Zahnärztinnen und Zahnärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst

„Wir sind wie die Feuerwehr!“

„Gesundheitsämter sind die eigentlichen Player vor Ort, die diese Krise zu bewältigen haben.“ Dr. Michael Schäfer, 1. Vorsitzender des Bundesverbands der Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BZÖG), zur Situation vor Ort.

425 ZahnärztInnen arbeiten bundesweit in den Gesundheitsämtern. Wie sieht es dort derzeit aus?

Dr. Michael Schäfer:

Täglich stehen Arbeitsleistungen von bis zu 14 Stunden an, auch an den Wochenenden und Feiertagen. Neben Besprechungen, die immer unter Schutz mit Atemmasken durchgeführt werden und durch nichts ersetzbar sind, stehen Telefonkonferenzen, Task-Force-Sitzungen, Krisenstabsbesprechungen und Pressegespräche an. Als Gesundheitsbehörde einer Landeshauptstadt verfügen wir durch einen frühzeitigen, strategischen Einkauf und Bevorratung von Schutzmaterial derzeit (noch) über ausreichende Mengen an persönlicher Schutzausrüstung.

Was heißt das konkret?

In den durch die Landeshauptstadt Düsseldorf betriebenen „Abstrichzentren“ (mobil und aufsuchend, ambulant und ein „Drive-In“) sind alle Kolleginnen und Kollegen, die mit potenziell COVID-19-infizierten Bürgerinnen und Bürgern zusammen kommen können, mit adäquater persönlicher Schutzausrüstung ausgerüstet. Das heißt, mit FFP2/3-Masken, Schutzbrillen, Handschuhen, Ganzkörperanzug, Überschuhen und Schutzhauben. Desinfektionsmittel für die Hände sowie die Nutzung von Flächendesinfektionsmittel sind obligatorisch.

Schutzausrüstungen (Mund-Nasen-Schutz, Brille, Handschuhe) stehen auch für Mitarbeiterinnen zur Verfügung, die im Rahmen ihrer Außendiensttätigkeiten zum Beispiel der „Frühen Hilfen“ oder Betreuung anderer vulnerabler Gruppen unverzichtbare aufsuchende Betreuung leisten müssen. Vielfach sind solche Dienstleistungen aber auf das unmittelbar notwendige und zwingende Maß reduziert worden.

Die Gesundheitsämter sind unterbesetzt, das betraf vor Corona auch die Zahnärzte – wie wirkt sich das jetzt in der Krise aus?

Zahlreiche zahnärztliche Kolleginnen und Kollegen arbeiten unter hohen Belastungen im Rahmen der Testung, Kontaktpersonennachverfolgung, Dateneingabe, Beschwerdemanagement, Organisation und Befundübermittlung mit. Dass sie dies können, spricht einerseits für die Flexibilität und das Organisationsvermögen aller Zahnärztinnen und Zahnärzte im ÖGD, legt aber andererseits offen, dass die nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) für die Bewältigung dieser Krise vor allem zuständigen Gesundheitsämter nicht über die eigentlich vorzuhaltende Personalstärke verfügt haben. Dies weder in den eigentlichen Bereichen des „Gesundheitsschutzes“ oder der „Infektionsabwehr“, noch hinsichtlich der Personaldecke überhaupt in einem Gesundheitsamt.

Viele Bereiche in den Gesundheitsämtern sowie aus zahlreichen anderen Verwaltungsabschnitten einer Stadt oder eines Landkreises mussten unmittelbar und unter erheblichen Anstrengungen Aufgaben des Infektionsschutzes übernehmen. Die Gesundheitsämter mussten schnellstmöglich von einer Gesundheitsverwaltung zu einem Einsatzamt, analog der Feuerwehr, mutieren.

Gesundheitsämter sollen mithelfen, kriegen aber keine neuen Stellen. Wie soll das funktionieren?

Gesundheitsämter sollen nicht nur im Rahmen der Corona-Krise „mithelfen“, sondern sind die eigentlichen Player vor Ort, die diese Krise zu bewältigen haben. Dies tun sie unter Beteiligung der Feuerwehr, der Ordnungsbehörden, der Sozialämter, der Jugendämter, der Ausländerbehörden sowie der zahlreichen Hilfsorganisationen. Dass dies den Gesundheitsämtern trotz der „Sparpolitik“ über viele Jahre gelingt, ist nur dem „Stellenzuwachs“ durch die genannten weiteren Beteiligten zu verdanken. Der Stellenwert eines Gesundheitsamtes muss sich zwingend ändern, die Digitalisierung muss sehr konsequent vollzogen und die Kooperation noch weiter verbessert werden.

Was würden Sie sich für die Gesundheitsämter und deren Zahnärzte wünschen?

Der „Stellenwert“ muss sich auf vielen Ebenen ändern. Grundsätzlich kennt ein Gesundheitsamt die gesundheitliche Lage der Bevölkerung vor Ort am besten, ist vielfach vernetzt und in den Settings (Kindergarten, Schulen, Senioreneinrichtungen, Beratungseinrichtungen ...) willkommen und zu Hause. Die Zahnmedizinische Gruppenprophylaxe muss deutlich stärker ausgebaut werden, hier gibt es nicht genutzte Potenziale. Die Gesundheitsämter müssen noch kooperationsfreudiger werden, Tätigkeiten zum Beispiel in einer Klinik und im ÖGD weiter entwickeln und erleichtern, es müssen Refinanzierungsmodelle und Forschungsvorhaben mit dem ÖGD geschaffen und genutzt werden.

Wie viel Arbeit vor Ort, etwa in der Jugendzahnpflege, ist jetzt möglich?

Die „Jugendzahnpflege“ vor Ort, also die aufsuchende, unverzichtbare Tätigkeit, liegt wegen der Schließung vieler dieser Einrichtungen brach. Welche gesundheitlichen Folgekosten hieraus erwachsen, ist momentan unabsehbar. Wenn wir den Gesundheitsschutz, den Arbeitsschutz und die Infektionslage mit dem Recht der uns anvertrauten Kinder auf gesundheitliche Chancengleichheit, auf aufsuchende Betreuung und Prävention überein bekommen, sehe ich gute Chancen, die zahnmedizinische Gruppenprophylaxe nach Öffnung der Einrichtungen wieder im Setting durchzuführen.

Ich warne allerdings vor übereilten Schritten. Die Datenlage gibt keinen Hinweis auf Entwarnung und wir wissen eigentlich noch viel zu wenig. Bereits jetzt müssen wir deshalb ein Konzept für den Winter erarbeiten, da witterungsbedingt mit einer Zunahme der respiratorischen Infekte zu rechnen ist.

Die Fragen stellte Silvia Meixner.

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