US-Gesundheitsmarkt

Google: Datenklau geht auch legal

mg
Eine große US-Krankenhauskette übergibt Google künftig ihre Patientendaten zur Analyse. Ziel sei, die Ärzte über Warnmeldungen schneller zu informieren, wenn es den Patienten schlechter geht. Der Datenschutz sei gewährleistet, heißt es. US-Medien zweifeln daran. Fest steht, die Sache hat System – und Google handelt ganz legal.

Ende 2019 hatte bereits ein vergleichbarer Deal zwischen der Alphabet-Tochter und dem US-Gesundheitsdienstleister Ascension für einen öffentlichen Aufschrei gesorgt. Google erhielt damals US-Medienberichten zufolge nicht anonymisierte Patientendaten von 50 Millionen US-Amerikanern ohne deren Wissen oder Widerspruchsmöglichkeit (die zm berichteten, siehe bit.ly/zm_google).

HCA Healthcare

Das 1968 gegründete Unternehmen mit Sitz in Nashville betreibt 186 Krankenhäuser und etwa 2.000 ambulante Pflegeeinrichtungen, darunter Operationszentren, Notaufnahmen und Arztpraxen in 20 Bundesstaaten der USA und im Vereinigten Königreich. HCA Healthcare verzeichnete nach eigenen Angaben zuletzt mehr als 32 Millionen Patientenkontakte im Jahr – Schätzung von The Verge zufolge sind das fünf Prozent aller Patientenkontakte in den USA.

HCA machte 2020 trotz der COVID-19-Pandemie einen Gewinn von 3,75 Milliarden US-Dollar. Die Gewerkschaft National Nurses United warf dem Krankenhausbetreiber daraufhin vor, Gewinnmaximierung höher zu priorisieren als Patienten- und Personalsicherheit. Krankenschwestern berichteten in US-Medien von Personalmangel und Kürzungen bei der persönlichen Schutzausrüstung.

Ob die Situation heute anders ist, bleibt offen. Wie Google und HCA übereinstimmend berichten, hat der US-Gesundheitsdienstleister bereits Studien in führenden medizinischen Fachzeitschriften wie dem „New England Journal of Medicine“ und „The Lancet“ veröffentlicht, in denen Algorithmen-gestützte Entscheidungshilfen für Pflegekräfte entwickelt und klinische Praktiken identifiziert werden, die Infektionen reduzieren und die perinatale Versorgung verbessern sollen. Die Partnerschaft mit Google Cloud soll diese Bemühungen zur Entwicklung neuer Entscheidungshilfen verstärken, heißt es.

HCA Healthcare betreibt nach eigenen Angaben aktuell 90.000 mobile Geräte, auf denen Softwaretools laufen, die das Personal bei deren Arbeit unterstützen. Googles kontinuierliche Datenanalysen sollen unter anderem ermöglichen, dass in Echtzeit Warnmeldungen generiert werden, um Ärzte zukünftig noch schneller über Zustandsveränderungen von Patienten zu informieren. Die Partnerschaft soll aber auch Auswirkungen auf nicht-klinische Bereiche haben, etwa zu verbesserten Arbeitsabläufen in der Lieferkette, im Personalwesen und im Anlagenbetrieb führen.

Das Gesetz erlaubt Datennutzung auch zur Gewinnmaximierung

Datenschutz und -sicherheit sollen dabei „die Leitprinzipien dieser Partnerschaft sein”. Gegenüber dem US-Nachrichtensender CNBC erklärte Google: „Wir verarbeiten keine Kundendaten, um Anzeigenprofile zu erstellen oder Google-Ads-Produkte zu verbessern. Wir verkaufen keine Kundendaten oder Servicedaten an Dritte.”

Doch die Datenschutzgesetze im Gesundheitswesen der USA erlauben es Krankenhäusern, Informationen mit Auftragnehmern zu teilen, und Forschern, Patientendaten ohne ausdrückliche Genehmigung dieser Patienten zu analysieren, gibt das US-Mediennetzwerk „The Verge“ zu bedenken. Gesundheitsunternehmen können diese Informationen „in jeder Weise nutzen, die sie für richtig halten, einschließlich, um die Gewinne zu steigern”.

Und das deutsche Computermagazin c‘t berichtet, die Patientendaten in der Google-Cloud sollten zwar „in der Regel” anonymisiert gespeichert werden – sofern HCA jedoch zustimmt, könnte Google aber offenbar auch auf personenbezogene Daten zugreifen, „wenn es das als notwendig erachtet”.

Der Mutterkonzern investiert – auch in Personal mit guten Kontakten

Nicht nur über Google Cloud, sondern auch über das Tochterunternehmen Verily verstärkt Alphabet seine Bemühungen, im US-Gesundheitssektor mehr als bisher Fuß zu fassen. Ende 2019 warb das Unternehmen 700 Millionen Euro Fremdkapital ein, um seine Forschungsprogramme in der digitalen Chirurgie, Pathologie und Immunologie sowie in der Erarbeitung einer Plattform zur Rationalisierung der klinischen Forschung voranzutreiben. Im Juni wurde dann Dr. Amy Abernethy neue Präsidentin der klinischen Forschungsplattformen bei Verily. Die Medizinerin war bis dahin Vizechefin der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel FDA.

Die psychische Gesundheit wird Geschäftsfeld

Onduo ist ein Joint Venture zwischen der Google-Tochter Verily und dem Arzneimittelhersteller Sanofi. Es wurde 2016 ausgegliedert, arbeitet mit großen US-Krankenversicherern wie Blue Cross Blue Shield zusammen und bietet in den USA ein virtuelles Pflegeprogramm mit Coaching-Tools für Typ-2-Diabetes-Patienten. Jetzt will sich Onduo noch der psychischen Gesundheit der US-Amerikaner widmen.

Chef Vindell Washington erklärte gegenüber dem US-Branchendienst Fierce Biotech, schon vor der Pandemie sei der Zugang zu entsprechenden Gesundheitsdiensten in den USA eine Herausforderung gewesen. Jetzt habe sich die Lage für Menschen mit Depression aber noch einmal verschärft. Sein Unternehmen schätzt, dass bis zu einem Drittel der Diabetes- und Bluthochdruckpatienten auch Depressionen erleben – deren Symptome aber nicht selbstständig erkennen oder Hilfe suchen. Darum sollen die Onduo-Dienstleistungen erweitert werden.

Wie die Dienstleistungen genau aussehen werden, bleibt trotz viel Marketingsprech vage. Die Bedürfnisse der Patienten sollen mithilfe von virtuellen Coaches festgestellt und die Kontaktaufnahme mit Psychiatern und Therapeuten soll erleichtert werden, heißt es etwa. Und Alanna Robinson, Leiterin für psychische Gesundheit bei Onduo erklärt: „Durch die Bereitstellung digitaler Tools, evidenzbasierter Interventionen, Ressourcen und Reflexionsübungen helfen wir den Patienten, die Auswirkungen von Depressionssymptomen auf ihr tägliches Leben zu verstehen“ – damit diese letztlich ihre Verhaltensmuster und die dahinter liegenden Bedürfnisse dechiffrieren können, um ihre Lebensqualität zu verbessern.

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