„Kunst in der Praxis darf durchaus Charakter haben!“
Wie unterscheidet sich Kunst in der Zahnarztpraxis von Kunst im Wohnzimmer?
Renata Kudlacek: Das Wohnzimmer ist ein Spiegel des Bewohners: Er zeigt in seinem Zuhause, was ihn berührt oder inspiriert – Schritt für Schritt entsteht so eine private Sammlung, die Ausdruck des eigenen Geschmacks ist. Die Zahnarztpraxis dagegen ist ein halböffentlicher Ort. Das ist ein wenig anders, heißt aber nicht, dass dieser Raum nicht auch sichtbar die Handschrift der Inhaberin oder des Inhabers tragen kann.
Vishal Shah: Kunst sollte hier zu Atmosphäre, Architektur und Corporate Design passen, aber sie darf durchaus Charakter haben. Gerade wenn eine Praxis überlegt Werke auswählt, entsteht ein stimmiges Ganzes, das Professionalität und Persönlichkeit verbindet. Auch dort kann man also eine Sammlung aufbauen – mit Kunst, die zu einem passt, die die Praxisidentität nach Außen trägt und gleichzeitig den Patientinnen und Patienten ein gutes Gefühl gibt.
Nach welchen Kriterien wählt man Bilder für das Wartezimmer aus?
Shah: Zunächst: Das Wartezimmer ist ein „Dialograum“ zwischen Praxis und Patienten. Die Kunst dort kann viel mehr als dekorieren – sie kann entspannen, Neugier wecken oder Orientierung geben. Wichtig finden wir aber auch die Ästhetik, denn natürlich fühle mich in einem schönen Umfeld mit Kunst viel wohler als in einer hässlichen Umgebung. Zunächst sollte Kunst hier Ruhe und Offenheit ausstrahlen, ohne langweilig zu wirken. Abstrakte Arbeiten mit klaren Farbflächen oder sanften Übergängen wirken oft angenehm, weil sie nicht sofort alles preisgeben – der Blick kann kurz verweilen. Aber auch Fotografien mit Landschaftsbezug funktionieren wunderbar: Etwa eine weite Himmelsaufnahme oder ein Detail aus der Natur, das man auf den ersten Blick vielleicht gar nicht erkennt. Wichtig ist, dass die Kunst atmen darf: Lieber ein paar ausgewählte Werke mit Wirkung als zu viele Bilder nebeneinander.
Eher Fotos oder Gemälde? Abstrakt oder realistisch?
Kudlacek: Es gibt kein „Richtig“ oder „Falsch“ – entscheidend ist die Gesamtstimmung, die man im Sinn hat. Abstrakte Gemälde bringen Farbe, Bewegung und Tiefe in den Raum. Sie können – je nach Tonalität – Ruhe, Energie oder sogar Optimismus vermitteln. Fotografien wirken oft moderner und klarer; sie eignen sich besonders gut, wenn das Praxisdesign puristisch oder architektonisch geprägt ist. Auch realistische Motive dürfen ihren Platz haben – etwa poetische Landschaften, Wasseroberflächen oder Pflanzenstrukturen. Wichtig ist, dass das Werk nicht belehrt, sondern begleitet wird. Kunst im medizinischen Umfeld sollte den Blick öffnen, nicht verengen. Manchmal entsteht die schönste Wirkung, wenn man beides kombiniert: Eine Serie leuchtender abstrakter Werke im Empfangsbereich, dazu ruhige Fotografien in den Behandlungsräumen – so bleibt die Praxis lebendig und harmonisch zugleich.
Eignet sich ein Stil oder eine Richtung besonders zur Beruhigung ängstlicher Patientinnen und Patienten?
Kudlacek: Ja, aber nicht im Sinne einer strengen Regel – eher als eine feine Balance zwischen Farbe, Form und Stimmung. Beruhigend wirkt, was Weite, Licht und Natürlichkeit vermittelt: zarte Farbverläufe, fließende Formen, warme Töne. Auch Kunst mit Struktur, aber ohne zu viel Detail, hilft dem Auge, einen Ruhepunkt zu finden. Naturmotive, etwa Wasseroberflächen, Wolken oder organische Formen, sind ideal, weil sie etwas Vertrautes und zugleich Offenes haben. Auch Kunst mit Humor oder poetischem Witz kann entspannen – sie schafft Leichtigkeit, wo oft Anspannung herrscht. Entscheidend ist: Die Kunst sollte Vertrauen ausstrahlen. Ein Werk, das die eigene Haltung widerspiegelt – freundlich, offen, präzise – wirkt auf Patienten genauso beruhigend wie auf das Team.
Was kann man tun, damit Kunst zum verbindenden Element wird, das die Räume zusammenhält?
Shah: Kunst ist wie eine visuelle Sprache und kann dadurch Räume auch miteinander verbinden. Wenn man sie bewusst einsetzt, kann sie den roten Faden im gesamten Konzept bilden. Das gelingt durch:
eine wiederkehrende Farbwelt,
ähnliche Formate oder Rahmungen oder
ein gemeinsames Thema – etwa Natur, Bewegung, Struktur oder Licht.
Auch eine kuratierte Hängung trägt dazu bei: ein rhythmischer Wechsel aus großen und kleinen Formaten, Ruhepunkte und gezielte Akzente. So wird die Kunst nicht zum einzelnen „Bild an der Wand“, sondern Teil des architektonischen und emotionalen Gefüges der Praxis.
Und wie integriere ich die Kunst in mein Corporate Design?
Shah: Kunst und Corporate Design müssen sich nicht gleichen, aber sie sollten miteinander sprechen. Man kann Kontraste bewusst einsetzen – ein warmer Akzent in einem ansonsten klaren Umfeld wirkt einladend. Auch die Materialien spielen eine Rolle: Aluminiumrahmen, Holz oder Acryl können das Erscheinungsbild einer Praxis harmonisch ergänzen oder bewusst brechen. Letztlich gibt Kunst die Haltung des Unternehmens wieder: Eine Praxis, die sorgfältig kuratiert, vermittelt Wertschätzung – für Ästhetik, für Details und für ihre Patienten.
Zeigen Sie uns Ihre Praxiskunst!
Sie haben auch Kunst an der Praxiswand, zeigen Skulpturen im Wartezimmer oder präsentieren Installationen im Außenbereich? Dann lassen Sie doch Ihre Kolleginnen und Kollegen daran teilhaben und schicken Sie uns Fotos an zm@zm-online.de. Wir stellen Ihre Praxiskunst in den nächsten Ausgaben vor!
Wie finde ich überhaupt Kunst, die mir gefällt? Wie informiere ich mich über den Markt?
Kudlacek: Galerien, Kunstmessen oder offene Ateliers sind wunderbare Orte, um ein Gefühl für den eigenen Geschmack zu entwickeln. Viele Galerien – auch wir bei BBA – beraten Praxen individuell, stellen Künstlerinnen und Künstler vor oder ermöglichen Kunstvermietung, um Werke im Raum zu testen. Wenn man selbst erst anfängt, dann nicht schüchtern sein, sondern einfach eintreten oder anrufen und um Rat fragen! Online-Plattformen können inspirieren, aber der direkte Kontakt zur Kunst – das Original sehen, die Textur, die Farbe – ist unersetzlich. Mit der Zeit entsteht so eine persönliche Sammlung, die nicht nur Wände schmückt, sondern die Identität der Praxis stärkt.
Darf ich alles einfach aufhängen oder gibt es rechtliche Auflagen für halböffentliche Räume wie Zahnarztpraxen?
Shah: Kunst kann übrigens als Betriebsausgabe gelten, wenn sie repräsentativen Charakter hat – das lohnt sich zu prüfen. Ansonsten gilt: Kunst in Praxen ist ausdrücklich erlaubt – und oft ein Gewinn für alle Beteiligten. Dabei sollte man auch wissen: Beim Kauf eines Gemäldes oder einer handgefertigten Skulptur beträgt die Mehrwertsteuer in Deutschland 7 Prozent, für einen Druck oder ein reproduzierbares Werk dagegen 19 Prozent.
Welche Rolle spielen Aufhängung und Rahmung?
Kudlacek: Eine sehr große! Ein Kunstwerk ist ohne Rahmen oft nicht vollendet – der Rahmen gibt ihm Halt, Tiefe und Kontext. Er verbindet das Werk mit dem Raum, betont Farben oder Linien und schützt zugleich das Material. Aber oft steht und fällt ein Kunstwerk auch mit der Rahmung. Das ist ein wenig so wie bei Kleidung …
BBA Preuẞischblau
Renata Kudlacek und Vishal Shah präsentieren in ihrer ausgezeichneten BBA Gallery in Berlin-Mitte zeitgenössische Kunst aus aller Welt. Der Name BBA steht dabei für Berlin Blue Art und ist inspiriert vom Pigment Berliner Blau (Preußischblau).
Und was wir wirklich empfehlen würden: Trauen Sie sich, einen Nagel oder eine Schraube in die Hand zu nehmen und das Bild auch wirklich an die Wand zu hängen! Nur dann entsteht der Eindruck, dass es wirklich zum Raum dazu gehört! Auch die Hängung ist entscheidend: Die richtige Höhe (meist Augenhöhe), gutes Licht und ausreichend Abstand schaffen Ruhe. Ein durchdachtes Lichtkonzept – am besten mit blendfreier, neutralweißer Beleuchtung – lässt Kunst leben. Gerade in einer Zahnarztpraxis, wo jedes Detail zählt, zeigt sich hier Professionalität: Eine sorgfältig gehängte Arbeit signalisiert denselben Anspruch, den man auch in der Behandlung erwartet.
Das Gespräch führte Claudia Kluckhuhn.




