Gesundheitswirtschaftskongress

Wachstumsbranche weiter voranbringen

Die Gesundheitswirtschaft boomt. Und gibt sich selbstbewusst. In Hamburg formulierten am 24./25. September 2013 Akteure aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und der medizinischen Versorgung auf einem Kongress der Branche ihre Erwartungen an die neue Regierung – die Liste der liegen gebliebenen Aufgaben aus der abgelaufenen Legislatur ist lang.

Da die Tagung unmittelbar nach der vergangenen Bundestagswahl stattfand, nahm der Präsident des Kongresses, Senator a. D. Ulf Fink, eine erste Einschätzung vor, was das Wahlergebnis aus seiner Sicht für die weitere Entwicklung des Gesundheitswesens bedeutet. Dabei hob er mit Blick auf das von den (damaligen) Oppositionsparteien angekündigte Vorhaben, eine Bürgerversicherung einführen zu wollen, hervor, dass die Wähler der Politik keinen Auftrag zu radikalen Veränderungen am Gesundheitssystem erteilt hätten. Dies, so Fink, sei auch gar nicht nötig, schließlich verfüge Deutschland über eines der am besten funktionierenden Gesundheitssysteme der Welt. Dennoch dürfe man die Hände nicht in den Schoß legen. Fachkräftemangel, Präventionsgesetz, die unausreichende ärztliche Versorgung in manchen ländlichen Regionen, die Aktualisierung der Krankenhausfinanzierung oder die Reform der ärztlichen Gebührenordnung seien nur einige Beispiele für Herausforderungen, die schnellstmöglich angegangen werden müssten, so Fink.

Mit-Tagungspräsident Prof. Heinz Lohmann stellte die hiesigen Verhältnisse in einen internationalen Kontext: Während sich in Deutschland die Gesundheitswirtschaft immer noch als Stabilitätsfaktor für die Gesamtwirtschaft erweise, seien in vielen anderen europäischen Ländern die Budgets in diesem Bereich zusammengestrichen worden.

Doch auch hierzulande, so prophezeite er, werde der Druck auf die öffentlichen Finanzen angesichts wachsender Probleme wegen der demografischen Entwicklung immer mehr zunehmen. Der staatlich gelenkte Gesundheitsfonds obliege ohnehin jetzt schon verstärkter öffentlich-politischer Kontrolle. Noch vor Jahren, so Lohmann, sei es undenkbar gewesen, die Bereiche Gesundheit und Wirtschaft zusammen zu denken und zu verstehen. Auch wenn sich in der öffentlichen Wahrnehmung schon vieles verändert habe, so müsse diese Denkart noch weiter um sich greifen und die prosperierende Wirkung dieses Wirtschaftsbereichs angesichts Milliarden-Umsätzen noch deutlicher hervorgehoben werden.

Das Mantra des Wettbewerbs

Gesundheit und Wirtschaft wurden auf der Tagung aber nicht nur einseitig als ökonomisch einträchtige und ertragsbringende Symbiose angesehen, sondern andererseits auch als ethische Antipoden diskutiert. So vertrat etwa der Vorstandsvorsitzende der amedes Holding AG und ehemalige ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Prof. Dr. Jörg F. Debatin, die Ansicht, die Wettbewerbsförderung unter den einzelnen Akteuren sei noch viel zu gering. Noch mische sich der Staat viel zu sehr in Angelegenheiten ein, die die Player und der Markt allein viel besser regeln könnten. Auch müsse sich die in der Politik vielfach spürbare Technologiefeindlichkeit gegenüber medizinwirtschaftlichen Innovationen ändern.

Einen deutlichen Appell richtete Debatin an die Selbstverwaltung. Die Akteure im System seien selbst dafür verantwortlich, eigenständig das Thema Qualitätssicherung in der medizinischen Versorgung zu besetzen und zu organisieren – doch wenn er sich die dies- bezüglichen Bemühungen in der Vergangenheit ansehe, so gebe es hier noch viel Entwicklungsbedarf.

Der Forderung nach einer stärkeren Selbstverwaltung konnte der Vorsitzende der Klinikum Dortmund gGmbH, Rudolf Mintrop, zwar zustimmen. Schließlich ginge „aufgrund der politischen Rahmenbedingungen ein Krankenhaus nach dem anderen kaputt“. Dass es mit der stationären Krankenhausversorgung aber bergab gehe, habe einen völlig anderen Grund und liege, so Mintrop, „in der Aldisierung der Versorgung“ begründet. Man könne es nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass der ökonomische Druck auf die Kliniken immer stärker zunimmt, und gleichzeitig andererseits erwarten, dass dies keine Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung hat.

Diesen Spagat zwischen Ökonomie und Ethik hielten immer weniger Kliniken aus, gab Mintop zu bedenken. „Wo“, so fragte er, „bleibt die soziale Verantwortung? Manchmal geht’s mir schon zu weit Richtung Ökonomie, schließlich leiteten sich die Kliniken mal vom Hospitalgedanken des 19. Jahrhunderts ab.“ Krankenhäuser seien aber keine Betriebe, die nur rein ökonomisch zu betrachten sind. Kliniken hätten vielmehr eine ethisch-menschliche Komponente, die im täglichen Existenzkampf um immer mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit zunehmend verdrängt werden würde.

„Es gibt leider immer noch zu viele Krankenhausmanager, die sich um alles Mögliche kümmern, nur nicht um die Erwartungen der Patienten“, bestätigte Lohmann. Erfolgreich würden aber im schärfer werdenden Wettbewerb der kommenden Jahre nur Krankenhäuser sein, die verlässliche Behandlungslösungen anbieten könnten. Lohmann: „Dazu ist eine intensive Zusammenarbeit der ökonomischen mit den ärztlich Verantwortlichen zwingende Voraussetzung.“ Konfrontation zwischen den Berufsgruppen bringe hingegen gar nichts, so Lohmann, und sprach sich wie andere Referenten dafür aus, das Sektoren-Denken im Gesundheitswesen allgemein und speziell in Kliniken zu überwinden. Vielmehr bedürfe es der interdisziplinären Kooperation genauso wie auch auch innovativer Systempartner aus Industrie und Service, die sich kompetent um die nicht medizinischen Aufgaben in den Krankenhäusern hierzulande kümmern.

Irmtraut Gürkan, die Kaufmännische Direktorin des Universitätsklinikums Heidelberg, rückte wie andere Referenten auch die Nachwuchssorgen ins Zentrum. Um das hohe Versorgungsniveau in den Krankenhäusern halten zu können und um die Gesundheitswirtschaft weiterhin so stark erscheinen zu lassen, müsse die Attraktivität der Arbeitsplätze im Gesundheitswesen ausgebaut werden, so Gürkan. Dies sei eine echte Herausforderung angesichts der Tatsache, dass es erhebliche Nachwuchs- probleme bei den medizinischen (Hilfs-) Berufen gebe, „weil sich die Jugendlichen heute lieber anderen Ausbildungen wie etwa im IT-Bereich zuwenden“.

Viele Aufgaben noch nicht angepackt

In den Symposien und Diskussionen wurde aber auch herbe Enttäuschung über die Arbeit der beiden zuletzt Verantwortlichen im Gesundheitsministerium Philipp Rösler und Daniel Bahr (beide FDP) laut. Kritik wurde besonders daran geübt, was alles an Vorhaben liegen geblieben ist. Einigkeit herrschte bei den Beteiligten aus unterschiedlichen Bereichen im Gesundheitssystem darüber, dass ähnliche oder gleiche Punkte ganz oben auf der Agenda stehen.

So verwies etwa Hamburgs Gesundheits- senatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) auf die ausstehenden Reformen der Pflege- versicherung sowie der Krankenhausfinanzierung. Generell müsse die Qualität erbrachter medizinischen Leistungen mehr in den Vordergrund gestellt werden. Dass im Wahlkampf die Gesundheitspolitik kaum eine Rolle gespielt hat, betonte der Vorsitzende der Hamburger CDU-Fraktion, Dietrich Wersich, und machte unter anderem die Erfolge der Reformen unter den Ministern Rösler und Bahr verantwortlich. Trotzdem mahnte Wersich eine „große Koalition der Vernunft“ zwischen Bund und Ländern an, um die begonnenen Projekte voranzutreiben.

Für die Stärkung der Industrie als vollwertiger Player im Gesundheitssystem setzte sich die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharmaunternehmen, Birgit Fischer, ein. „Der medizinische Fortschritt wäre ohne die Entwicklungen der Pharmaindustrie nicht denkbar.“ Zu oft noch werde Gesundheits- nur mit Sozialpolitik gekoppelt gesehen. Die Treiber des Systems kämen aber aus Wissenschaft, Forschung und Produktion, so Fischer, „daher ist auch die Wirtschaftspolitik Partner der Gesundheitspolitik“.

Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, gab zu bedenken, dass viele der qualitätsorientierten Themenbereiche im Gesundheitssystem, die man reformieren wolle und müsse, daran scheitern würden, dass man bei den vielen Beteiligten mit unterschiedlichen Interessenlagen noch keinen Konsens darüber habe herstellen können, was eigentlich Qualität sei und wie man sie messen wolle.

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