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Interview mit Prof. Dr. Roland Frankenberger zur veränderten ästhetischen Erwartungshaltung

„Die Pandemie war ein Katalysator in negativer Hinsicht“

mg
Gesellschaft
In seiner Praxis bemerkt auch Prof. Dr. Roland Frankenberger, wie TV- und Social-Media-Formate die Erwartungshaltung der Patienten verändern. Hier benennt er falsche Vorbilder und warnt vor einem Rückfall in die „zahnmedizinische Steinzeit“.

Herr Prof. Frankenberger, welche Bedeutung hat die Körperdysmorphe Störung Ihrer Beobachtung nach in der Zahnmedizin? Studien weisen – je nach Erhebungszeitraum (vor oder nach der Pandemie) und Behandlungsanlass (Prothetik oder Kieferorthopädie) – Prävalenzen zwischen 4 und 34 Prozent aus.

Prof. Dr. Roland Frankenberger: Ich behandle jetzt seit 35 Jahren und da sind bestimmte klare Trends erkennbar. Natürlich hat sich das Interesse der Patienten bezüglich der ästhetischen Erscheinung ihrer Zähne im Verlauf dieser Dekaden deutlich verstärkt, das sehe ich aber gar nicht negativ. Es hatte aber einen großen Einfluss auf die Biomaterialien, Restaurationen mussten mehr und mehr unsichtbar sein – und wir konnten das auch gut bedienen.

Wissenschaftlich haben wir dazu auch Studien gemacht, zum Beispiel inwiefern sich der Konsum von TV-Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ auf das Verlangen nach Bleaching und Zahnästhetik auswirkt. Da fanden wir eine positive Korrelation. Das waren aber noch Daten vor der Pandemie, und wie Sie korrekt anmerken: Die Pandemie war ein Katalysator in negativer Hinsicht.

Was heute zahlreiche Influencer ungefiltert an zahnmedizinischen Unwahrheiten über Riesenverteiler von sich geben, ist sehr oft haarsträubend. In der Zahnmedizin haben wir zwei Möglichkeiten: Wir biedern uns an und gehen diese Wege mit – das wäre der Untergang der akademischen Zahnmedizin und ein Rückfall in die zahnmedizinische Steinzeit. Oder wir besinnen uns auf die Berufsethik und behandeln weiter im Sinne des Hippokratischen Eids.

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Prof. Dr. med. dent. Roland Frankenberger, Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung der Philipps-Universität Marburg

Manche Forschende schlagen vor, dass Zahnarztpraxen standardisierte Fragebögen in die Anamnese implementieren, um eine Übertherapie, aber auch um Auseinandersetzungen mit chronisch unzufriedenen Patienten zu vermeiden. Was halten Sie davon?

Solche Fragebögen ersetzen kein Aufklärungsgespräch. Ich habe bislang solche Tendenzen nur in der direkten Kommunikation mit dem Patienten erfassen können. Daher bin ich da eher skeptisch.

Beobachten Sie, dass Social Media die Erwartungshaltung der Patientenschaft an den ästhetischen Wert der Behandlung verändert hat?

Das ist sicher so. Sehen Sie sich die Bildschirmzeiten junger Patientinnen und Patienten heute an! Ich sage immer, wenn da nur ein Promille der Falschinformationen durchdringt, ist das bereits eine Katastrophe. So wird zum Beispiel ganz oft von Veneers gesprochen, aber dann werden tatsächlich meistens Kronen gemacht. Es gibt ja auch Studien, die belegen, dass die Menschen, die in ihrer Pubertät noch keine Handys hatten (geboren vor 1996), wesentlich weniger BDD und auch weniger psychische Probleme haben. Vom Online-Mobbing ganz abgesehen.

20 Prozent der unter 30-Jährigen konsumieren heute regulär Antidepressiva, das hat auch mit Social Media zu tun. Wieviel Prozent der Teilnehmer von Reality-Shows haben mehrere chirurgische Eingriffe bereits in sehr jungen Jahren (< 20) und/oder sämtliche Zähne mit schneeweißen Kronen „versorgt“? Allesamt medizinisch nicht indizierte Behandlungen mit potenziellen Folgekosten, die eigentlich einer Versicherung für die Schäden nicht indizierter Behandlungen bedürfen. Und diese „Vorbilder“ haben leider einen sehr großen Einfluss auf die jungen Menschen.

Wie sollte Zahnärztinnen und Zahnärzte mit diesem Patientenkreis umgehen?

Eine gute Aufklärung ist die beste Medizin. Viele Junge wissen ja gar nicht, mit welch schonenden Methoden wir heute die Ästhetik verbessern können – wenn sie überhaupt verbessert werden kann beziehungsweise muss. Gerade die Zusammenarbeit mit der Kieferorthopädie reduziert die dann noch erforderlichen Korrekturen auf ein Mindestmaß.

Wo ist für Sie der Punkt erreicht, einen Behandlungswunsch abzulehnen?

Es sind ja oft sehr junge Menschen, bei denen das Wachstum noch gar nicht abgeschlossen ist, wenn wir heute in der ästhetischen Zone das Wachstum bis 30 Jahre oder darüber beobachten. Zu früh zu invasiv zu behandeln ist in jedem Fach in der überwiegenden Zahl der Fälle einfach keine gute Idee. Ich schicke Patienten regelmäßig wieder weg, aber ich habe auch keinen wirtschaftlichen Druck in meiner Klinik. Trotzdem erlebe ich es häufig, dass zuvor weggeschickte Patientinnen und Patienten danach wiederkommen, weil sie das Gefühl haben, bei uns besser aufgehoben zu sein als in „Esthetic Lounges“ oder ähnlichen Etablissements.

Das Gespräch führte Marius Gießmann.

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