Prof. Georg Meyer zur EU-Quecksilber-Verordnung

„Auch Füllungen sind ein Kompromiss am menschlichen Körper!“

Wie jede medizinische Intervention ist auch das Einbringen zahnärztlicher Füllungen ein Kompromiss, bei dem man Nutzen und Risiken gegeneinander abwägen muss. Einerseits sei die Industrie gefordert, bessere Materialien zu entwickeln, andererseits sollte das Herunterfahren der Amalgamverwendung mit verstärkten Anstrengungen im Bereich der Prävention verbunden werden, fordert Prof. Georg Meyer.

Amalgamfüllungen dürfen – bis auf zwingende medizinische Indikationen – laut EU-Kommission nicht mehr bei Schwangeren und stillenden Frauen eingesetzt werden. Alternativ werden zahnfarbene Kompositmaterialien angewendet. Wie sieht es hier mit der Toxizität aus?

Prof. Georg Meyer:

Nach bisherigen Kenntnissen können weder Amalgam- noch Kompositfüllungen als toxisch und damit als ungeeignet für die Patientenbehandlung qualifiziert werden. Wie jede medizinische Maßnahme, angefangen von Medikamenteneinnahmen über das Röntgen bis hin zu chirurgischen Eingriffen, sind auch zahnärztliche Füllungen ein Kompromiss am menschlichen Körper mit dem Ziel, den medizinischen Nutzen des Einsatzes und die Risiken einer Behandlung mit nachgewiesenermaßen weniger geeigneten Materialien oder gar einer Nichtbehandlung gegeneinander abzuwägen und zu einer für den individuellen Patientenfall optimalen Entscheidung zu gelangen.

Daraus folgt übrigens, dass Prävention mit dem Ziel, natürliche Zähne zu erhalten, die beste Alternative zu jeglicher Füllungstherapie ist. Folgerichtig wurden im Minamata-Protokoll für die Zahnmedizin die FDI-Vorgaben übernommen, dass nämlich ein Herunterfahren („Phase down“) der Amalgamverwendung letztendlich nur einhergehen kann mit einer entsprechenden Ausweitung der Anstrengungen in der Prävention.

Zur eingangs gestellten Frage einer Füllungstherapie bei Schwangeren und stillenden Frauen ist anzumerken, dass es keine seriösen wissenschaftlichen Studien gibt, die ein Risiko von Amalgam oder Komposit in diesem Zeitraum nachweisen. Es gibt für beide Werkstoffgruppen nur mehr oder weniger vage Hinweise, die allein aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes eine Anwendung in der Schwangerschaft und auch in der Stillzeit nicht empfehlen. Eine biomedizinisch seriösere Alternative sind reine – also unmodifizierte und nicht lackierte – Glasionomerfüllungen.

Über toxische Potenziale zahnärztlicher Füllungsmaterialien wird seit Jahrzehnten diskutiert. Denn einerseits findet die Wissenschaft oft keine eindeutigen Belege für konkrete Schädigungen, andererseits kann die Möglichkeit toxischer Wirkungen auch nie ganz ausgeschlossen werden. Woran liegt es, dass es anscheinend weltweit keine seriöse Studie gibt, die eine Unbedenklichkeit von Amalgam oder Komposit für den menschlichen Fötus bestätigt?

Solche Untersuchungen gibt es in der Tat nicht und es kann sie allein schon aus ethischen Gründen nicht geben. Man stelle sich doch einmal folgendes Studiendesign vor: 20 Schwangere werden in eine experimentelle und in eine Kontrollgruppe à 10 Personen eingeteilt. Die Experimentellen bekämen jede Woche neue Amalgam- beziehungsweise Kompositfüllungen, um deren Folgen für die fetale Entwicklung wissenschaftlich abzuklären ...

Die Argumente in der Amalgamdiskussion sind weitgehend bekannt. Welche Problematik vermutet man bei den Kompositen?

Zuallererst wird derzeit – unabhängig von der Zahnmedizin – auf die Weichmacherproblematik fokussiert und hier insbesondere auf das Bisphenol A (BPA), das sogar schon als das „Quecksilber des 21. Jahrhunderts“ tituliert wird. Dabei geht es um endokrine Wirkungen, denn das BPA koppelt sich beispielsweise an Östrogenrezeptoren an und täuscht dem Körper somit eine falsche Hormonsituation vor. Weiterhin konnte in Ratten-versuchen experimentell Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) erzeugt werden, wenn in bestimmten Stadien der Zahnentwicklung pränatal beziehungsweise postnatal BPA zugeführt wurde. Das alles sind in erster Linie allgemeine Konsequenzen unseres Plastikzeitalters, aber auch die Zahnmedizin kann sich dem nicht ganz entziehen beim Einsatz von Kompositfüllungen.

Was kann die Wissenschaft in dieser Situation tun? In welche Richtung sollte weiter geforscht werden?

Vorbeugen ist besser als reparieren. Deshalb sollte die Präventionsforschung vorangetrieben werden. Wichtige Ziele sind hier die Entwicklung noch effektiverer Spüllösungen und/oder wirksamerer Substanzen in Zahnpasten. So entdeckt man heute das Silber-nitrat wieder, das schon in meiner Studentenzeit in kariösen Kavitäten eingesetzt wurde. Vielleicht könnten Silberverbindungen wie Silberdiaminfluorid zukünftig in der Alterszahnheilkunde zur Arretierung der Wurzelkaries dienen.


Auf dem Füllungssektor sollten biomedizinisch und auch umweltbezogen weniger kritische Materialen entwickelt werden als Komposite und quecksilberbasierte Amalgame. Vielleicht gelingt es, Glasionomere so weit zu entwickeln, dass sie wenigstens für kleine Dauerfüllungen geeignet sind. Ausgedehnte Kavitäten könnten zukünftig sicherlich mit preisgünstigen, CAD/CAM-basierten Keramik- oder Metallrestaurationen versorgt werden. Selbst komposit-basierte Zementierverfahren sind dabei biomedizinisch erheblich unkritischer, weil die der Mundhöhle zugängliche Oberfläche der Kunststoffe dabei auf den Randspalt reduziert wird.

Müssen sich Frauen, bei denen während der Schwangerschaft oder in der Stillzeit eine Kompositrestauration (wozu auch das Einkleben einer Keramikrestauration gehört) Sorgen machen, dass ihr Kind Schaden erleiden könnte?

Nach bisherigem Erkenntnisstand sicherlich nicht, aber vorbeugend sollte man möglichst Komposit- und Amalgamrestaurationen in der Schwangerschaft und in der Stillzeit vermeiden.

Wenn eine Schwangere mit einer Karies in die Praxis kommt, welche Behandlung empfehlen Sie?

Ich empfehle eine Versorgung mit reinen Glasionomeren ohne irgendwelche Decklacke.

Ab wann sollte dann eine definitive Füllung erfolgen?

Glasionomerfüllungen, die in der Schwangerschaft oder in der Stillzeit gelegt wurden, sollten erst dann ausgetauscht werden, wenn sie erkennbar klinisch nicht mehr funktionsfähig sind.

Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Meyer war von 1993 bis 2016 Direktor der Poliklinik für Zahn-erhaltung, Parodontologie, Endodontologie, Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde im Zentrum für ZMK-Heilkunde der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, von 2004 bis 2008 Präsident der DGZMK. Seit 2009 ist Meyer Mitglied im Wissenschaftsrat (Science Committee) der Weltzahnärzte‧vereinigung FDI (World Dental Federation).

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.