39. Berliner Zahnärztetag

Der Generalist als Spezialist

Beim Berliner Zahnärztetag drehte sich alles um das Spannungsfeld zwischen Generalist und Spezialist – ein Thema, das in der modernen Zahnmedizin zunehmend an Bedeutung gewinnt. Rund 300 Zahnärztinnen und Zahnärzte waren am 9. und 10. Mai 2025 ins Estrel Convention Center in Berlin gekommen, um sich über neue fachliche Entwicklungen auszutauschen und Impulse für die Praxis mitzunehmen.

Hat der Generalist noch eine Zukunft – oder gehört sie dem Spezialisten? Diese Frage stand im Fokus des 39. Berliner Zahnärztetages, dessen wissenschaftliches Programm Dr. Derk Siebers gemeinsam mit dem gastgebenden Quintessenz Verlag zusammengestellt hatte. Das Spektrum reichte von Prothetik, Implantologie und Zahntechnik über die Rolle des Generalisten und die zahnärztliche Schlaf- und atembezogene Medizin bis zu den Grenzen und Möglichkeiten der Zahnerhaltung in Endodontie und Parodontologie. In fünf Sessions wurden die Grenzen zwischen Generalist und Spezialist abgesteckt sowie die Schnittstellen der intra- und interdisziplinären Zusammenarbeit diskutiert.

Im Fokus stand dabei die Frage, wie ein hohes Niveau zahnmedizinischer Behandlungsqualität in verschiedenen Fachbereichen sowohl in spezialisierten Praxen als auch in allgemein-zahnärztlichen Praxen erreicht werden kann. Dabei wurden die fortschreitende Digitalisierung sowie die aktuellen Forschungsergebnisse stets mitgedacht.

Um es vorwegzunehmen, die Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Generalisten lautete: Beide – sowohl der Generalist als auch die Spezialistin – werden die Zukunft prägen. Denn während die Zahl der niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte bundesweit zurückgeht, sind insbesondere in ländlichen Regionen Generalisten oft die erste und wichtigste Anlaufstelle – einfach deshalb, weil Fachkollegen vor Ort fehlen. Mit Nachdruck plädierte die in Berlin niedergelassene Zahnärztin Anita Beckmann deshalb für das Berufsbild des Generalisten.

„Als Generalistin weißt Du viel und kannst Du viel. Mach was draus!“

Für Beckmann ist der Generalist der Schlüssel zu einer ganzheitlichen Mundgesundheit. Er müsse über ein breites Spektrum an Fähigkeiten verfügen, um Diagnosen ganzheitlich zu bewerten, Therapien zu planen und durchzuführen – und die nötige Gesprächskompetenz besitzen, um seine Patientinnen und Patienten gut zu beraten und sicher zu leiten. Zugleich müsse die Generalistin ihre eigenen Grenzen kennen, um bei Bedarf an Spezialisten zu verweisen.

Ergänzend zeigte sich schnell: Auch die Generalisten unter den Referentinnen und Referenten setzen eigene Schwerpunkte – sind aber gleichzeitig auf eine ergänzende Expertise im eigenen Team oder im regionalen Netzwerk angewiesen. Das erfordert ein hohes Maß an Offenheit für interdisziplinäres Arbeiten.

Um den ganzheitlichen Blick auf den Patienten zu schärfen, bot Dr. Samia Little Elk, Fachärztin für psychosomatische Medizin, Somnologin (DGSM) und Verhaltenstherapeutin, einen umfassenden Einblick in schlafbezogene Atmungsstörungen. Sie zeigte, wie Zahnärzte Warnsignale bei ihren Patienten bereits auf den ersten Blick erkennen können, erläuterte den Ablauf von Diagnostik und interdisziplinärer Therapie und machte dabei besonders die zentrale Rolle der Zahnärztin und des Zahnarztes deutlich – von der Früherkennung über die Therapie mit Unterkieferprotrusionsschienen bis zur engen Abstimmung mit dem Schlaflabor und den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen.

Schlaf sei kein Luxus, so Little Elk, sondern lebensnotwendig: In den verschiedenen Schlafphasen – Leichtschlaf (N1), Leicht- bis Mittelschlaf (N2), Tiefschlaf (N3) und REM-Schlaf (Traumschlaf) – finden Regeneration und Verarbeitung statt. Besonders der Tiefschlaf sorge für körperliche Erholung – Wundheilung, Wachstum bei Kindern, Regeneration der Muskulatur, Stabilisierung des Immunsystems. Little Elk erklärte, dass langfristige Schlafstörungen eine Reihe von Problemen hervorrufen können, zu denen neben Tagesmüdigkeit auch Konzentrationsstörungen sowie ein erhöhtes Risiko für körperliche und seelische Erkrankungen gehören. Viele Symptome von Schlafstörungen ähnelten dem Krankheitsbild einer Depression oder eines Burnouts und nicht selten komme es zu Fehldiagnosen, weil die Symptome einer Schlafstörung fehlinterpretiert werden.

Gestört werde der natürliche Ablauf nicht selten durch schlafbezogene Atmungsstörungen, allen voran durch das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS). Bei OSAS kommt es zu einem wiederholten Verschluss der oberen Atemwege mit Atemaussetzern. Diese führen zu erhöhten Herzfrequenzspitzen und Blutdruckanstiegen von bis zu 20- bis 40-mal pro Stunde – ein erheblicher kardiovaskulärer Stressfaktor. Die Betroffenen erwachen oft unerholt und mit Kopfschmerzen. Manche berichteten gar von Panikgefühlen beim Aufwachen, erläuterte die Somnologin.

Etwa 80 Prozent der Schlafstörungen seien in der Psyche und im Lifestyle begründet, etwa 20 Prozent hätten eine körperliche Ursache. Alkohol könne OSAS verschlimmern. Vor der Behandlung stehe eine sorgfältige Anamnese. Entscheidend sei nicht allein die berichtete Schlafqualität der Patienten, sondern die Frage, ob sie sich tagsüber erholt fühlen oder regelmäßig unter Tagesmüdigkeit leiden. Deshalb sollten Schnarchen und das Gefühl von Panikattacken regelmäßig abgefragt werden. Übergewicht erhöhe das Risiko für eine OSAS massiv, bemerkte Little Elk. Bei einer unbehandelten OSAS sei eine Gewichtsabnahme sehr schwierig, denn es komme durch den nächtlichen kardiovaskulären Stress regelmäßig zu einer Cortisol-Ausschüttung, und chronisch erhöhte Cortisolspiegel führten zu einer Gewichtszunahme. Bei einer Kombination aus Übergewicht, Tagesmüdigkeit und Hypertonus liege die Wahrscheinlichkeit für eine schlafbezogene Atmungsstörung bei nahezu 100 Prozent.

Beim obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom ist eine Blickdiagnose möglich

Gerötete beziehungsweise dunkle Augenringe in Kombination mit einem müden oder glasigen Blick könnten auf eine OSAS hinweisen. Diese entstünden durch die veränderten Druckverhältnisse: Bei den Atemaussetzern trete der Bulbus immer ein bisschen nach vorn und beim Einsetzen der Atmung lege dieser sich wieder zurück in die Orbita. Diese geringe Bewegung verändere das Gewebe rund um das Auge.

Die Diagnostik einer OSAS erfolge im Schlaflabor: Während bei der Polygrafie in erster Linie Atmung und Sauerstoffsättigung erfasst werden, beinhalte die umfassendere Polysomnografie zusätzlich ein Elektroenzephalogramm (EEG) zur differenzierten Analyse der Schlafphasen sowie ein Elektromyogramm (EMG) und ein Elektrokardiogramm (EKG).

Eine nicht-behandelte OSAS verschlechtere nicht nur die Lebensqualität, sondern gehe auch mit einer kürzeren Lebenserwartung einher – eine Behandlung könne hingegen das Leben verlängern. Therapeutisch kämen vor allem zwei Ansätze zum Einsatz: Die mandibuläre Protrusionsschiene, die den Unterkiefer nach vorn schiebt und so die Atemwege offenhält. Bei moderatem OSAS (AHI zwischen fünf und 30) und Masken-Intoleranz sei sie oft die erste Wahl. Auch bei Patienten mit Rückenlageabhängigkeit der OSAS ist die Unterkieferprotrusionsschiene laut Little Elk eine erfolgversprechende Therapieoption. Daneben gibt es noch die Überdrucktherapie (PAP), die zwar sehr effektiv sei und die Lebenserwartung verbessere – aber nicht jeder Patient toleriere die Maske.

Auch Little Elk betonte die Bedeutung der interdisziplinären Arbeit in der zahnärztlichen Schlafmedizin: Ein regelmäßiger kollegialer Austausch mit Kardiologen, Pneumologen und dem Dentallabor sichere strukturierte Workflows und aktuelle Therapieansätze – denn nur gemeinsam lasse sich Schlafapnoe ganzheitlich behandeln.

Alle Referentinnen und Referenten – gleich ob Spezialist oder Generalistin – machten den Kolleginnen und Kollegen Mut, neue Wege zu gehen – ob mit dem Nutzen des intraoralen Scannens und weiterer digitaler Tools bis zum Erschließen neuer Themen wie atemwegsorientierter Zahnmedizin. Ein „spezialisierter Generalistenblick“ helfe, die Patienten ganzheitlich zu versorgen und individuelle Therapiepläne zu entwickeln.

Der nächste Berliner Zahnärztetag wird ein Jubiläumskongress: Am 13. und 14. März 2026 heißt es zum 40. Berliner Zahnärztetag „Zukunft – einen Blick wagen? Generationswechsel – was kommt auf uns zu?“.

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