Assistierter Suizid: Ärztemehrheit gegen Verbot
Die Wissenschaftler des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum unter Leitung von PD Dr. Jan Schildmann kommen außerdem zu dem Ergebnis, dass die ärztlich assistierte Selbsttötung in der Praxis sehr selten ist. Häufig werden in der letzten Lebensphase Maßnahmen zur Symptomlinderung und zur Begrenzung medizinischer Interventionen durchgeführt.
Insgesamt 40 Prozent der 734 befragten Ärztinnen und Ärzte können sich vorstellen, unter bestimmten Bedingungen ärztliche Assistenz zur Selbsttötung zu leisten, während 42 Prozent sich das nicht vorstellen können.
In der Praxis ist eine ärztlich assistierte Selbsttötung, bei der der Patient die letzte Handlung durchführt, selten. Im Rahmen der Studie wurde nur ein Fall (0,3 Prozent) berichtet. Ein berufsrechtliches Verbot der ärztlich assistierten Selbsttötung, wie es vom Vorstand der Bundesärztekammer unterstützt wird, befürworten 25 Prozent der Befragten, 34 Prozent lehnen es ab, und 41 Prozent sind unentschieden.
Ein Wertepluralismus auch innerhalb der Ärzteschaft
„Das vom Vorstand der Bundesärztekammer unterstützte berufsrechtliche Verbot wird nur von einer Minderheit der Ärzte befürwortet“, kommentiert Studienleiter Schildmann das Ergebnis. „Innerhalb der Ärzteschaft gibt es, wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, unterschiedliche Werthaltungen zu kontroversen ethischen Themen. Dieser Wertepluralismus kann nicht durch Mehrheitsentscheidungen geregelt werden“, ergänzt Jochen Vollmann, Leiter des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der RUB.
Nur wenige Fälle aktiver Sterbehilfe
403 der befragten Ärzte berichteten, dass sie mindestens einen erwachsenen Patienten betreut hatten, der innerhalb der letzten zwölf Monate gestorben war. Bei 87 Prozent dieser Fälle wurden symptomlindernde Maßnahmen durchgeführt. Bei etwas mehr als der Hälfte der Patienten (51 Prozent) wurde auf eine medizinische Maßnahme verzichtet (sogenannte passive Sterbehilfe) und immerhin 20 Prozent der befragten Ärzte berichteten, dass mit diesem Verzicht eine Verkürzung der Lebenszeit beabsichtigt gewesen war.
„Entscheidungen über die Durchführung beziehungsweise die Begrenzung medizinischer Maßnahmen sind in der klinischen Praxis nicht nur häufig, sondern werfen vielfach auch ethisch relevante Fragen auf“, erläutert Schildmann die Ergebnisse. Die sogenannte aktive Sterbehilfe, also die - strafrechtlich verbotene - Verabreichung einer Substanz mit dem Ziel der Tötung des Patienten wurde in zwei Fällen angegeben (0,6 Prozent).
Unterstützung von nur fünf Landesärztekammern
Die Bochumer Forscher konnten die Untersuchung mit Unterstützung von nur fünf der 17 Landesärztekammern durchführen. „Die fehlende Kooperation der Mehrheit der Landesärztekammern ist sehr bedauerlich und behindert die wissenschaftliche Forschung in diesem wichtigen Bereich“, kritisiert Vollmann. „Gerade in ethisch und gesellschaftlich kontroversen Fragen wie der Handlungspraxis am Lebensende können empirische Forschungsergebnisse einen wichtigen Beitrag zu einer informierten ethischen und politischen Diskussion leisten“, bekräftigt Schildmann.
Die empirische Untersuchung ist Bestandteil klinisch-ethischer Forschungsvorhaben im Rahmen der durch das NRW-Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung geförderten NRW-Nachwuchsforschergruppe „Medizinethik am Lebensende: Norm und Empirie“ (Leiter: PD Dr. med. Jan Schildmann, M.A.).
Schildmann J, Dahmen B, Vollmann J.: Ärztliche Handlungspraxis am Lebensende. Ergebnisse einer Querschnittsumfrage unter Ärzten in Deutschland. Deutsche Medizinische Wochenschrift. DOI 10.1055/s-0034-1387410