können, ein adäquates Retentionssystem weiter genutzt werden. Gezeigt werden konnte, dass auch in der Zwei-Implantatversorgung die Teleskopkronen gleiche Ergebnisse wie die Kugelankersysteme zeigen [Krennmair, 2011].

Basierend auf den Arbeiten zum Beispiel von Liddelow [2010] und Alsabeeha [2011a] wurde auch in Deutschland die Stabilisierung mit einem in der Mittellinie angeordneten Implantat vorgestellt und wird diskutiert. Das Locator-Element und reine in Metall geführte Kugelankersysteme schnitten schlechter ab, als große Kugeln mit Kunststoffmatrizen [Alsabeeha, 2011b]. Ob dieses – unter den Verfahren der Prothesenstabilisierung mit Implantaten am wenigsten invasive – Vorgehen Vorteile für ältere, weniger belastbare Patienten verspricht, kann heute noch nicht beantwortet werden.

Prothetische Entscheidung

Die prothetischen Entscheidungen zur Verankerung werden beim älteren Patienten mit abnehmenden Fähigkeiten für eine individuelle Mundhygiene durch seine persönliche Konstitution bestimmt. Allerdings gilt es auch abzuschätzen, wie die Entwicklung der Konstitution in der Funktionsperiode des Zahnersatzes sich entwickeln wird. Eine prothetische Entscheidung ist immer eine strategische Entscheidung in einem Lebensbogen und nicht nur für den Tag der Eingliederung. Versetzen wir uns in die Lage dieser Patienten.

Wenn ich nicht mehr gut sehe, schlecht fühle und die Bewegungen beschwerlich werden, muss die Reinigung meines Zahnersatzes einfach und gezielt möglich sein. Dies gilt besonders dann, wenn zukünftig auch Betreuende dies mit übernehmen müssen. Festsitzende wie abnehmbare Konstruktionen schaffen die Leitstrukturen für die Interdentalreinigung. Das kontinuierliche Monitoring im Rahmen der Professionellen Zahnreinigung und die Auswahl und Übung mit zusätzlichen Mundhygienehilfsmitteln (Abbildung 5) sind wichtige Garanten für den Erhalt der Mundsituation eines alten Patienten. Einfach und unkompliziert abnehmbare Konstruktionen senken die Hemmschwelle, den Zahnersatz und das tragende Restgebiss zu reinigen. So ist es eine präventive Entscheidung zugunsten des älteren Patienten, wenn wir uns für einfach zu handhabenden Zahnersatz entscheiden und kompliziert zu bedienende, schwer zu reinigende Versorgungen vermeiden.

Univ.-Prof. Dr. Reiner Biffar

Poliklinik für zahnärztliche Prothetik, Alterszahnheilkunde, Medizinische Werkstoffkunde

Universitätsmedizin Greifswald KöR

Rotgerberstr. 8

17475 Greifswald

biffar@uni-greifswald.de

Prof. Dr. Reiner Biffar

Jahrgang 1956, 1981 Staatsexamen Zahnmedizin in Frankfurt a. M., 1984 Promotion, 1991 Habilitation, 1981 bis 1992 Wiss. Ass. ZZMK (Carolinum) Abt. Prothetik (Prof. Dr. Windecker), Universität Frankfurt a. M., seit 1993 Poliklinik für Prothetik, Alterszahnheilkunde und Med. Werkstoffkunde der Universitätsmedizin Greifswald; diverse Preise, Ehren-ämter in Fachgesellschaften und Forschungseinrichtungen

Forschungsschwerpunkte: Community Medicine/Dentistry, Epidemiologie des Zahnverlusts, der prothetischen Versorgung und Assoziationen zu Funktion, Morbidität, Mortalität und genetischer Disposition einschließlich Ganzkörper-MRT, Alterszahnmedizin, Doppelkronentechnik, keramische Werkstoffe, Methodenentwicklung zahnärztlich-klinischer Studien im Feld, betriebliche Präventionsstrategien

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