Aus der Wissenschaft

Führen tiefe subgingivale Restaurationen zu Gingivitis oder Parodontitis?

Elmar Hellwig
Wenn besonders tiefe Kariesläsionen ohne Kronenverlängerung oder orthodontische Extrusion behandelt werden, reichen die Restaurationen oft in subgingivale Areale hinein. Ist deren Oberfläche glatt, können Irritationen, Entzündungen der Gingiva und schlussendlich Knochenverlust im Parodont vermieden werden – das haben bisherige Studien für die Stufenelevationstechnik mit indirekten Restaurationen zeigen können. Nun hat ein Autorenteam die Problematik auch für direkte Restaurationen untersucht.

Bei der Entfernung alter Restaurationen beziehungsweise bei der invasiven Therapie einer tiefen approximalen Karies ergeben sich nicht selten gleich mehrere Probleme. Zum einen kann sich die Anfertigung neuer Restaurationen sehr schwierig gestalten, zum anderen könnte es zu einer Verletzung der biologischen Breite kommen, die rein theoretisch in eine Entzündung des Parodonts mündet. Dies würde letztlich bedeuten, dass man vor Anfertigung der Restauration eine Kronenverlängerung oder eine orthodontische Extrusion des entsprechenden Zahnes vornehmen müsste. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die chronische Entzündung der Gingiva und ein eventueller Knochenverlust vermieden werden können, wenn die entsprechende Restauration im subgingivalen Bereich glatt ist und nicht zu einer Irritation führt.

Mit einer speziellen Technik ist es möglich, dieser Anforderung nachzukommen, wenn man Kompositrestaurationen anfertigt, die tief subgingival enden. Dabei wird zunächst der gingivale Restaurationsrand mithilfe der „Schneepflugtechnik“ (snowplough-technique) angehoben und anschließend in einem zweiten Schritt die Kompositrestauration vervollständigt. Bisher gibt es zu dieser Technik hauptsächlich Fallberichte beziehungsweise In-vitro-Studien, die allerdings eine begrenzte Aussagekraft bezüglich der allgemeinen klinischen Anwendbarkeit besitzen. Die bisher veröffentlichten klinischen Studien beziehen sich häufig auf die Stufenelevation mit anschließender indirekter Restaurationstechnik. Die vorliegende Studie beschäftigte sich nun mit rein direkten Restaurationen in der oben beschriebenen Technik und untersuchte, ob es zu gingivalen, parodontalen Entzündungszeichen kommt, wenn die Technik verwendet wird.

Material und Methode

Zunächst wurden Patienten identifiziert, die in den Jahren 2010 bis 2020 eine Kompositrestauration erhalten hatten, die subgingival endete. Zusätzlich mussten diese Patienten mindestens einen kariesfreien Zahn oder einen Zahn mit einer Restauration, die nicht mit der Gingiva in Kontakt stand, aufweisen. Alle Restaurationen waren in der Heidelberger beziehungsweise Tübinger Universitätszahnklinik gelegt worden.

Bei der Restauration wurde die oben beschriebene Zwei-Schritt-Technik verwendet. Nach der Kariesentfernung wurde der approximale Kavitätenrand angehoben, Kofferdam wurde nicht gelegt, die Feuchtigkeitskontrolle erfolgte mit Watterollen und Absaugung. Zudem wurden Retraktionsfäden gelegt. Es wurde ein Drei-Schritt-Etch-and-Rinse-Adhäsivsystem verwendet und ein Flowable mit einem Hybridkomposit eingebracht. Dabei kam die „Schneepflugtechnik“ zum Einsatz und mögliche Überhänge wurden sorgfältig entfernt. Anschließend wurde Kofferdam gelegt und unter Anwendung einer Teilmatrize und eines Keils der okklusale Teil einer Kavität eingebracht. Dann wurde die Restauration finiert und poliert.

AUS DER WISSENSCHAFT

In dieser Rubrik berichten die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der zm regelmäßig über interessante wissenschaftliche Studien und aktuelle Fragestellungen aus der nationalen und internationalen Forschung.

Die wissenschaftliche Beirat der zm besteht aus folgenden Mitgliedern:

Univ.-Prof. Dr. Elmar Hellwig, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Univ.-Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universität Bonn

Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, Universitätsmedizin Mainz

Insgesamt wurden 63 Patienten eingeschlossen, wobei das mittlere Alter der Restaurationen 2,7 ± 1,9 Jahre betrug. Die klinische Untersuchung beinhaltete eine detaillierte Anamnese und einen Fragebogen sowie die Evaluation der klinischen Qualität der subgingivalen Restauration und der parodontalen Verhältnisse der behandelten und der Kontrollzähne. Dabei wurden die Sondierungstiefe und der klinische Attachment-Level sowie gingivale und parodontale Indizes erhoben. Die Untersucher wurden mit einem entsprechenden webbasierten Training kalibriert. Zudem wurden Blutungsindizes und Plaqueansammlungen dokumentiert. Ergänzend wurden die Kompositrestaurationen entsprechend den modifizierten FDI-Kriterien beurteilt (für die detaillierten Charakteristika und die statistische Auswertung sei auf die Originalpublikation verwiesen).

Ergebnis

Bezüglich der gingivalen und parodontalen Gesundheit ließ sich feststellen, dass der Blutungsindex (bleeding on probing) bei den Test- und Kontrollzähnen nicht signifikant unterschiedlich war. Interessant war, dass die Anwendung von Interdentalbürsten einen signifikanten Einfluss auf die gingivale Gesundheit hatte. Auch bezüglich der Plaqueakkumulation ließen sich keine Unterschiede zwischen den Test- und Kontrollzähnen feststellen. Bei der Beurteilung der klinischen Qualität der Restaurationen zeigte sich, dass 70 Prozent aller Restaurationen klinisch akzeptabel waren und keine der Restaurationen, die nicht in diese Kategorie einzuordnen waren, tatsächlich ersetzt werden musste.

Diskussion und Einordnung

In dieser retrospektiven Studie zeigte sich eindeutig, dass tiefe subgingivale direkte Restaurationen nicht mit einer vermehrten parodontalen oder gingivalen Entzündung einhergingen. Allerdings ist unter anderem eine Voraussetzung, dass die Interdentalhygiene mit entsprechenden Bürstchen durchgeführt wird. Speziell gab es keinen Unterschied bei den Charakteristika „bleeding on probing“ zwischen den Test- und Kontrollzähnen. Es muss jedoch beachtet werden, dass in der vorliegenden Studie eine relativ geringe Patientenzahl nachuntersucht wurde. Daher sollten weitere klinische Studien mit einer größeren Patientenzahl durchgeführt werden.

Offensichtlich werden glatte, randspaltfreie Kompositrestaurationsränder vom parodontalen Gewebe gut toleriert. Es sollte zusätzlich erwähnt werden, dass die Anfertigung der tief subgingival endenden Restaurationen sehr techniksensitiv ist und daher sehr sorgfältig durchgeführt werden sollte. Speziell die Kontrolle des gingivalen Randes der Restauration ist häufig nur mit einem Röntgenbild möglich.

Klinische Relevanz

Zusammenfassend kann man feststellen, dass es sich bei dem vorgestellten Restaurationsverfahren um eine vielversprechende Möglichkeit handelt, sowohl auf eine Kronenverlängerung als auch auf die Extrusion beziehungsweise sogar Extraktion eines Zahnes zu verzichten, wenn die Restauration sorgfältig gelegt wird und die Patienten bereit sind, eine adäquate Interdentalraumhygiene zu betreiben. 

Originalpublikation: Muscholl et al.: Retrospective Clinical Evaluation of Subgingival Composite Resin Restorations with Deep-Margin Elevation; J Adhes Dent 24: 335–344 (2022)

Prof. Dr. Elmar Hellwig

Universitätsklinikum Freiburg, Department für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg

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