Warum ein Zahnarzt hinzugezogen werden sollte
Erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen waren bis vor Kurzem mit Vollendung des 18. Lebensjahres von der gesundheitlichen Versorgung durch spezialisierte Ärzte weitgehend ausgeschlossen. Wurden sie als Kinder und Jugendliche noch in qualifizierter ambulanter Versorgung in Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) behandelt, waren sie danach auf eine medizinische Regelversorgung angewiesen – mit oft deutlicher Verschlechterung ihres Gesundheitszustands. Seit den 90er-Jahren forderten die Fachverbände und Ärzte deshalb – analog zu den SPZ – spezielle Einrichtungen für diese Erwachsenen.
Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz hat der Gesetzgeber 2015 diese Forderung erfüllt. Damit wurde für die MZEB der Weg frei. Die MZEB tragen auch der Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung, wonach Menschen mit Behinderung – neben dem gleichen Zugang zu allgemeinen Angeboten des Gesundheitssystems – zusätzlich Leistungen erhalten sollen, die sie speziell wegen ihrer Behinderung benötigen.
Die zahnmedizinischen Bedarfe sind hoch
Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft der Medizinischen Zentren für Menschen mit mehrfacher und geistiger Behinderung (BAG MZEB) gibt es inzwischen mehr als 50 Zentren bundesweit, eine Flächendeckung ist aber noch nicht gegeben. Die BAG MZEB hat es sich zur Aufgabe gemacht, die neu entstehenden und bestehenden medizinischen Zentren bei ihrer Arbeit zu unterstützen – etwa mit einer Suchmaschine zum Auffinden von MZEB (https://bagmzeb.de/mzebs-finden).
„Vielleicht benötigt man ein Mehr an sozialen Kompetenzen“
Wie sollte ein bedarfsgerechtes medizinisches Angebot in einem MZEB aussehen und welche Rolle spielt dabei die Zahnmedizin?
Dr. Guido Elsäßer:
Müssen Zahnärzte, die sich im MZEB engagieren wollen, einen Qualifikationsnachweis erbringen?
Wie können sich Zahnärzte fit für die Arbeit im MZEB machen?
www.agzmb.dewww.dgmgb.dewww.specialolympics.dewww.kmfg.de
Wie könnte eine Zusammenarbeit mit einem MZEB aussehen?
Kooperationsvertrag:Wünschenswert wäre die Möglichkeit, Kooperationsverträge zwischen Zahnärzten und MZEB abzuschließen, wie es sie für Pflegeeinrichtungen gibt. Das wird in naher Zukunft wohl nicht umsetzbar sein, da hierfür die gesetzlichen Grundlagen noch geschaffen werden müssten.
Anstellung:MZEB könnten Zahnärzte einstellen und die Zahnmedizin fest in ihr Diagnose- und Therapiespektrum aufnehmen. Dies erforderte jedoch hohe finanzielle Investitionen für einen zahnärztlichen Behandlungsstuhl und die notwendigen technischen Einrichtungen. In Anbetracht dessen, dass die MZEB meist nur auf zwei Jahre eine Ermächtigung besitzen und die überwiegende Anzahl von MZEB immer noch finanziell an ihrer „Mutterorganisation“ (wie Krankenhaus, Behinderteneinrichtung) hängen, wird man diesen Schritt, wenn überhaupt, nur selten wagen.
Besuche:Realistisch umsetzbar sind zahnärztliche Untersuchungen in Räumen eines MZEB. Der Zahnarzt rechnet über die eGK Besuchsgebühren und die entsprechenden Zuschläge des BEMA ab. So entstehen keine Kosten für das MZEB und gut organisiert kann auch der Zahnarzt wirtschaftlich arbeiten. Die Behandlung müsste allerdings in einer Praxis oder Klinik erfolgen.
Netzwerk:Das MZEB überweist wie an andere Fachärzte auch an eine geeignete Zahnarztpraxis. Die Patienten werden dann nicht im MZEB, sondern in der Zahnarztpraxis untersucht und gegebenenfalls behandelt.
Die Fragen stellte Gabriele Prchala.
BZÄK
LZK
„Die Behandlung sollte konsistent und vertraut erfolgen“
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Dr. Michael Rumpf bei der Untersuchung einer Patientin | privat
Wie sind Sie dazu gekommen, sich als Zahnarzt in einem MZEB zu engagieren?
Dr. Michael Rumpf:
Was sind die medizinischen Besonderheiten bei der Behandlung von erwachsenen Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung?
Was sollten Zahnärzte bei der Behandlung beachten?
Die Fragen stellte Gabriele Prchala.
Für eine berufsübergreifende Zusammenarbeit bei der Versorgung der beeinträchtigten Patienten setzt sich die Deutsche Gesellschaft für Medizin für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung (DGMGB) ein – ein Zusammenschluss von Ärzten, die schwerpunktmäßig mit diesen Patienten arbeiten. Ein großes Thema dort: die zahnmedizinischen Bedarfe. Die zahnmedizinische Versorgung dieser Patienten ist (immer noch) schlechter als die der Allgemeinbevölkerung. Deshalb hat der Verband eine Sektion Zahnmedizin gegründet.
Aber wie können sich Zahnärzte dort einbringen? Und auf welcher Basis? „Die Bundeszahnärztekammer empfiehlt eine vertragslose Kooperation zwischen Zahnärzten und MZEB“, antwortet Dr. Christian Junge, Vorstandsreferent der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) für Behindertenzahnheilkunde und Präsident der Landeszahnärztekammer Thüringen.
Wer kann seine Expertise einbringen?
Er weist darauf hin, dass Zahnärzte auch in den MZEB die Zuschlags- und Besuchsgebühren der aufsuchenden Betreuung abrechnen können. Junge: „Die zahnärztliche Betreuung geht dann auch nicht finanziell zulasten des Zentrums.“ Wichtig sei, dass in den vielerorts entstehenden Zentren von Anfang an zahnmedizinische Aspekte mitberücksichtigt werden. „Das empfehlen auch die verschiedenen Fachverbände in ihrer gemeinsamen Rahmenkonzeption für die Zentren“, betont Junge.
So habe die BZÄK bereits im vergangenen Jahr bei der BAG MZEB für eine Einbindung der Zahnmedizin geworben und zugleich unter den bestehenden MZEB eine Umfrage zum Bedarf an zahnmedizinischer Begleitung gestartet. Ebenso wurden alle Länderkammern gebeten, mit ihren regionalen Zentren eine Zusammenarbeit direkt vor Ort zu entwickeln. Junge: „Sinnvoll wären hier sicherlich Kontaktpersonen, die bereits in der aktuellen Aufbauphase vieler MZEB zahnärztliche Impulse einbringen und den Kontakt zwischen Zahnärzteschaft und Zentren halten.“ Besondere Vereinbarungen ähnlich zu den Kooperationsverträgen mit Pflegeeinrichtungen hält er indes nicht für möglich: „Sie bedürfen einer gesetzlichen Neuregelung, die derzeit kaum realistisch ist. Ebenso scheint eine direkte Anstellung von Zahnärzten in MZEB wirtschaftlich nicht tragbar.“
Hintergrundinfos zu MZEB
Medizinische Zentren für Erwachsene mit geistigen und Mehrfachbehinderungen (MZEB) können auf die Komplexität der Erkrankungen eingehen. Es können Beeinträchtigungen verschiedener Funktionen auftreten (zum Beispiel kognitive Beeinträchtigungen, neuropsychologisch charakterisierbare Störungsbilder, psychische und Verhaltensstörungen, Störungen des autistischen Spektrums, Sinnesbeeinträchtigungen oder Beeinträchtigungen der Motorik). Diese treten oft in verschiedenen Kombinationen auf und beeinflussen einander.
Die Betroffenen leiden häufig unter mangelnden Mitwirkungsmöglichkeiten, oft können sie sich auch nicht sprachlich verständlich machen. Erforderlich sind oft spezielle diagnostische, therapeutische oder rehabilitative Maßnahmen. Das setzt beim Personal besonderen Bedarf an Wissen und Erfahrung voraus.
Neben speziell qualifizierten Ärzten bedarf es einer multi- und interdisziplinären Zusammenarbeit mit verschiedenen ärztlichen Fachrichtungen und anderen Gesundheitsberufen (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Pflege, Sozialdienst oder Hilfsmittelberatung).
MZEB sollten barrierefrei zugänglich sein – was bei vielen Einrichtungen ein Problem ist. Zu den Anforderungen gehören etwa ausreichend große Räume, ein Zugang, der auch für Liegendtransporte geeignet ist sowie Hilfsmittel wie Lifter.
Wichtig ist auch, ein ausreichendes Zeitbudget für den einzelnen Patienten vorzuhalten, um den oft komplexen Behandlungsmaßnahmen gerecht zu werden.