Fitness-Apps und Co.

Was wollen die Kassen mit den Daten?

Ja, warum nicht? versus Nein, bloß nicht! Zwei Experten benennen Pro's und Contra's.

Ja, warum nicht? Gesetzliche Krankenkassen sollten ihren Zuschuss zu Fitness-Apps und Wearables geben und persönliche Gesundheitsdaten auswerten dürfen – vorausgesetzt, ihre Versicherten stimmen dem zu. Denn die Kassen werden von demokratisch gewählten Gremien kontrolliert, von der Aufsicht überwacht und von der Öffentlichkeit kritisch beäugt. Das meint Andreas Mihm, FAZ Berlin.

Die Reaktionen aus der Politik kamen reflexartig. „Marketingmaßnahme auf Kosten der Beitragszahler“, sagte der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion, Georg Nüßlein (CSU). Sein SPD-Kollege Karl Lauterbach nannte die Ankündigungen „fragwürdig“. Was war geschehen? Die AOK Nordwest hatte angekündigt, von ihrem „Gesundheitskonto“ Versicherten einen Zuschuss für elektronische Datenmesser zu zahlen, sei es ein Armbändchen oder eine Apple Watch. Auch bei der Techniker Krankenkasse bekommen Versicherte demnächst wohl einen Zuschuss zu solchen „Wearables“, vorausgesetzt, sie haben genügend Vorsorge-stempel von Arzt und Zahnarzt im Bonusheft. Damit wollten die Kassen gut gebildete, junge und gesunde Mitglieder anwerben, monierte Lauterbach im „Spiegel“. „Die Kassen könnten dann demnächst auch Laufschuhe bezuschussen.“

Ja, warum eigentlich nicht? Wenn jemand nachgewiesen hat, dass er sich gesundheitsbewusst verhalten hat, sind Laufschuhe immer noch besser als eine Geldprämie, die in einen Kasten Bier umgesetzt wird. Wo ist der Skandal, wenn junge Menschen zur Prävention verleitet werden, indem man ihnen einen Zuschuss zu „hippen“ Geräten zahlt?Das Problem liegt anderswo. Die Leute kaufen sich ihre Apple Watch, ihr Datenarmband auch ganz ohne den Zuschuss der Kasse. Kasse machen andere mit Geräten und Daten. Der Springer-Verlag („Welt“, „Bild“) zum Beispiel war Ende 2013 bei der unter Ausdauersportlern beliebten App „Runtastic“ eingestiegen. Im August kaufte der Sportartikelausrüster Adidas „Runtastic“ für 220 Millionen Euro. In knapp zwei Jahren hatte „Runtastic“ seinen Wert verzehnfacht.

Es gibt viele solcher Beispiele. Die Zahl der Apps, die mit Fitness und Gesundheit zu tun haben, soll die Marke von 400 000 überschritten haben. Was für Blüten das treibt, zeigte unlängst eine Umfrage: Jeder Sechste meint, Gesundheits-Apps könnten den Arztbesuch ersetzen. Das ist zum Entsetzen.Auch Krankenkassen bieten Apps an – für Läufer und Diabetiker, für Allergiker und für Ernährungsbewusste. Allein, mit den Vitaldaten dürfen sie nichts anfangen. Die werden bei privaten Anbietern extern gespeichert und dort genutzt. Nur wer privat krankenversichert ist, darf der Versicherung seines Vertrauens den Zugriff auf und die Nutzung seiner Gesundheitsdaten erlauben.

Zugleich erfassen und sammeln immer mehr Menschen ihre Vitaldaten, teilen sie und lassen sie von Leuten analysieren, die damit Geld machen. Das ist im Zweifel ungeschützt, unsicher und von zweifelhafter Qualität. Aber es ist erlaubt. Verboten ist hingegen, dass Krankenkassen ihren Versicherten (und sei es aus Effizienzgründen) solche Angebote machen – obwohl sie von demokratisch gewählten Gremien kontrolliert, von Landes- und Bundesaufsichten überwacht und von der Politik und einer kritischen Öffentlichkeit wachsam beäugt werden. Das ist absurd. Einerseits werden den Kassen die Hände gebunden, anderseits werden sie ständig aufgefordert, mehr für die Gesundheit ihrer Kunden zu tun. Wer soll das verstehen?

Die Politiker sollten nicht den Kassen-Zuschuss zu Apps und Messgeräten infrage stellen. Sie sollte den Kassen vielmehr helfen, smart zu werden und die Vitaldaten ihrer Versicherten – deren Zustimmung vorausgesetzt und gerne im Doppelpass mit Ärzten – auszuwerten. Das wäre im wohlverstandenen Interesse des Daten- und Gesundheitsschutzes ihrer Wähler.

Andreas Mihm

Wirtschaftskorrespondent

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berlin

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Viele Risiken, wenig Chancen

Nein, bloß nicht! Digitale Selbstvermessung im Gesundheitswesen führt zu Ausgrenzung und ungleichen Gesundheitschancen. Die Versicherungswirtschaft wittert hier schon längst Potenzial zur Risikooptimierung. Und die GKV kann vor solchen Angeboten nicht deutlich genug gewarnt werden, meint Ragnar Hoenig vom Sozialverband Deutschland.

Warum sollten Krankenkassen eine gesundheitsbewusste Lebensweise ihrer Versicherten nicht belohnen, zum Beispiel mit einem finanziellen Zuschuss für eine Smart-Watch? Warum sollten sie ihren Ver-sicherten keine Smartphone-App bereit-stellen, mit der diese Gewicht, Bewegung, gesunde Ernährung und Schlaf freiwillig und ohne Zwang messen und kontrollieren können? Warum sollten Versicherte mit besonderen Krankheitsrisiken nicht mithilfe dieser Daten herausgefiltert werden?

Es steht außer Frage, dass die Krankenkassen einen Präventionsauftrag haben und ihren Versicherten eine gesunde Lebensweise nahebringen sollen. Ebenso unbestritten ist, dass die modernen Kommunikationstechnologien als Türöffner für gesundheitsbewussteres Verhalten nutzbar gemacht werden können. Dass dabei aber zunehmend auch gesundheitsbezogene Daten digital erfasst, gespeichert und ausgewertet werden, darf nicht widerspruchlos hingenommen werden.

Die digitale Selbstvermessung hat unser Leben bereits mit den sozialen Medien erobert. Nun setzt das „selftracking“ beziehungsweise „lifelogging“ seinen Siegeszug in der Gesundheitswirtschaft fort. Auch hier wird die Freiwilligkeit der Angebote beharrlich betont. Doch wir alle wissen, dass die Freiwilligkeit mit der steigenden Zahl von Nutzerinnen und Nutzern einem faktischen Zwang weicht. Dies macht gerade das Beispiel Facebook deutlich: Wer seine lebensbezogenen Daten freimütig preisgibt, erhält dafür im Gegenzug als Bonus den Zugang zu einem weltweiten sozialen Netzwerk. Wer seine Datenhoheit nicht aufgeben will oder die Angebote schlicht nicht nutzen kann, bleibt außen vor. Auch die Smart-Watch,

Smartphone-App oder andere Angebote der Krankenkassen zur digitalen Selbstvermessung erzeugen Gewinnende und Verlierende. So wird der Bonus für Nutzende zum Malus für diejenigen, die ihre gesundheitsbezogenen Daten nicht ohne Weiteres preisgeben wollen. Benachteiligt werden zudem diejenigen, die die Angebote aus anderen Gründen – zum Beispiel wegen einer Behinderung, aufgrund ihres Alters oder aus technischen Gründen – nicht nutzen können. Diese Versicherten werden aber nicht nur vom Bonus ausgeschlossen, sondern auch vom damit geförderten, gesundheitlichen Nutzen. Die ohnehin bestehenden ungleichen Gesundheitschancen drohen – entgegen dem erklärten gesetzlichen Ziel der Prävention – zuzunehmen, statt abzunehmen.

Es wäre naiv zu glauben, dass die Angebote zur digitalen Selbstvermessung einem selbstlosen und uneigennützigen Weltverbesserungsinteresse entspringen. Hinter den Angeboten stehen vielmehr wirtschaftliche Interessen, auch im Gesundheitswesen. So hat die Versicherungswirtschaft die digitale Selbstvermessung als Potenzial zur Risikooptimierung erkannt und bietet günstigere Tarife für die Freigabe gesundheitsbezogener Daten an. Die gesetzlichen Krankenkassen können vor solchen Angeboten nicht deutlich genug gewarnt werden.

Denn ihre besondere Stellung beruht auf dem risikounabhängigen Ausgleich zwischen Versicherungs- und Solidarprinzip. Risikobezogene Beiträge passen nicht in dieses System. Die digitale Selbstvermessung im Gesundheitswesen birgt nach alledem mehr Risiken als Chancen. Versicherte sollten sich gut über legen, ob sie derartige Angebote nutzen und damit einem Trend Vorschub leisten, der lebens- und verhaltensbezogene Daten zum Maßstab für Beiträge oder Leistungen im Gesundheitswesen macht. Ein Schicksalsschlag, der nicht in die mit Lebensdaten berechnete Risikokalkulation passt, könnte auch Gewinner schnell zu Verlierern machen.

Assessor Ragnar Hoenig

Leiter Abteilung Sozialpolitik

Sozialverband Deutschland SoVD, Berlin

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