Einsatz für den Förderverein Clinica Santa Maria in Bolivien

Mehr als nur ein kurzer Impuls

Heftarchiv Gesellschaft
Haoran Li
Die kleine Zahnarztpraxis in Huancarani inmitten der Anden ist inzwischen so ausgestattet, dass wir dort als Zahnmediziner gemeinsam mit Zahntechnikern und weiteren Helfern nahezu auf deutschem Niveau arbeiten können. ­Damit ist erstmals eine nachhaltige Versorgung möglich.

An einem trüben Abend vor einigen Jahren saß ich in Halle (Saale) an der Vorbereitung für einen konservierenden Behandlungskurs. Während draußen der Regen gegen die Scheiben prasselte, wuchs in mir das Verlangen nach einem Perspektivwechsel. Ich wollte raus aus dem Unialltag, raus aus dem Hörsaal – etwas Neues, Sinnstiftendes erleben. Inzwischen machte ich mich Ende 2024 zum dritten Mal auf den Weg nach Bolivien für einen Einsatz beim Förderverein Clinica Santa Maria (FCSM). Inspiriert hatten mich die Famulaturberichte meiner Kommilitonen über das zahnmedizinische Projekt in dem indigenen Land, das soziales Engagement auf hohem fachlichem Niveau mit kultureller Erfahrung verbindet. Das reizte mich!

Das „Consultorio Dental“ in Huancarani hat sich als professionelle zahnmedizinische Einrichtung unter besonderen Bedingungen etabliert. Mit zwei modernen Behandlungszimmern, Röntgengerät, Autoklaven, Reziprok-Gold-System, Ultraschall-Scaler und vollständig vorhandener Ausstattung für Füllungstherapie, Endodontie, Prothetik und Prophylaxe ist die Praxis fast auf deutschem Niveau ausgestattet. Ein Alleinstellungsmerkmal des Projekts ist das fest integrierte zahntechnische Labor. Dies ermöglicht es den Volontärinnen und Volontären, in Zusammenarbeit mit erfahrenen Zahntechnikerinnen und -technikern direkt vor Ort Totalprothesen, Interimsprothesen sowie Klammerprothesen aus Kunststoff anzufertigen. Die unmittelbare Verbindung zwischen Behandlungsraum und zahntechnischer Umsetzung verleiht der zahnärztlichen Versorgung vor Ort eine bemerkenswerte Effizienz und Qualität, staunte ich jedes Mal neu.

Das Consultorio ist dank der durchgehend wechselnden zahnmedizinischen Fachkräfte das gesamte Jahr über besetzt. So ist die Versorgung vor Ort nicht nur punktuell, sondern kann tatsächlich kontinuierlich stattfinden, was uns sehr freut. Die Hilfe ist also kein kurzfristiger Impuls, sondern als nachhaltiges Gesundheitsprojekt mit klarer Struktur angelegt und gewachsen. Dieses Mal war ich mit meiner Kollegin Dr. Carla Schliephake, einer frisch approbierten Oralchirurgin, und der erfahrenen ZFA Nicole Strietzel aus der Frankfurter Universitätszahnklinik unterwegs. In der ersten Woche unterstützten uns zwei versierte Zahntechniker. Ihr handwerkliches Können und die Erfahrung für die prothetische Versorgung waren für uns sehr wertvoll.

Kaum Aufklärung, dafür viel Zucker

Unser Arbeitsalltag begann früh: Bereits lange vor Öffnung der Praxis versammelten sich die ersten Patientinnen und Patienten vor dem Tor. Zwischen 15 und 33 Personen suchten uns täglich auf. Die Behandlungen umfassten das gesamte Spektrum der konservierenden Zahnheilkunde, einschließlich endodontischer Maßnahmen sowie parodontaler Basistherapien, und wurden ergänzt durch prothetische Versorgungen. Trotz unserer chirurgischen Qualifikation lag der Fokus klar auf dem Erhalt der Zähne, wo immer dies möglich war.

Erschütternd war allerdings der Zustand vieler Kindergebisse. Aufgrund mangelnder Prävention, geringer Aufklärung und hohem Zuckerkonsum – insbesondere durch süße Getränke – weisen viele Kinder nicht erhaltungswürdige Molaren, Pulpapolypen oder kariöse Gebissverhältnisse auf, bei denen kaum ein Zahn unbeeinträchtigt war. Zahlreiche Sechsjahresmolaren mussten entfernt werden, obwohl deren Erhalt aus entwicklungsprothetischer Sicht von zentraler Bedeutung gewesen wäre.

Dennoch waren viele dieser jungen Patientinnen und Patienten bemerkenswert kooperativ, verhielten sich ruhig und tapfer – was unsere Arbeit enorm erleichterte. Um sie positiv zu konditionieren, gaben wir nach jeder Behandlung kleine Spielzeuge sowie neue Zahnbürsten aus. Die Kinder freuten sich darüber und kamen in der Folge häufig freiwillig und motiviert zu weiteren Sitzungen zurück.

Heruntergeknirscht bis auf Gingivaniveau

Eine besondere Herausforderung stellte ein älterer Patient mit einem stark abradierten Gebiss dar. Die Inzisiven waren nahezu bis auf Gingivaniveau heruntergeknirscht, was nicht nur funktionelle Einschränkungen, sondern auch erhebliche ästhetische Beeinträchtigungen mit sich brachte. Zunächst äußerte er den Wunsch nach einer einfachen Oberkieferprothese. Nach intensiver Planung und ausführlicher Beratung entschieden wir uns gemeinsam mit ihm für eine umfassendere Lösung: eine vollständige Rehabilitation des Ober- und Unterkiefers mit aufgesteckten Kunststoffprothesen, die gleichzeitig als definitive Versorgung dienten. Die Wiederherstellung der Bisshöhe ermöglichte ihm nicht nur eine deutlich verbesserte Kaufunktion, sondern auch ein neues Selbstbewusstsein. Sein strahlendes Lächeln bei der Eingliederung war für uns alle ein bewegender Moment.

Wer einmal in Huacarani war, kennt Doña Adela. Sie ist nicht nur unsere Gastgeberin, Köchin und Haushälterin, sondern das emotionale und soziale Zentrum des Projekts. Ihre Fürsorge geht weit über das Zubereiten von Mahlzeiten hinaus. Sie hört zu, tröstet, organisiert, kümmert sich um jedes Detail und verleiht dem Haus eine Atmosphäre der Geborgenheit. Die Diagnose eines bösartigen Tumors im Jahr 2024 traf uns alle tief. Trotz ihrer Erkrankung unterstützte sie uns mit bewundernswerter Stärke weiterhin, wann immer es ihre Gesundheit zuließ. Dank einer umgehend vom FCSM initiierten Spendenkampagne sowie zusätzlicher privater Mittel konnten die notwendigen Untersuchungen und Therapien eingeleitet werden. Nach neun Chemotherapiezyklen befindet sich Doña Adela heute in einem stabilen Zustand. Trotz ihres Haarverlusts hat sie ihre Lebensfreude und Herzlichkeit nicht verloren. Ihr Durchhaltewille ist sagenhaft!

Fazit

In den drei Wochen haben wir Beachtliches geschafft und dabei 197 direkte Füllungstherapien (Milch- und bleibende Zähne), 137 Extraktionen und 19 Zahnreinigungen durchgeführt, 14 Eingliederungen von Prothesen vorgenommen sowie neun erfolgreiche endodontische Behandlungen durchgeführt. Diese Zahlen stehen nicht nur für die Quantität der Leistungen, sondern spiegeln vor allem den hohen Behandlungsbedarf, die Effizienz des interdisziplinären Arbeitens und die ausgezeichnete Vorbereitung der Vor- und Nachfolgeteams wider.

Was dieser Einsatz mir erneut eindrücklich vor Augen geführt hat, ist die privilegierte Situation, in der wir uns als Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland befinden. Während bei uns moderne Diagnostik, fachärztliche Betreuung und flächendeckende Versorgung zum Standard gehören, ist das alles in Bolivien keineswegs selbstverständlich. So ist zum Beispiel der Onkologe von Doña Adela oftmals nur einmal wöchentlich verfügbar, Medikamente sind teuer und für viele nicht erschwinglich. Selbst grundlegende zahnmedizinische Leistungen sind für einen großen Teil der Bevölkerung ohne Hilfe von Projekten wie dem FCSM nicht zugänglich.

Mein dritter Einsatz war fachlich, menschlich und emotional der intensivste. Ich kehre zurück mit dem Bewusstsein, Teil eines außergewöhnlichen Projekts gewesen zu sein, das mit Herz, Struktur und Nachhaltigkeit wirkt. FCSM lebt durch Menschen, die ihre Zeit, ihr Wissen und ihre Energie teilen. Ich hoffe, dass auch in Zukunft viele engagierte Kolleginnen und Kollegen diesen Weg gehen werden. Packt eure Koffer. Es lohnt sich!

Es gibt noch freie Plätze für 2025: Bewerbungen nimmt Dr. Ekkehard Schlichtenhorst unter info@fcsm.org entgegen. Weitere Informationen: www.fcsm.org

med. dent. Haoran Li

Zahnarzt und Oralchirurg

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