Bei der Digitalisierung liegt Deutschland weit zurück
Das gestern vorgestellte neue Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hebt den erheblichen Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens hervor. Im internationalen Vergleich liege das Land weit hinter anderen europäischen Ländern zurück. Gerade die aktuelle Corona-Krise habe schonungslos aufgezeigt, dass das deutsche Gesundheitssystem massive Defizite aufweise, betonten die Experten anlässlich der Übergabe an die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).
Vielzahl von Akteuren behindert die Digitalisierung
Große Innovations- und Wertschöpfungspotenziale, die mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens verbunden seien, würden in Deutschland bisher verschenkt, kritisieren sie. Die Struktur des Gesundheitssystems in Deutschland stelle ein zentrales Hemmnis für die Digitalisierung.
„Die Vielzahl von Akteuren mit verteilten Verantwortlichkeiten behindert die Digitalisierung im Gesundheitswesen ungemein“, erklärte Prof. Dr. Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der Expertenkommission. Zudem erschwere die bisher noch geringe Akzeptanz bei Leistungserbringern die flächendeckende Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen.
Cantner: „Bei Gesundheitsdaten besteht, mehr als in anderen Bereichen, ein Spannungsverhältnis zwischen IT-Sicherheit und Datenschutz auf der einen und den Potenzialen der Datennutzung auf der anderen Seite.“ Innovationen im Bereich der personalisierten Medizin und weitreichende Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung würden so ausgebremst, sagte er.
Insbesondere in der zunehmende Verfügbarbarkeit von Gesundheitsdaten in Verbindung mit neuen digitalen Analyseverfahren sehen die Experten laut Gutachten Möglichkeiten für eine stärker personalisierte Diagnostik und Therapie. Um bestehende Hemmnisse abzubauen und die mit der Digitalisierung verbundenen Innovationspotenziale heben zu können, empfiehlt die Expertenkommission folgende Maßnahmen:
Die im Koalitionsvertrag angekündigte Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitssystem sollte rasch entwickelt und umgesetzt werden. Dabei sollten alle relevanten Stakeholder einbezogen werden. Für die Umsetzung sollte eine koordinierende Stelle mit möglichst weitreichenden Durchsetzungskompetenzen geschaffen oder beauftragt werden.
Die Kommission spricht sich dafür aus, der Etablierung interoperabler und internationaler Standards im Rahmen der Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitssystem ausreichend Raum zu geben.
Eine gemäß Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) konforme wissenschaftliche Nutzung von Gesundheitsdaten sollte für Forschende so gestaltet werden, dass der administrative Aufwand möglichst gering ist.
Allen Versicherten soll eine DSGVO-konforme elektronische Patientenakte (ePA) per Opt-out zur Verfügung gestellt werden soll. Um die mit den ePA-Daten verbundenen Potenziale heben zu können, sollte eine Freigabe der Daten – insbesondere für Forschungszwecke – möglichst niedrigschwellig ausgestaltet werden.
Um die Möglichkeiten der Telemedizin stärker zu nutzen, seien ausreichende finanzielle Anreize für die Leistungserbringer erforderlich, so die Gutachter.
Die Anbieter von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGA) müssten im Rahmen des Zulassungsprozesses unter anderem Nachweise über die medizinische Evidenz darlegen.
Nicht zuletzt verweisen die Experten auf ganz grundsätzliche allgemeine Digitalisierungshemmnisse, die auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens behindern. Hierzu zähle eine unzureichend ausgebaute digitale Infrastruktur sowie auch mangelnde digitale Kompetenzen der Beschäftigten. Die Expertenkommission mahnt deshalb einen raschen Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Modernisierung der Ausbildung in den Gesundheitsberufen an. Dies könne die digitale Transformation im Gesundheitswesen maßgeblich unterstützen, sagen sie.