Leitartikel

Wir Zahnärzte sind systemrelevant!

Dietmar Oesterreich

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in den vergangenen Wochen habe ich in meiner Praxis die gleichen Erfahrungen wie Sie machen müssen. SARS-CoV-2 hat unseren Praxisablauf beträchtlich verändert.

Unter Beobachtung der Entwicklungen haben wir in der BZÄK bereits Anfang Februar angefangen, alle bis dato vorliegenden Erkenntnisse zusammenzutragen, sie durch eine zahnmedizinische, berufsrechtliche beziehungsweise die Hygiene betreffende Ausarbeitung unserer Fachabteilungen zu ergänzen und Ihnen als Hilfestellung und Handlungsempfehlung zur Verfügung zu stellen. Als sich erste Versorgungsengpässe andeuteten, haben wir diese gegenüber dem Bundesgesundheitsminister benannt und zügige Lösungen eingefordert.

Pragmatisches Handeln war gefordert. Erstaunlich, wie jahrelang geltende und scheinbar unverrückbare Vorschriften im Bereich der Hygiene nun flexibel gehandhabt werden können, Desinfektionsmittel dürfen in Apotheken hergestellt und Masken können sogar wiederaufbereitet werden.

Auf die täglich neuen Erkenntnisse des RKI, der Virologen und der Epidemiologen haben wir zeitnah reagiert. Täglich, manchmal sogar stündlich, wurde geprüft und aktualisiert, um dann entsprechend den Erfordernissen in den Praxen die Informationen auszurichten. Zusätzlich haben wir zahlreiche Empfehlungen zur Senkung des Infektionsrisikos zusammengestellt. Denn große Sorgen bereitete dem zahnärztlichen Behandlungsteam die direkte Nähe zum Infektionsort und zu möglichen Übertragungswegen durch die entstehenden Aerosole. Unter Beachtung der internationalen Entwicklungen und Erfahrungen hat der BZÄK-Vorstand konsequente Empfehlungen gegeben, die sowohl das Risiko der Infektionsausbreitung als auch das der eigenen Infektion reduzieren.

Das RKI und weitere Institutionen verweisen auf die Bundeszahnärztekammer.

Neben den Hygieneaspekten haben wir für die Praxen, aber auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, alle verfügbaren staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zusammengestellt und aufbereitet. Im Bereich der PKV und Beihilfe ist es uns dank des guten Netzwerks schnell und unbürokratisch gelungen, eine Hygienepauschale zu verhandeln.

Einfach ist es dennoch nicht: Große Einbrüche in der Versorgung, die immer noch unbefriedigende Ausstattung an Schutzmaterialien und immense Umsatzverluste machen es uns weiterhin schwer. Danke, dass Sie und Ihr Team trotz aller Schwierigkeiten für Ihre Patienten da sind! Danke auch für Lob und Zuspruch, das bestätigt, dass die Erfahrungen aus der eigenen täglichen Praxis für die Aufgaben im Ehrenamt nutzbringend sind.

Tief trifft mich jedoch die Aussage, die zahnmedizinische Versorgung wäre nicht systemrelevant und keine notwendige ärztliche Tätigkeit. So gipfelte dies sogar in gesetzgeberischen Maßnahmen, zahnmedizinische Behandlungen ausschließlich in Notfällen zuzulassen. Dies trivialisiert die Zahnmedizin und den Berufsstand.

Entscheide ich nicht täglich bei jedem Patienten über die Indikation und habe ich nicht dabei immer sein Wohl im Auge? Wäge ich nicht jeweils Risiko und Nutzen sowie die Komplikationsdichte des Eingriffs ab? Jeder von uns hat und wird sich bei jeder Behandlung dieser ethischen Herausforderung stellen – und dies im Interesse seiner Patienten beantworten. Zahnmedizin ist ein integraler Bestandteil der Medizin und wichtiger Teil der medizinischen Primärversorgung. Die derzeit stattfindende Diskussion in vielen medizinischen Fachbereichen, ob die hauptsächliche Fixierung auf die Intensivmedizin zu kurz greift, bestärkt uns dabei.

Die Lage bleibt also angespannt und ist nicht schönzureden. Die immensen Herausforderungen in den Praxen bleiben. Aber insgesamt besteht auch Optimismus, den Solidarität und Pragmatismus hinterlassen. Überbordende Bürokratie und politische Behäbigkeit scheinen ausgesetzt. Kurzfristige, schlanke und pragmatische Lösungen gewinnen. Dennoch agiert die Bundesregierung kurzsichtig und gegen das Wohl der Patienten, wenn sie glaubt, dass die Mundgesundheit nicht denselben Stellenwert hat wie zum Beispiel die Gesundheit von Gelenken oder inneren Organen. Mundgesundheit ist systemrelevant!

Mit kollegialen Grüßen

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich,

Vizepräsident der BZÄK

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich

Langjähriger Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzender Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ), Honorarprofessor für Orale Prävention und Versorgungsforschung an der Universität Greifswald

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