Folgen der Niedrigzinspolitik

Die Enteignung der Sparer

sg
Die Deutschen sollen für ihr Alter selbst vorsorgen. So will es der Gesetzgeber. Doch die Europäische Zentralbank (EZB) macht dieses Unterfangen fast unmöglich. Ihre Politik der Beinahe-Nullzinsen sorgt dafür, dass das Vermögen der Sparer ab- statt zunimmt. Anleger haben die Wahl, sich mit dem schrumpfenden Kapital abzufinden oder höhere Risiken einzugehen.

„Die Niedrigzinsen enteignen Sparer und reißen Lücken in die Altersvorsorge künftiger Rentner“, so lautete das Fazit von Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) im Juni dieses Jahres, als EZB-Chef Mario Draghi seine vorletzte Zinssenkung ankündigte. Inzwischen drückte er den Leitzins sogar auf 0,15 Prozent. Der nächste Schritt dürfte die Null sein. Die Folge: Banken und Sparkassen, die ihrerseits Strafe zahlen müssen, wenn sie Geld bei der EZB parken, reduzieren die Zinsen für Einlagen ebenfalls auf Tiefstand. Für Tagesgeld zahlt die VW-Bank derzeit den Spitzensatz von 1,40 Prozent. Am Ende der Rangliste stehen ganze 0,01 Prozent bei der Aachener Bausparkasse. Wer 10 000 Euro auf ein Jahr festlegt, bekommt bei der VTB-Bank 1,50 Prozent und bei der 1822 direkt magere 0,05 Prozent.

Wie tief die Zinsen für Guthaben noch sinken werden, weiß derzeit niemand. Fest steht jedenfalls, dass Anleger, die weiterhin auf die sicheren Anlagen setzen, mehr und mehr Verluste verschmerzen müssen. Wie groß diese ausfallen, zeigt eine Studie, die der Branchenprimus der Versicherungs-branche, die Allianz, im vergangenen Jahr erstellt hat und in diesem Jahr fortschreibt.

Banken profitieren von niedrigen Zinsen

Die Untersuchung in 2013 umfasste die Auswirkungen der EZB-Beschlüsse auf die Zinsenwicklung im gesamten Euroraum. Für die deutschen Banken ergaben sich durchaus positive Auswirkungen. Dank der stabilen Staatsfinanzen profitieren sie von den niedrigen Zinsen. Sie können sich anders als die Institute im Süden Europas zu günstigen Konditionen refinanzieren. Die niedrigen Zinsen können sie an die Kunden weiter- reichen. Banken in anderen europäischen Ländern hingegen müssen ihren Kunden relativ hohe Zinsen bieten, um an das Geld ihrer Kunden zu gelangen. Davon profitieren auch deutsche Anleger, die bei den Töchtern der ausländischen Banken im Internet Geld zu günstigeren Konditionen anlegen können.

Sie nutzen diese Angebote fleißig. Auch bei ihren Hausbanken deponieren sie viel Kapital auf extrem niedrig verzinsten Fest- und Tagesgeldkonten Eine vergleichbare Entwicklung war im übrigen Euroraum nicht zu erkennen. Die Vorliebe der Deutschen, viel Geld jederzeit verfügbar zu haben, verstärkt den Effekt der niedrigen Zinsen zusätzlich. Diese Einstellung scheint sich auch nicht zu ändern. Davon profitieren Banken und Sparkassen. Kein Wunder, dass die Zinsen für Guthaben im Schnitt um 0,6 Prozentpunkten unter denen der europäischen Institute lagen. Die Allianz hat errechnet, wie hoch die Unterschiede sich in 2012 darstellten. In Deutschland beliefen sich die Pro-Kopf-Zinseinnahmen auf 225 Euro. Im übrigen Euroraum waren es 276 Euro. Deutlich höher wäre das Ergebnis ausgefallen, befänden sich die Zinsen auf dem Niveau der Jahre 2003 bis 2008. Die Sparer könnten auf ihrem Konto ein Plus von 491 Euro verbuchen.

Niedrigzinsen bescheren oft günstige Kredite

Während DSGV-Präsident Fahrenschon und andere Experten die Zinsverluste für die Sparer beklagen, betrachtet Bundesbankpräsident Jens Weidmann die Situation der Anleger etwas gelassener: „Was wir im Moment beobachten und was die Sparer zurecht ärgert und umtreibt, nämlich dass die Verzinsung auf ihre Anlage die Inflation nicht mehr ausgleicht, das gab es auch schon zu D-Mark-Zeiten.“ Seiner Meinung nach hat die derzeitige Situation aber auch ihre positive Seite: „Die Bürger sind ja nicht nur Sparer: Sie haben verschiedene Hüte auf.“ Das heißt, sie profitieren von den niedrigen Zinsen, wenn sie einen Kredit aufnehmen wollen.

Die Allianz-Experten konnten diese Behauptung so nicht bestätigen. Hier blieb der Saldo aus Zinsgewinnen durch eingesparte Zinszahlungen und -verluste durch entgangene Guthabenzinsen negativ. So verlor in Deutschland jeder Bürger im Schnitt 71 Euro. Für die übrigen Euro-Länder ergab sich ein durchschnittliches Plus von 134 Euro pro Kopf. In der aktuellen Ausgabe des Allianz Global Wealth Reports, veröffentlicht im September 2014, wird klar, dass sich die Situation für die deutschen Sparer nicht verändert hat. Für fast alle Länder des Euroraums – außen vor blieben die baltischen Staaten sowie Malta, Luxemburg und Zypern – errechneten die Experten den jeweiligen Saldo aus Zinsgewinnen und -verlusten der privaten Haushalte für die vergangenen fünf Jahre. Das Ergebnis für Deutschland war in allen Jahren negativ. So das Resultat der Studie: „Im Durchschnitt haben die deutschen Haushalte in den letzten fünf Jahren 281 Euro pro Kopf verloren.“

Zinsverluste in Milliardenhöhe

Insgesamt summieren sich die Zinsverluste seit 2010 auf 23 Milliarden Euro. Ähnlich schlecht erging es Belgien und der Slowakei. Besonders hoch fallen die Nettogewinne wie schon in den Jahren zuvor in Spanien, Griechenland, Irland und Portugal aus. Die Sparer dort konnten ein Plus von rund 1 000 Euro oder mehr verbuchen. Mit 1 700 Euro schossen die Finnen den Vogel ab. Das liegt zum einen daran, dass die Deutschen ihr Geld vorzugsweise in minimal verzinste Anlagen stecken und zum anderen nur wenig Schulden machen, so dass sie von den niedrigen Kreditzinsen kaum profitieren.

Weiterhin im Plus bleibt auch die deutsche Bundesregierung. Sie saniert ihren Haushalt und zwar auf Kosten ihrer Bürger. Für Kredite zahlt sie so wenig Zinsen wie nie zuvor. Da EZB-Präsident Draghi eine Fortsetzung seiner regierungsfreundlichen Politik bis mindestens 2016 angekündigt hat, bleibt den Deutschen nur mehr Mut zum Risiko, wenn sie ihre Altersvorsorge einigermaßen nachhaltig betreiben wollen. Dazu fordert der Vorstandsvorsitzende der Allianz, Michael Diekmann, den „Spareuropameister“ Deutschland auf und argumentiert: „Geld wird nicht investiert, sondern ’geparkt’. Dies steht im klaren Widerspruch zu den neuen Realitäten. Denn die Krise der letzten Jahre hat die Dringlichkeit der eigenverantwortlichen Altersvorsorge noch weiter erhöht: Die demografische Zeitbombe tickt angesichts leerer Staatskassen immer lauter.“

Produkte von Direktbanken inspizieren

Anlageexperten wie Merten Larisch von der Verbraucherzentrale Bayern raten deshalb dringend: „Man sollte das Vermögen auf jeden Fall auf mehrere Anlageformen verteilen.“ Damit meint er, dass nur ein kleiner Teil, etwa zwei bis drei Monatsgehälter, auf dem Tagesgeldkonto liegen sollte für den Fall, dass zum Beispiel eine neue Waschmaschine fällig wird. Für den größten Teil des Kapitals sollten die Sparer lukrativere Anlageprodukte suchen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Das weiß auch Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: „Es wird immer schwerer, mit Zinsprodukten eine gute Rendite zu erzielen.“ Die Anleger müssen sich bei der Suche mehr engagieren, um einigermaßen lukrative Produkte zu finden.

Bei den besseren Angeboten für Festgeld und Sparbriefe punkten vor allem ausländische Direktbanken. Haben sie ihren Sitz innerhalb der Europäischen Union, sind Einlagen bis zu 100 000 Euro gesetzlich geschützt. Zurzeit liegen französische Banken wie die Crédit Agricole oder die Renault-Bank gut im Rennen. Sie bieten zum Beispiel für einen Betrag von 20 000 Euro einen zweijährigen Sparbrief, die sich mit 1,60 beziehungs- weise 1,50 Prozent verzinsen (Stand: 23. September 2014). Wegen der vagen Aussichten auf eine Zinserhöhung sollte man auf eine längere Laufzeit verzichten. Für einjähriges Festgeld zahlt die Tochter der russischen VTB Bank 1,50 Prozent und die Autobank bringt es auf 1,41 Prozent (Stand: 23. September 2014). Beide Institute sitzen in Österreich.

Aktienankäufe versprechen Zuwächse

Diese Konditionen decken zwar die aktuelle Inflationsrate, die mit 0,8 Prozent im August sehr niedrig war. Doch wer mit seinem Geld Geld verdienen will, kommt um Aktien nicht herum. Diese Erkenntnis zeigt auch die Allianz-Studie: „Erneut konnten sich die Aktionäre über den höchsten Zuwachs freuen.

In Wertpapiere investiertes Vermögen wuchs im Schnitt um 16,5 Prozent.“ Mit Anleihen gelingt das nur, wenn sie hohe Zinsen versprechen. Doch damit geht automatisch ein höheres Risiko einher. Denn nur Schuldner, deren Seriosität nicht glaubhaft ist, müssen hohe Zinsen zahlen, wenn sie Geld am Kapitalmarkt aufnehmen wollen.

Sichere Papiere wie deutsche Staatsanleihen bringen nur magere Renditen. Von guter Bonität und mit etwas höheren Renditen ausgestattet sind die Anleihen anderer europäischer Staaten. Wer sich zur Anlage in Aktien entschließt und das Risiko möglichst gering halten will, entscheidet sich für einen breit streuenden Aktienfonds. Er sollte nicht nur deutsche Papiere enthalten, sondern möglichst weltweit investieren. Ein möglichst ausgewogenes Portfolio lässt sich gut mit einer Kombination von Renten- und Aktienfonds gestalten. Die geringsten Kosten verursachen ETF, an der Börse gehandelte Indexfonds.

Natürlich müssen Anleger auch mit Kurs- verlusten rechnen. Doch normalerweise gilt die alte Regel, wenn die Zinsen fallen, steigen die Aktienkurse und umgekehrt. Ändern sich die Vorzeichen, lässt sich ein Depot wieder ins Gleichgewicht bringen, indem sein Besitzer entsprechend mehr in Anleihen oder Aktien investiert. Auf diese Weise kann er der von der EZB verordneten Zwangsenteignung ein Schnippchen schlagen.

Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaftm.endruweit@netcologne.de

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