Studie zur Wahrnehmung von Einstellungen

Erinnerungen an die Pandemie sind meist verzerrt

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Gesellschaft
Je nachdem, wie sehr sich Geimpfte beziehungsweise Ungeimpfte mit ihrem Impfstatus identifizieren, sind die Erinnerungen an Corona in unterschiedliche Richtungen verzerrt. Dies könnte die Vorbereitung auf künftige Krisen erschweren.

Ein internationales Forschungsteam aus Deutschland, Österreich und den USA hat untersucht, wie Wahrnehmungen und Verhaltensweisen während der Pandemie künftige Einstellungen prägen könnten und wie die Erinnerung an Empfindungen während Corona durch Wahrnehmungen der aktuellen Situation verzerrt sein können. Dazu wurden 10.776 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer aus insgesant 11 Ländern in vier Studien befragt – erstmals im Jahr 2020 zu Beginn der Coronapandemie und dann nochmals um den Jahreswechsel 2022/2023. Die Studie wurde jetzt im Fachmagazin Nature veröffentlicht.

„In der zweiten Befragung wurden sie auch gebeten, sich an ihre Wahrnehmungen und Verhaltensweisen im ersten Jahr der Pandemie zu erinnern. So konnten ihre Erinnerungen mit den tatsächlich gegebenen Antworten verglichen werden“, erklärt einer der Erstautoren, Philipp Sprengholz von der Universität Bamberg. Die Forschenden konnten so ermitteln, inwieweit die Erinnerungen an die eigenen Angaben aus der Vergangenheit von aktuellen Wahrnehmungen und Verhaltensweisen abhängig waren. Insbesondere interessierte die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie unterschiedliche Einstellungen die Verzerrung der Erinnerungen beeinflussen. Dafür betrachteten sie vor allem, ob die Befragten gegen Corona geimpft oder ungeimpft waren.

Geimpfte überschätzen und Ungeimpfte unterschätzen ihr damals wahrgenommenes Risiko einer Infektion

Das Ergebnis: Je nachdem, wie sehr sich Geimpfte beziehungsweise Ungeimpfte mit ihrem Impfstatus identifizieren, sind die Erinnerungen in unterschiedliche Richtungen verzerrt. So überschätzten beispielsweise Geimpfte ihr damals wahrgenommenes Risiko einer Infektion und ihr Vertrauen in die Wissenschaft, während beides von Ungeimpften im Rückblick tendenziell unterschätzt wurde.

Weiterhin zeigen die Studienergebnisse, dass bei einer stärkeren Unterschätzung der damaligen Risikowahrnehmungen, Schutzverhalten und Vertrauen in die Regierung und Wissenschaft, politische Maßnahmen rückblickend als weniger angemessen wahrgenommen wurden.

Die verzerrten Erinnerungen erschweren die Vorbereitung auf kommende Krisen

„Die Ergebnisse zeigen, dass es systematische Unterschiede darin gibt, wie sich Menschen an die Pandemie erinnern, obwohl sich ihre damaligen Einschätzungen oftmals gar nicht so stark voneinander unterschieden“, betont Studienautor Dr. Luca Henkel von der University of Chicago. Die verzerrte Erinnerung führe zu einer polarisierten Wahrnehmung der Vergangenheit, die das Potenzial hat, die aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Polarisierung aufrechtzuerhalten und die Vorbereitung auf kommende Krisen zu behindern.

Prof. Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt ergänzt: „In Zukunft müssen wir über die kurzfristigen Effekte politischer Maßnahmen zur Eindämmung von Pandemien hinausblicken und auch langfristige Folgen für den sozialen Zusammenhalt berücksichtigen“. Weitere Studien sollen nun untersuchen, wie sich die Verzerrung von Erinnerungen und die gesellschaftliche Polarisierung im Laufe gegenseitig beeinflussen und wie diese Dynamik in verschiedenen Ländern variiert. Dabei sollen auch andere Krisen wie etwa die Klimakrise in den Blick genommen werden.

Philipp Sprengholz, Luca Henkel, Robert Böhm, Cornelia Betsch. Historical narratives about the COVID-19 pandemic are motivationally biased. Nature.
 https://www.nature.com/articles/s41586-023-06674-5

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