Barmer-Arzneimittelreport

HPV-Impfungen brechen nach Corona massiv ein

Die HPV-Impfrate bei Kindern ist zum Ende der Corona-Pandemie hin massiv eingebrochen. Das geht aus dem am 27. August 2024 in Berlin vorgestellten BARMER-Arzneimittelreport hervor, in dem Versichertendaten der Kasse analysiert werden. BARMER-Vorstandschef Straub unterbreitete Vorschläge, mit denen dem Rückgang der Impfungen entgegengewirkt werden kann.

Dem neuen BARMER Arzneimittelreport zufolge ist die Impfrate von 2021 auf 2022 von 98 auf 75 Impfungen je 1.000 Mädchen zurückgegangen (-23,5 Prozent). Im Vergleich zum Rekordjahr 2015 beträgt der Rückgang sogar 37 Prozent. „Das humane Papillomavirus ist für die Hälfte aller virusbedingten bösartigen Tumore und für fast 100 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich. Eine HPV-Impfung kann diese Krebserkrankung verhindern und damit Todesfälle vermeiden. Nicht ohne Grund empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut die HPV-Impfung bei Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren“, sagte Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER.

Infektion mit dem humanen Papillomavirus

Eine Infektion mit dem humanen Papillomavirus zählt zu den häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten. 90 Prozent der HPV-Infektionen heilen spontan aus, aber in 10 Prozent der Fälle kommt es zu einer chronischen Infektion. Eine Infektion mit Niedrigrisiko-HPV-Typen kann zur Ausbildung von Genitalwarzen führen, die störend, aber harmlos sind. Bei persistierender Infektion mit einem der 13 onkogenen HPV-Typen besteht allerdings das Risiko der Entwicklung eines Karzinoms, das in der Anogenitalregion (Anus, Cervix, Penis, Vagina, Vulva) oder im Oropharynx (Mund-Rachen-Bereich) nach einer Latenz von bis zu mehreren Jahrzehnten auftreten kann [McBride, 2024].

Der deutsche Wissenschaftler Harald zur Hausen erhielt 2008 für seine Forschung zur HPV-Impfstoffentwicklung den Nobelpreis für Medizin. Als 2007 die Ständige Impfkommission (STIKO) die HPV-Impfung empfahl, standen zwei Arten von Impfstoffen zur Verfügung: ein Impfstoff gegen die Hochrisikotypen 16 und 18 und ein Impfstoff, der sowohl gegen die Hochrisikotypen 16 und 18 als auch gegen die Niedrigrisikotypen 6 und 11 wirkt (viervalent). Seit 2016 steht in Deutschland ein HPV-Impfstoff gegen neun HPV-Typen zur Verfügung, der neben den HPV-Typen 6, 11, 16, 18 auch gegen die Hochrisikotypen 31, 33, 45, 52 und 58 schützt und den viervalenten Impfstoff ablöst. Ziel der STIKO-Empfehlung 2007 war die Verhinderung von Zervixkarzinomen [Robert Koch-Institut, 2007]. Geimpft werden sollten daher Mädchen mit drei Impfdosen, wobei initial die Impfung im Alter von 12 bis 17 Jahren erfolgen sollte, da die Dauer des Impfschutzes noch unklar war. Nachdem Belege für einen langfristigen Schutz durch die Impfung vorlagen, konnte das Impfalter im Jahr 2014 auf neun Jahre gesenkt werden [Robert Koch-Institut, 2014], was zwei Vorteile hat: Erstens muss die Impfung vor einer HPV-Infektion erfolgen, um wirksam zu sein, und zweitens reichen bei Impfung im Alter unter 15 Jahren zwei Impfdosen aus, um die Schutzwirkung zu erreichen. Ab 15 Jahren sind hierzu drei HPV-Impfungen erforderlich.

In Deutschland wird die HPV-Impfung von der Ständigen Impfkommission (STIKO) für Mädchen seit August 2007 und für Jungen seit August 2018 empfohlen. Die HPV-Impfung soll bei beiden Geschlechtern im Alter von 9 bis 14 Jahren erfolgen, um HPV-assoziierte Malignome, insbesondere das Zervixkarzinom, zu verhindern. Hierzu sollte sie vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgen, da sie nach bereits eingetretener HPV-Infektion wirkungslos ist [Hildesheim et al., 2007]. Eine Umfrage unter jungen Frauen in Deutschland zeigte, dass 70 Prozent der Befragten vor dem 18. Lebensjahr und weniger als fünf Prozent vor dem 14. Lebensjahr erstmals Geschlechtsverkehr hatten [Remschmidt et al., 2014].

  • McBride, A. A. (2024). Human malignancies associated with persistent HPV infection. Oncologist. doi:10.1093/oncolo/oyae071.

  • Robert Koch-Institut (2014). Neuerungen in den aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI vom August 2014. Epidemiologisches Bulletin, 1. Sept. 2014. Nr. 35: 341–347.

  • Hildesheim, A., Herrero, R., Wacholder, S., Rodriguez, A. C., Solomon, D., Bratti, M. C., Schiller, J. T., Gonzalez, P., Dubin, G., Porras, C., Jimenez, S. E. & Lowy, D. R. (2007). Effect of human papillomavirus 16/18 L1 viruslike particle vaccine among young women with preexisting infection: a randomized trial. JAMA, 298(7), 743–753. doi:10.1001/jama.298.7.743.

  • Remschmidt, C., Fesenfeld, M., Kaufmann, A. M. & Delere, Y. (2014). Sexual behavior and factors associated with young age at first intercourse and HPV vaccine uptake among young women in Germany: implications for HPV vaccination policies. BMC Public Health, 14, 1248. doi:10.1186/1471-2458-14-1248.

Gebärmutterhalskrebs entsteht fast immer durch HPV-Infektion

Den BARMER-Daten im Arzneimittelreport zufolge wurde bei 175 von einer Million Frauen zwischen 40 und 49 Jahren ein Zervixkarzinom neu diagnostiziert, so Straub weiter. Fast immer werde Gebärmutterhalskrebs durch eine HPV-Infektion verursacht und sei daher durch Impfung vermeidbar. Auch Jungen profitierten durch die Senkung des Risikos für HPV-assoziierte Tumore von dieser Impfung. Daher brauche es unter anderem ein nachhaltiges Erinnerungssystem für Versicherte mit Impflücken. Idealerweise könne die Überprüfung des Impfstatus bei der Untersuchung U10 erfolgen, deren Einführung als Regelleistung der Gemeinsame Bundesausschuss  (G-BA) derzeit prüfe.

Analysen von Dr. Veronika Lappe von der PMV-Forschungsgruppe der Universität zu Köln im Rahmen des Reports zeigen bei den 20- bis 29-jährigen Frauen bereits jetzt die schützende Wirkung der HPV-Impfung. Sie erkranken deutlich seltener an Gebärmutterhalskrebs. Im Jahr 2011 lag die Häufigkeit bei dieser Altersgruppe noch bei 23 Neuerkrankten je eine Million Frauen. Im Jahr 2022 sank die Rate auf sieben je eine Million.

„Wir sehen in der Altersgruppe 20 bis 29 Jahre die niedrigste Rate an Neuerkrankungen für Gebärmutterhalskrebs seit dem Jahr 2011. Dieser Effekt ist bei den Frauen zwischen 30 und 39 Jahren, die noch nicht von der Impfung im Kindesalter profitieren konnten, nicht zu beobachten“, sagte Studienautor Prof. Dr. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken. Im Jahr 2011 habe die Anzahl der Neuerkrankten hier bei 95 und im Jahr 2022 bei 120 je eine Million Frauen gelegen.

Jungs haben einen großen Nachholbedarf

Die HPV-Impfung schütze auch Jungen vor HPV-bedingten Tumorerkrankungen und zusätzlich indirekt die Mädchen, so Grandt weiter. Deshalb werde sie seit 2018 auch für Jungen empfohlen. Der Anteil der vollständig gegen HPV geimpften Jungen liege mit 25 Prozent im Alter von 13 Jahren deutlich niedriger als bei den Mädchen. Hier bestehe hoher Handlungsbedarf, zumal vom Jahr 2021 auf 2022 die Rate der jährlich Geimpften um 31,8 Prozent von 85 auf 58 je 1.000 Jungen zurückgegangen sei. Ein selektivvertragliches Angebot der BARMER habe aber gezeigt, dass sich die HPV-Impfquote bei Jungen deutlich steigern lässt.

Höhere Impfquoten vor allem im Osten

Wie aus dem BARMER-Arzneimittelreport weiter hervorgeht, gibt es bei den HPV-Impfquoten große regionale Unterschiede. In Sachsen-Anhalt sind 75,7 Prozent der 17-jährigen Mädchen vollständig geimpft, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit 71,8 beziehungsweise 71,5 Prozent. Die niedrigsten Quoten gibt es in Bayern, Bremen und Baden-Württemberg mit 51,3 beziehungsweise 54,2 und 55,2 Prozent. Starke regionale Unterschiede gibt es auch bei den Anteilen gegen HPV komplett ungeimpfter Mädchen. Die Spanne reicht hier von 12,5 Prozent in Sachsen-Anhalt bis hin zu 32,5 Prozent in Bayern.

Laut dem BARMER-Arzneimittelreport hat sich das Impfverhalten der beteiligten Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen Jahren geändert. Bei den Mädchen haben im Jahr 2015 Kinderärztinnen und -ärzte 50,6 Prozent der Erstimpfungen durchgeführt. Im Jahr 2022 waren es bereits 68,1 Prozent. Bei den Hausärztinnen und Hausärzten blieb der Wert mit etwa jeder sechsten Erstimpfung konstant. Bei Gynäkologinnen und Gynäkologen hat der Wert deutlich von 32,7 Prozent im Jahr 2015 auf 18,2 Prozent im Jahr 2022 abgenommen. „Die im Jahr 2014 vom Robert Koch-Institut geänderte Empfehlung, die HPV-Impfung bereits im Alter ab neun Jahren durchzuführen, hat die Bedeutung der Kinderärzte noch einmal deutlich erhöht. Sie sind inzwischen bei Jungen und Mädchen die ersten Ansprechpartner für die HPV-Impfung“, so Grandt.

Akzeptanz und Sensibilität müssen weiter steigen

„Die Akzeptanz und Sensibilität für die HPV-Impfung müssen weiter steigen, um die Impfrate deutlich zu verbessern“, fordert BARMER-Vorstandsvorsitzender Straub. Hilfreich wäre hier die zusätzliche Kindervorsorgeuntersuchung im Alter von neun bis zehn Jahren, in der unter anderem der Impfstatus überprüft und über den Nutzen und die Risiken fehlender Impfungen aufgeklärt würde. „Ein Erinnerungssystem für nicht und unvollständig HPV-Geimpfte kann zusätzlich helfen, die Impfquote zu erhöhen“, so Straub. Genauso wichtig wie bei den Mädchen sei die HPV-Impfung der Jungen, da sie von dieser nicht nur selbst profitierten. Denn als Ungeimpfte seien sie später beim Geschlechtsverkehr wesentliche Überträger, die Frauen mit HP-Viren infizierten. Krankenkassen könnten mit Blick auf die Impfung eine wichtige Erinnerungsfunktion übernehmen. In den Routinedaten ließen sich die bis zum zwölften Lebensjahr noch ungeimpften Kinder identifizieren und rechtzeitig über diese Impfung informieren. Dies sei eine wichtige Ressource vor dem Hintergrund sinkender Impfquoten.

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