Adipositas

Zu dick, weil das Gehirn nicht richtig tickt

Viele Übergewichtige klagen darüber, trotz konsequenter Diätbemühungen auf Dauer nicht abnehmen zu können. Solchen Beteuerungen wird meist nicht geglaubt. Neueste Forschungsbefunde deuten nun aber an, dass damit wohl vielen adipösen Menschen Unrecht getan wird und sie nur deshalb nicht abnehmen, weil ihr Belohnungssystem im Gehirn etwas anders strukturiert ist als bei normalgewichtigen Personen.

Rund ein Drittel der Deutschen ist übergewichtig, ein Fünftel sogar adipös. Das kann unter anderem daran liegen, dass die Strukturen im Gehirn, die das Essverhalten steuern, etwas anders gebahnt sind als bei Normalgewichtigen. In der Bildgebung zeigen sich vor allem Besonderheiten in Hirnarealen von Übergewichtigen, die belohnungsrelevantes Verhalten steuern. Diese Areale bestimmen nicht nur das Essverhalten, sondern auch den Erfolg von Diäten, gaben klinische Neurophysiologen im Vorfeld ihrer diesjährigen Jahrestagung in Leipzig bekannt.

„Inwieweit die Entwicklung von Übergewicht in der Eigenverantwortung der Betroffenen liegt, ist noch unklar. Einige Studien weisen aber darauf hin, dass auch Veranlagungen zu übermäßigem Essen führen können“, erklärt PD Dr. Burkhard Pleger von der Tagesklinik für kognitive Neurologie des Universitätsklinikums in Leipzig. Hirnregionen, die für Belohnung verantwortlich sind und unser Essverhalten beeinflussen, sind nach seinen Ausführungen bei Übergewichtigen anders strukturiert als bei Normalgewichtigen: „Ob diese Veränderungen aus dem Überessen resultieren oder ob sie eine Veranlagung darstellen, ist Gegenstand der aktuellen Forschung.“ 

Frauen brauchen beim Fasten mehr Willenskraft

Bei der genaueren Analyse der Hirnregionen wurden jedoch überraschend geschlechtsspezifische Unterschiede beobachtet: Mit steigendem Körpergewicht zeigen demnach Frauen eine Veränderung der Hirn- regionen, die normalerweise die automatische und zielgerichtete Verhaltenskontrolle unterstützen. In Verhaltensexperimenten neigen zudem übergewichtige im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen eher dazu, kurzfristige Belohnungen zu wählen, auch wenn negative Konsequenzen folgen: „Sie gönnen sich schneller ein Stück Schokolade – auch wenn sie wissen, dass es für die Figur nachteilig ist“, berichtete Dr. Annette Horstmann, Neurobiologin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Dieser Unterschied ist bei Männern nicht zu beobachten. Die Befunde lassen nach Darstellung der Wissenschaftlerin vermuten, dass Frauen eine stärkere Willenskraft aufbringen müssen, um ihr Verlangen nach Essen zu regulieren. „Gleichzeitig könnte dies eine Erklärung dafür sein, dass bei vielen Übergewichtigen Diäten keinen Erfolg zeigen“, so Horstmann. Die Situation ist nach ihren Worten vergleichbar mit anderen Suchterkrankungen: starkes Verlangen, mangelnde Selbstkontrolle und der Bedarf immer größerer Mengen.

Die neuen Erkenntnisse können möglicherweise therapeutisch genutzt werden: „Es scheint bei Übergewichtigen wie bei Alkohol- und Drogenabhängigen notwendig zu sein, eine kombinierte Therapie aus psychologischer Begleitung sowie Ernährungsaufklärung und -umstellung anzubieten“, so Tagungspräsident Prof. Dr. Joseph Claßen, Leipzig.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Kölninfo@christine-vetter.de

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