Medizin

20 Jahre nach dem HIV-Skandal

ck/dpa
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Die Gefahr, sich bei einer Bluttransfusion mit HIV zu infizieren, ist verschwindend gering. Das war nicht immer so: Als noch wenig über das Virus bekannt war, starben Hunderte durch verseuchte Blutkonserven. Was seither geschehen ist, erklären zwei Experten vom Paul-Ehrlich-Institut.

Vor 20 Jahren, am 6. Oktober 1993, versetzte der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) den Chef des Bundesgesundheitsamtes und den Leiter der Gesundheitsabteilung im Ministerium in den Ruhestand.

Grund waren die Informationspannen beim Umgang mit HIV-belasteten Blutkonserven. Tausende Patienten wurden Opfer des "größten Pharmaskandals seit Contergan", wie es damals hieß. Die Behörde im hessischen Langen ist für die Sicherheit von Impfstoffen und biomedizinischen Arzneimitteln verantwortlich - und damit auch für Blutprodukte.

Was ist damals schiefgelaufen und wer war schuld daran? 

Prof. Rainer Seitz, Abteilungsleiter für Hämatologie und Transfusionsmedizin: Das ist eine ganz schwierige Frage. Auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestages hat versucht, sie zu klären. Das Problem war, dass Aids damals eine völlig unbekannte Erkrankung mit einem neuartigen Erreger war und es eine ganze Weile gedauert hat, bis man die Zusammenhänge begriffen hat. Der Untersuchungsbericht kam zu dem Ergebnis, dass es Fehlverhalten bei allen Beteiligten gab: Ärzten, Pharmaindustrie, Behörden. 

Wie viele Blutkonserven waren verunreinigt und wie viele Menschen wurden dadurch infiziert? 

Seitz: Die Zahl der verunreinigten Blutkonserven ist nirgendwo erfasst. Was man in etwa sagen kann, ist die Zahl der infizierten Patienten. Am besten erfasst ist sie bei Blutern, die lebenslang auf die Gabe von Gerinnungsfaktoren angewiesen sind. Laut einer Todesursachen-Statistik von 1990 waren von 2.476 erfassten Patienten 1.172 HIV-infiziert. 191 waren damals bereits an Aids gestorben. 

Was ist seither geschehen, um Blutprodukte sicherer zu machen? 

Präsident Prof. Klaus Cichutek: Da hat sich sehr viel getan: Behörden können leichter eingreifen. Wir haben eine staatliche Chargen-Prüfung eingeführt. Seit 2004 kann das HI-Virus mittels PCR (Polymerase Kettenreaktion) direkt nachgewiesen werden. Dann hat man die weißen Blutkörperchen, die das Virus bevorzugt tragen, reduziert. Inzwischen haben wir die Untersuchungsmethoden so weiterentwickelt, dass wir auch neue HIV-Varianten erkennen können. 

Wie sicher sind Blutkonserven heute? 

Cichutek: Die Sicherheit ist heute ausgezeichnet. Bei Plasmaprodukten ist es seit 20 Jahren nicht mehr zu dokumentierten Infektionen gekommen. Bei Blutkonserven gab es nur ganz wenige Einzelfälle: In den letzten zehn Jahren sind uns zwei HIV-Übertragungen gemeldet worden - bei geschätzten 7,5 Millionen Bluttransfusionen pro Jahr. 

Worin besteht das Restrisiko?  

Cichutek: Es gibt eine sogenannte Fensterperiode, in der ein Spender infiziert sein kann, ohne dass die jetzigen Untersuchungsmethoden in der Lage sind, das nachzuweisen. Das sind also ganz seltene Zufälle. Heute geht man bei HIV von einem Restrisiko von eins zu 4 bis eins zu 16 Millionen aus. 

Es kann ja nicht nur HIV übertragen werden - wie sieht es mit anderen Krankheiten aus? 

Cichutek: Wir haben Maßnahmen gegen alle Erreger ergriffen, die mit Blut übertragen werden können, zum Beispiel das Hepatitis B- und C-Virus. Man muss sich aber im Klaren sein, dass weltweit immer neue Erreger entstehen oder von Tieren auf Menschen übertragen werden. Wir  beschäftigen uns schon mit ihnen, wenn sie Deutschland epidemiologisch noch gar keine Rolle spielen. 

Wie steht es um die Sicherheit von Blutkonserven in anderen Ländern? 

Seitz: In weniger industrialisierten Ländern gibt es sicher viele Defizite. Man kann aber davon ausgehen, dass - bis auf wenige Ausnahmen, wo seltene Blutgruppen in Deutschland nicht vorrätig sind - nur in Deutschland gespendete Bluttransfusionen verabreicht werden. Anders ist es bei Hämophilie-Produkten [aus Plasma gewonnene Gerinnungsfaktoren]: Hier bekommen wir auch Produkte aus anderen Ländern, die aber alle der Chargenprüfung unterliegen.

Ihr gemeinsames Fazit: "Die Wachsamkeit ist aufgrund dieser schmerzhaften Erfahrungen sehr hoch. Wir dürfen uns aber auch nicht zurücklehnen und in der Wachsamkeit nachlassen." 

von Sandra Traune

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