Neue Drogen und „Meth mouth“-Syndrom

Wandel in der Szene

Bis vor wenigen Jahren waren vor allem Cannabis, Kokain und Ecstasy en vogue, seitdem aber wandelt sich das Bild in der Drogenszene zusehends. Synthetische Drogen sind massiv auf dem Vormarsch, allen voran Methylamphetamin oder – so sagen Insider – „Crystal Meth“, aber auch gefährliche Kräuter-mischungen und „Badesalze“ dienen dazu, den Alltag zu vergessen und möglichst schnell „high“ zu werden.

Christine Vetter

Heroin, Kokain und Hasch, die Drogen, die vor allem in den 80er-Jahren Furore machten, geraten offenbar mehr und mehr ins Abseits. Das ist die gute Nachricht im aktuellen Bericht der EU-Drogenbeobachtungsstelle „EBDD“ (siehe Kasten). Die schlechte Nachricht: Statt der bekannten Drogen gewinnen zunehmend moderne, synthetische Drogen an Boden. Sie sind in ihrer Wirkung oft um ein Vielfaches gefähr-licher als die althergebrachten Rauschmittel, führen rascher zur Abhängigkeit und auch rascher zum körperlichen Verfall.

Rausch aus alten Schmerzpflastern

Als eine der modernen Problemdrogen wird im Bericht synthetisches Fentanyl aufgeführt. Das in der Schmerztherapie vor allem als Pflaster eingesetzte Opioid wirkt laut EBDD-Direktor Wolfgang Götz rund 100-mal toxischer als Heroin. Auch die „Gewinnung“ ist nicht unproblematisch. So klauben laut Götz Drogenabhängige zum Teil alte Fentanylpflaster aus den Klinikmülltonnen, kochen diese aus und injizieren sich das Opioid. Ähnlich ist es offenbar mit Buprenorphin, ebenfalls ein Opioid, das als transdermales System in der Schmerztherapie genutzt wird. Sorgen macht den Beobachtern der Drogenszene aber vor allem eine andere Entwicklung. Aus Ländern in Osteuropa überschwemmen zunehmend synthetische Drogen den deutschen „Markt“, allen voran Crystal Meth.

Dramatischer Anstieg der neuen Psychoaktiva

Die modernen „Drogen-Designer“ sind dabei äußerst kreativ, die Zahl der neuen Drogen, die in den Handel kommen, nimmt kontinuierlich zu. Und das in einer Geschwindigkeit, dass die Drogenwächter kaum mehr eine Chance haben, mit den Analysen und vor allem der Durchsetzung rechtlicher Konsequenzen nachzukommen.

So wurden der EBDD nach eigenen Angaben im Jahr 2008 13 und 2009 24 neue psychoaktive Substanzen gemeldet. 2010 waren es bereits 41 neue Rauschmittel und 2011 sogar 49. Die Liste der Substanzen ist lang, angefangen von den synthetischen Cannabinoiden über Cathinone bis hin zu Derivaten etablierter Drogen und sogar einer Substanz pflanzlichen Ursprungs.

Nur eine dieser Drogen, das Mepheron, das zu den synthetischen Cathinonen gehört, wurde bislang offiziell verboten. Das zeigt ein massives Problem der derzeitigen Drogensituation: „Es entstehen permanent neue Stoffe, die zunächst legal verkauft werden können“, so Götz bei der Vorstellung des EBDD-Berichts in Lissabon. Das wird von den Dealern selbstverständlich ausgenutzt: So ermittelte die EBDD 2012 knapp 700 Online-Shops, in denen die „Legal Highs“ vertrieben werden, völlig legal versteht sich. Zum Vergleich: 2010 waren es „nur“ 170.

„Spice“ – Agonisten des Cannaboid-Rezeptors

Das Problem der synthetischen Cannabinoide, auch Spice genannt, ist den Drogenwächtern nicht neu: Seit 2008 ist gut bekannt, dass versucht wird, Substanzen zu entwickeln, die Einfluss auf den Cannaboid-Rezeptor nehmen. Inzwischen sind bereits 27 verschiedene Agonisten des Rezeptors im Handel und werden als Rauschmittel konsumiert. Die Substanzen gehören sechs verschiedenen chemischen Gruppen an und sind mit den üblichen Analysemethoden extrem schwierig zu identifizieren. „Das Ausmaß, in dem diese Drogen konsumiert werden, ist deshalb schwer zu ermitteln“, heißt es im aktuellen Drogenbericht.

Gefahr durch Badesalze und Kräutermischungen

Die jüngsten Entwicklungen um die synthetischen „Legal Highs“ bereiten den Drogenwächtern zunehmend Kopfzerbrechen. Die neuen Drogen werden harmlos tönend als „Kräutermischungen“ oder „Badesalze“ vertrieben, oder auch als „Explosion“, „Blow“ oder unter den Begriffen „Pflanzennahrung“ oder „Forschungschemikalie“. De facto handelt es sich um hochpotente Rauschmittel, die vor allem Cathinone, enge chemische Verwandte der Phenethylamine, enthalten. Sie haben ähnliche Wirkungen wie Kokain, Amphetamin oder Ecstasy, ihre genaue Pharmakologie ist jedoch bislang kaum bekannt. Die Substanzen sind üblicherweise wasserlöslich und können geschluckt oder gespritzt werden.

Aus den USA gibt es Berichte über wahre „Horrortrips“ unter dem Einfluss der Badesalz-Drogen. Selbstverstümmelungen sind nicht selten und auch Gewalttaten werden im Rausch durch die legal zu beziehenden neuen Drogen begangen. So berichtete die „New York Times“ im vergangenen Jahr von einem Mann, der unter den neuen Modedrogen auf einen Flaggenmast kletterte und von oben in den laufenden Straßenverkehr gesprungen ist.

Aufsehen erregte auch der Bericht eines Drogensüchtigen, der im „Badesalz“- Rausch einen Priester niedergestochen hatte. Nicht selten kommt es zudem zu massiven Schnittverletzungen, die sich die Drogenabhängigen im Rausch selbst zu- fügen, weil sie glauben, es krabbele etwas unter ihre Haut.

Auch von seltenen extremen Reaktionen abgesehen, bergen die Cathionine massivste Gefahren wie einen Anstieg der Körper- temperatur auf 42 Grad Celsius, gefährliche Steigerungen des Blutdrucks wie auch der Herzfrequenz, erhebliche Muskelkrämpfe und Unruhezustände, denen auch mit starken Beruhigungsmitteln nicht bei-zukommen ist.

Crystal Meth – körperlicher Verfall, Hirnsubstanzabbau

Besonders gefährlich ist offenbar das moderne Crystal Meth, bekannt auch unter dem Namen Ice. Die Partydroge scheint zunächst ungeahnte Kräfte zu mobilisieren, führt dann aber rasch zum körperlichen Verfall. Sie lässt nicht nur die Zähne bröckeln, sondern provoziert Wahnvorstellungen und Psychosen, lässt den Körper voraltern und führt zum Abbau von Hirnsubstanz.

Es handelt sich bei Crystal Meth um Methylamphetamin, ein in Deutschland verkehrsfähiges, aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Die Substanz kann besser als Amphetamin die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dadurch in höheren Konzentrationen im Gehirn wirksam werden. Der kristalline Stoff unterdrückt Müdigkeit, Hunger und Schmerzgefühle, verleiht Selbstvertrauen und führt sehr rasch in die Abhängigkeit. Bei längerem Konsum kommt es zu Persönlichkeitsveränderungen, zu Psychosen und oftmals zur Paranoia. Problematisch ist darüber hinaus, dass die Droge oftmals Verunreinigungen enthält, die den Zerstörungsprozess wahrscheinlich akzelerieren.

Weniger Tote bei mehr Erstkonsumenten

Welche Brisanz die neuen Drogen besitzen, verdeutlicht die Rauschgift-Statistik der Bundesregierung vom März 2012. Demnach ist die Zahl der Drogentoten hierzulande innerhalb nur eines Jahres um rund ein Fünftel gesunken, dem steht aber eine deutliche Steigerung der Zahl von Drogen-Erstkonsumenten entgegen. Dieser Anstieg wird auf rund 15 Prozent beziffert.

Vor allem Crystal Meth treibt offenbar diese Zunahme an: So wurden 2011 insgesamt knapp 1 700 Konsumenten des kristallinen Methamphetamins auffällig. Das waren rund 160 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit gab es 2011 – so heißt es im Bericht – mehr Erstkonsumenten von Crystal Meth als von Ecstasy. Das aber darf nicht darüber hinweg täuschen, dass auch bei Ecstasy und Kokain die Zahl der Erstkonsumenten zugenommen hat.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Kölninfo@christine-vetter.de

Info

Neue Drogenstrategie (2013-2020) der EU

Der Rat der Europäischen Union (Justiz und Inneres) hat kürzlich den Entwurf der neuen EU-Drogenstrategie angenommen. „Mit der neuen Strategie stellt die Europäische Union sicher, dass die bisherigen Aktivitäten auf europäischer Ebene im Bereich der Drogenpolitik fortgesetzt werden können“, erklärte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans.

Zur Fortsetzung der im Rahmen der bisherigen Drogenstrategien (zuletzt 2005 bis 2012) begonnenen Aktivitäten hat die „Horizontale Gruppe Drogen“ des Rates der EU unter zypriotischer Ratspräsidentschaft einen neuen Entwurf für den Zeitraum 2013 bis 2020 erarbeitet. Er konzentriert sich auf die fünf Themenbereiche „Verringerung der Nachfrage“, „Verrin-gerung des Angebots“, „Koordinierung“, „Internationale Kooperation“ sowie „Information, Forschung und Bewertung“. Mit einer begrenzten Zahl klar definierter Ziele soll die strategische Entwicklung der EU-Drogenpolitik langfristig abgesteckt werden. Die neue Strategie verfolgt weiterhin einen ausgewogenen Ansatz zwischen Maßnahmen der Angebots- und Nachfragereduzierung in der Drogenpolitik.

Die Strategie bietet den 27 Mitgliedstaaten eine gute Basis für die (Weiter-) Entwicklung ihrer nationalen Drogenstrategien. Sie hilft der EU auch, der globalen Drogenproblematik gemeinsam zu begegnen und sowohl in internationalen Organisationen als auch in Kooperation mit Drittstaaten als starker Partner aufzutreten. Zur Umsetzung der Strategie sollen konkrete Maßnahmen in zwei aufeinander folgenden vierjährigen Aktionsplänen festgelegt werden. Der erste Aktionsplan für den Zeitraum 2013 bis 2016 soll unter der irischen Ratspräsidentschaft verhandelt und verabschiedet werden. Weitere Informationen unter:http://www.consilium.europa.eu/homepage?lang=desp/pm

Info

Drogen der EU im Blick

Bei der „EMCDDA“ (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction), im Deutschen EBDD (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht) genannt, handelt es sich um eine Agentur der Europäischen Union mit Sitz in Lissabon. Die Agentur, die im Jahr 1993 ihre Arbeit aufgenommen hat, soll einen Überblick über den Drogenkonsum und die Drogensucht in den Mitgliedsstaaten erarbeiten und stellt ihre Ergebnisse einmal jährlich im sogenannten EMCDDA- oder EBDD-Bericht vor. 1997 wurde ein Frühwarnsystem für neue Drogen etabliert. Seitdem wurden der EBDD 140 bis dato unbekannte psychoaktive Substanzen gemeldet.

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