Gewebeerhalt und Gewebeaufbau um Implantate

Der Alveolarkamm ist Teil der rot-weißen Architektur

Nach Zahnverlusten gehen zahnbezogene Gewebe in jedem Fall verloren. Der Alveolarknochen wird um bis zu 50 Prozent reduziert. Mit regenerativen Methoden lässt sich das Knochenvolumen jedoch zum Teil erhalten oder wieder aufbauen. Im Idealfall kann die ursprüngliche „rot-weiße Ästhetik“ vollständig wiederhergestellt werden.

Jan Hermann Koch

Wenn einzelne Frontzähne, zum Beispiel aus endodontischen Gründen, nicht mehr zu halten sind, kommt zahn- oder implantatgestützter Zahnersatz infrage. Vor allem bei fehlenden seitlichen Oberkieferschneidezähnen sind adhäsiv befestigte Vollkeramikbrücken eine dauerhafte Lösung [Kern, 2005]. Die einflügelige Variante hat eine ähnlich gute Prognose wie enossale Implantate [Kern, 2008]. Wenn die Nachbarzähne vorgeschädigt sind oder der Patient Implantate ablehnt, kann auch eine konventionelle zahngetragene Brücke angezeigt sein.

Voraussetzung für alle Optionen, zumin-dest bei entsprechenden ästhetischen Ansprüchen, sind ein intakter Alveolarkamm und gesunde Weichgewebe. Nur mit diesen ist eine harmonische „rote“ Umgebung für den Zahnersatz dauerhaft gewährleistet. Häufig ist jedoch die Kontur des Alveolarfortsatzes bereits vor Behandlungsbeginn nicht mehr intakt. Als Ursachen kommen entzündliche Vorgänge oder – bei länger bestehenden Lücken – eine fehlende physiologische Belastung des Knochens infrage.

Dieser physiologische Volumenverlust von bis zu 50 Prozent lässt sich nach neueren Erkenntnissen durch Einbringen stabilisierender Materialien in die Extraktionsalveole zumindest teilweise vermeiden (Kieferkamm-Erhaltung) [Tan, 2012]. Wenn dies zum entsprechenden Zeitpunkt versäumt wurde und noch ausreichend Knochen vorhanden ist, kann das verlorene Gewebe mit gesteuerter Knochenregeneration (Guided Bone Regeneration, GBR) wieder aufgebaut werden, meist in Verbindung mit Implantaten [Buser, 1990]. Bei mehrspannigen Lücken ist häufig eine weitere Rekonstruktion erforderlich, zum Beispiel mit autogenen oder allogenen Knochen-blöcken. Dieser Beitrag beschreibt das implantologische Vorgehen bei Lücken mit begrenzten Gewebeverlusten, die mit GBR regenerierbar sind.

Anamnese und Diagnostik

Wie vor jeder anderen oralchirurgischen Maßnahme ist zunächst eine sorgfältige Anamnese erforderlich. Es gibt einige absolute und zahlreiche relative Kontraindikationen. So erhöhen Vorerkrankungen, wie ein nicht optimal eingestellter Diabetes mellitus oder eine therapierte Parodontitis mit Resttaschen ab 5,5 Millimetern das Risiko für Misserfolge. Auch Rauchen kann den Behandlungserfolg infrage stellen. Detaillierte Informationen zu diesem Thema sind den aktuellen Empfehlungen der Fachgesellschaften zu entnehmen [BDIZ EDI, 2012; Dawson, 2009].

Wenn die anamnestischen Voraussetzungen stimmen, die Indikation gegeben ist und der Patient implantatgestützten Zahnersatz wünscht, beginnt die Detailplanung. Dabei gelten die aus der zahngetragenen Prothetik bekannten Grundsätze und Regeln, zum Beispiel in Bezug auf die parodontale Vor-behandlung und funktionelle Fragen. Im Vergleich zum Vorgehen bei zahngestützter Prothetik wird das Knochen- und Weich- gewebsangebot vor Implantationen besonders gründlich untersucht. Standard sind neben der klinischen Untersuchung eine Modellanalyse, Zahnfilme und eine Pano- ramaschichtaufnahme.

Bei komplexeren Defekten, zum Beispiel nach Trauma, oder bei hohen ästhetischen Ansprüchen kann – nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung [DGZMK, 2009] – eine digitale Volumentomografie (DVT) angezeigt sein. Mit dieser Methode lässt sich auch die Dicke der bukkalen Knochenlamelle bestimmen [Braut, 2011], allerdings mit Einschränkungen bei sehr dünnen Knochenschichten [Fienitz, 2012].

Neuere Entwicklungen erlauben es, die Daten aus dem DVT mit einem im Labor gescannten Modell [Ritter, 2012; Spiegelberg, 2011] und sogar mit Bilddaten der extra-oralen Situation [Maal, 2011] zu kombinieren (matchen). Auf diese Weise sind schon zu einem frühen Zeitpunkt wertvolle Informationen zur Weichgewebsdicke und Gesichtsmorphologie verfügbar. Planung und Gestaltung von Implantat-Aufbau und Krone werden damit erheblich erleichtert.

Welcher Aufwand sinnvoll ist, hängt auch vom Patientenanspruch ab. Ein erhöhter Schwierigkeitsgrad liegt immer bei Patienten vor, deren Kronen beim Lächeln oder Lachen komplett sichtbar werden, gegebenenfalls einschließlich größerer Anteile der befestigten Gingiva (gummy smile). Hier sollten zunächst, wie aus der konventionellen Prothetik und der restaurativen Zahnheilkunde bekannt, der Zahnbogen und das umgebende Weichgewebe exakt analysiert werden [Passia, 2011]. Auch das implantologische Protokoll, also die Zeitplanung und das chirurgische und prothetische Vorgehen, erfordert eine besonders präzise Planung.

Knochenvolumen erhalten

Muss der Zahn noch extrahiert werden, sollte dies so schonend wie möglich erfolgen, zum Beispiel mit speziellen minimalinvasiven Extraktionsinstrumenten, Skalpellen und Hebeln. Luxierende Bewegungen sind nach Möglichkeit vollständig zu vermeiden, damit der alveoläre Knochen und die angrenzenden Weichgewebe nur so viel wie unbedingt erforderlich traumatisiert werden. Nach der Zahnentfernung lassen sich die Schichtstärken des verbleibenden Knochens teilweise klinisch vermessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der zum Zahnhalteapparat gehörige Bündelknochen zusammen mit dem parodontalen Ligament immer verloren geht.

Durch Einbringen von Knochen oder Knochenersatzmaterial in die Alveole ist es dennoch möglich, den horizontalen Knochenverlust im Bereich der Alveole um durchschnittlich knapp 60 Prozent zu reduzieren. Diese Methode wird als Kieferkamm- Erhaltung bezeichnet (ridge preservation) [Weng, 2011]. Bewährt haben sich hier- für unter anderem allogener Knochen und einzelne Knochenersatzmaterialien. Signifikante Vorteile für ein bestimmtes Material sind aufgrund fehlender randomisierter Vergleichsstudien nicht dokumentiert [Vignoletti, 2012]. In einem aktuellen Konsenspapier, das auf einer systematischen Literaturübersicht bis einschließlich Februar 2011 basiert, werden jedoch Knochenersatz- materialien mit langsamer Resorptionsrate empfohlen [Hämmerle, 2012], die mit oder ohne Zusatz von Kollagen verfügbar sind (Abbildung 5).

Kieferkamm-erhaltende Maßnahmen können einerseits sinnvoll sein, wenn eine zahngetragene Brücke geplant ist [Schlee, 2009]. Nach Einbringen des Augmenta- tionsmaterials in die Alveolen lässt sich das Weichgewebe mit einer entsprechend gestalteten temporären Brücke gut ausformen (Abbildung 1). Der Kieferkamm ist nach Stabilisierung der Situation (Abbildung 2) für die Aufnahme der definitiven Brücke vorbereitet.

In vielen Fällen wird der Kieferkamm für eine spätere Implantation vorbereitet. Dadurch steht nach Abheilen der Extraktionswunde mehr Knochenvolumen für das Einbringen der Implantate zur Verfügung als ohne Kieferkamm-erhaltende Maßnahmen [Barone, 2012]. Je nach Ausgangsbefund können hierdurch überhaupt erst Implantate inseriert werden, oder erst welche mit größerem Durchmesser. Weiterhin ist bei einer umfangreichen knöchernen Basis im Vergleich zu einer schmalen Basis mehr anhaftendes Weichgewebe vorhanden. Dies erleichtert das Vernähen der Lappen bei nachfolgenden Implantationen oder augmentativen Maßnahmen. Ein sauberes Vernähen wiederum führt zu ästhetisch und biologisch günstigeren Ergebnissen.

Von Vorteil ist es offenbar auch, den Alveoleneingang nach Einbringen des Knochenersatzmaterials weichgewebig zu verschließen [Vignoletti, 2012]. Dies kann zum Beispiel mit einem freien epitheliali-sierten Bindegewebstransplantat erfolgen, das mit feinen Nähten über dem Alveoleneingang fixiert wird (Abbildungen 6 und 13). Zusätzlich kann auch eine Kollagenmembran eingebracht werden (Abbildungen 11 und 12) [Stimmelmayr, 2010]. Alternativ ist auch ein Bindegewebsersatzmaterial auf Kollagenbasis verwendbar, das ebenfalls über dem Eingang vernäht wird (Geistlich Mucograft). Noch nicht publizierte Ergebnisse einer randomisierten Vergleichsstudie zeigen, dass sich das knöcherne Kamm- volumen mit beiden Methoden wirksamer erhalten lässt als bei spontaner Heilung [Hämmerle, 2011].

Implantationszeitpunkt

Das sofortige Einbringen von Implantaten in frische Extraktionsalveolen (Typ 1) ist eine verlockende Therapieform [Chen, 2009]. Beim traditionellen Vorgehen wird erst nach vollständiger knöcherner Ausheilung implantiert, also mindestens sechs Monate nach der Extraktion (Spätimplantation, Typ 4). Bei Sofort-Implantationen ist dagegen die Behandlungszeit verkürzt und die Anzahl der chirurgischen Eingriffe reduziert. Zudem kann bei richtiger Technik der oben beschriebene Verlust an Knochenvolumen verhindert werden.

Wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, ist dies aber nicht durch die Implantation selbst bedingt. Das heißt, der Knochen wird nicht durch das sofort eingesetzte Implantat gehalten [Araujo, 2006]. Als Erfolgsvoraussetzung für Sofort-Implantationen wird unter anderem ausreichend gesundes, möglichst dickes Weichgewebe angesehen [Lang, 2012]. Weiterhin muss das Implantat korrekt positioniert werden. Selbst wenn alle Voraussetzungen gegeben sind, besteht gegenüber der späteren Implantation jedoch ein erhöhtes Risiko, dass sich der Gingivarand zurückzieht und ein ästhetischer Misserfolg eintritt [Evans, 2008]. Die meisten Experten sind sich daher einig, dass Sofort-Implantationen nur von erfahrenen Ärzten, nach sehr sorgfältiger Analyse der Ausgangssituation und in Situationen mit begrenztem ästhetischem Risiko durchgeführt werden sollten [Hämmerle, 2012; Esposito, 2010].

Nach entzündlich oder traumatisch bedingten Zahnverlusten ist zudem in den meisten Fällen bereits Knochen verloren gegangen. Auch um natürliche Zähne sind intakte bukkale Knochenlamellen nur bei etwa jedem zehnten Patienten mehr als einen Millimeter dick [Huynh-Ba, 2010]. Bei Implantaten ist dies nach der Meinung von Experten nicht ausreichend. Diese empfehlen für dauerhaft stabile periimplantäre Gewebe im ästhetisch relevanten Bereich daher eine bukkale Knochendicke von mindestens zwei Millimetern [Huynh-Ba, 2010; Buser, 2008]. Folglich ist in der Regel eine Augmentation erforderlich, die zeitgleich mit der Sofort-Implantation stattfindet. Diese ist jedoch durch das meist geschädigte oder nicht ausreichend vorhandene Weichgewebe erschwert.

Das gilt nicht oder in geringerem Ausmaß, wenn eine Zwischenform zwischen Sofort- und späterer Implantation gewählt wird. Diese sogenannte frühe Implantation kann entweder nach ein bis zwei Monaten (Typ 2) oder nach drei bis vier Monaten (Typ 3) erfolgen [Chen, 2009]. Beim Typ 2 ist das Weichgewebe zum Zeitpunkt der Implantation weitgehend abgeheilt, beim Typ 3 ist auch der Knochen zu einem erheblichen Anteil regeneriert. Zugleich mit der Implantation wird in der Regel eine gesteuerte Geweberegeneration durchgeführt, wobei die verheilten Weichgewebe im Vergleich zur Sofort-Implantation den Wundverschluss erheblich erleichtern (Abbildung 5) [Buser, 2008].

Für Typ-2-Implantationen gibt es sehr gute Ergebnisse bereits nach drei Jahren. In einer prospektiven Studie waren Hart- und Weichgewebe weitgehend stabil, ästhetische Probleme wurden nicht beobachtet [Buser, 2011]. Die Ergebnisse für diesen Implantationszeitpunkt sind nach einer systematischen Literaturauswertung günstiger als für späte Implantationen (Typ 4) [Sanz, 2012]. Obwohl noch langfristige Daten von fünf oder mehr Jahren fehlen, kann die Methode daher nach derzeitigem Wissensstand empfohlen werden.

Gesteuerte Knochenregeneration

Bei begrenzten zwei- bis dreiwandigen Defekten um Implantate ist die gesteuerte Knochenregeneration (GBR) die Methode der Wahl, um verloren gegangenes Gewebe wieder aufzubauen. Die Methode wurde zunächst für die Parodontologie entwickelt, wobei das Grundprinzip vergleichbar ist [Nyman, 1982; Wikesjö, 1990]. In den letzten Jahrzehnten wurden für die GBR zahlreiche Methoden und Materialien eingeführt, die zum Teil gut dokumentiert sind [Jensen, 2009]. Grundsätzlich wird nach Aufklappung eine Membran eingebracht und der Hohlraum zwischen Knochen, Implantat und Membran mit Knochen oder Knochenersatzmaterial in partikulierter Form gefüllt (Abbildung 5) [Dahlin, 2010]. Die Partikel wirken nach heutigem Verständnis als Leitschiene für einsprossende Blutgefäße und knochenbildende Zellen [Hämmerle, 1996]. Die Membran schließt unerwünschte Weichgewebszellen aus, stabilisiert zusammen mit dem eingebrachten Material das Blutkoagulum und wirkt im Idealfall ebenfalls als biokompatible Leitschiene für Hart- und Weichgewebe [Wikesjo, 2003].

Für die Implantologie ist ein Material am besten dokumentiert, das aus deproteinisiertem Rinderknochen hergestellt wird (Geistlich Bio-Oss) [Jensen, 2009]. Es hat ähnliche Oberflächeneigenschaften und eine vergleichbare Porosität wie menschlicher Knochen, so dass Blutgefäße leicht in die Partikel einwachsen können und die Neu-bildung von Knochen gefördert wird [Weibrich, 2000]. Ähnliche morphologische Eigenschaften hat ein Ersatzmaterial auf der Basis von Korallen, für das allerdings nur wenige klinische Daten vorliegen (Frios Algipore, Dentsply Implants). Dieser Mangel trifft in noch stärkerem Maße auf andere Materialien zu. Deren Eignung wird zum Teil völlig ohne Absicherung durch klinische Studien im ungeplanten Feldversuch ermittelt. Bei der Verwendung entsprechend dokumentierter, langsam resorbierender Knochenersatzmaterialien bleibt das erreichte Knochenvolumen in der Regel stabil [Schneider, 2011]. Dies wirkt sich indirekt auf die Weichgewebsstabilität aus und ist daher vor allem im ästhetisch sensiblen Bereich bedeutsam.

Membranen für die GBR gibt es in resorbierbarer oder in nicht resorbierbarer Form. Mit beiden Varianten wurden für einige Produkte gute regenerative Ergebnisse erzielt [Zitzmann, 1997]. Resorbierbare Membranen haben dabei den Vorteil, dass sie nicht in einem zweiten Eingriff entfernt werden müssen. Unvernetzte Kollagenmembranen sind gleichzeitig sehr gewebeverträglich. Dies ist nützlich im Fall von sekundärer Freilegung während der Wundheilung [Rothamel, 2005].

Der Zustand, aber auch die Dicke des Weichgewebes wirken sich signifikant auf den Langzeiterfolg von Implantationen aus.

Daher verdicken viele implantologisch tätige Zahnärzte und Chirurgen das bukkale Weichgewebe vor oder nach der Implan- tation routinemäßig mithilfe von Binde- gewebstransplantaten (Abbildung 6). Auf diese Weise lässt sich der sogenannte Biotyp, also die genetisch festgelegte Gingivadicke, lokal verändern. Diese Umwandlung bleibt nach aktuellen Studienergebnissen langfristig stabil [Hehn, 2012].

Zusammenfassung

Nach Zahnverlusten in der Front kann die Wiederherstellung von Ästhetik und Funktion kompliziert sein. Wenn ein Implantat indiziert ist, folgt eine umfassende Anamnese und Diagnostik. Im Zentrum stehen dabei der Zustand und das Volumen der vorhandenen Hart- und Weichgewebe im Defektbereich. Ist die Ausgangssituation günstig und werden die aktuell verfügbaren Möglichkeiten genutzt, kann der „rot-weiße“ Ausgangszustand mithilfe von Implantaten und gesteuerter Geweberegeneration weitgehend wiederhergestellt werden – auch ohne Entnahme von Knochentransplantaten. Um sicher zu gehen und ein stabiles Langzeitergebnis zu erreichen, sollten hierfür nur gut dokumentierte Materialien und Methoden verwendet werden. Eine gründliche Aus- oder Weiterbildung mit entsprechenden Kursen, Curricula und Hospitationen ist dringend zu empfehlen.

Dr. Jan H. KochParkstr. 1485356 Freisingjanh.koch@dental-journalist.de

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