Erste Konsequenzen aus Organspende-Skandal in Münchnen
Nach dem Verdacht auf Manipulation bei der Organtransplantation im Münchner Universitätsklinikum Rechts der Isar wird dieser Bereich völlig neu organisiert. Unter der Leitung von Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) beschloss der Aufsichtsrat des Klinikums am Samstag, dass dort ein selbstständiges Zentrum für Transplantationsmedizin errichtet wird.
Bisher lag die Verantwortung bei der Klinik für Chirurgie sowie der Medizinischen Klinik II. Der Aufsichtsrat habe dort jedoch "organisatorische und kommunikative Defizite im Bereich der Lebertransplantation" festgestellt und ziehe mit der Neuaufstellung daraus die Konsequenzen, sagte Heubisch nach der außerordentlichen Sitzung des Gremiums.
Um weiterhin eine lückenlose Versorgung der Patienten sicherzustellen, bestellte der Aufsichtsrat mit sofortiger Wirkung Professor Eberhard Kochs - den Direktor der Klinik für Anästesiologie - zum kommissarischen Leiter des neuen Zentrums. "Es soll zeitnah eine Leitung bestellt werden", sagte Heubisch. Erste Gespräche mit einer externen Persönlichkeit würden bereits geführt.
Ausmaß der Fälschungen ist weiter unklar
In dem Krankenhaus sollen mindestens in einem Fall Laborwerte gefälscht worden sein, um dem Patienten schneller ein Spenderorgan zu verschaffen. Das Krankenhaus hat den Manipulationsverdacht bei der Vergabe von Spenderorganen zwar inzwischen bestätigt, das Ausmaß jedoch noch als unklar bezeichnet. Die Bundesärztekammer und die Staatsanwaltschaft ermitteln in mehreren Fällen.
Das Klinikum Rechts der Isar gehört zur Technischen Universität München (TUM). In den vergangenen Tagen waren immer neue Hinweise auf bewusste Manipulationen an die Öffentlichkeit gelangt. Unter anderem soll das Krankenhaus alkoholkranke Patienten auf die Warteliste für eine Lebertransplantation genommen haben, obwohl sie eigentlich erst sechs Monate völlig abstinent sein müssen, bevor sie ein Anrecht auf eine Spenderleber haben. Auch ein todkranker Patient soll noch eine neue Leber erhalten haben, obwohl er zu krank für die Operation gewesen sein soll.
Deutsche Hospiz Stiftung fordert Schließung der Klinik
Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag) soll ein leitender Arzt zwar bereits 2010 Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gehabt, dies aber verschwiegen haben. Ein Gedächtnisprotokoll, das eine Organ-Schieberei entlarvt habe, habe er weggeschlossen. Heubisch äußerte sich dazu nicht.
Einzelheiten aus den sechsstündigen Beratungen, bei denen zehn Ärzte der Klinik angehört wurden, wolle man nicht bekanntgeben, sagte er. Man müsse erst die Untersuchungen von Staatsanwaltschaft und Bundesärztekammer abwarten. Je nach deren Ergebnissen behalte sich der Aufsichtsrat aber weitere Schritte vor. Der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, forderte, das Zentrum Rechts der Isar gleich ganz zu schließen.
"Immer noch wollen Landespolitiker der Öffentlichkeit weiß machen, dass die Anzahl der Transplantationszentren wichtig für die Versorgung der Schwerstkranken ist", meinte er. "Doch es ist genau umgekehrt. Die Hälfte würde ausreichen, um die Empfänger gut zu versorgen." Mit bundesweit 25 Einrichtungen könnten alle Patienten gut versorgt werden.
Unabhängig von der Debatte um das Münchner Klinikum nimmt eine ärztliche Expertenkommission, deren Einberufung bereits im August beschlossen worden war, am 26. Oktober ihre Arbeit auf. Sie soll Organisation und Abläufe in allen bayerischen Transplantationszentren auf den Prüfstand nehmen. Leiter der Kommission ist nach Angaben einer Ministeriumssprecherin der Wiener Chirurgie-Professor Ferdinand Mühlbacher.
"Spiegel" berichtet von staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung
Am Montag erklärte Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP), dass es derzeit keine weiteren Verdachtsfälle im Freistaat gebe. "Wir haben alle Zentren abgefragt, derzeit - ich möchte ausdrücklich sagen derzeit -, sind keine neuen Erkenntnisse bekannt", sagte er dem Radiosender "Bayern 2".
Der "Spiegel" berichtete derweil über staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Lebertransplanteure der Uniklinik. Vier Chirurgen stünden unter dem Verdacht der fahrlässigen Tötung wegen eines Kunstfehlers. Ein 68 Jahre alter, an Hepatitis erkrankter Mann, der eine Spenderleber bekommen sollte, war auf dem Operationstisch gestorben - womöglich, weil die Ärzte seine Herzerkrankung übersahen. Die Münchner Staatsanwaltschaft bestätigte den Fall; ein Sprecher betonte aber, die Ermittlungen hätten mit den Überprüfungen im Organspende-Skandal nichts zu tun.
In der vergangenen Woche waren auch Spekulationen aufgekommen, wonach das Klinikum Rechts der Isar unter enormem Druck stand. Im Jahr 2006 hatte der Wissenschaftsrat die geringe Zahl der am Klinikum verpflanzten Lebern kritisiert. Danach stieg die Zahl der Lebertransplantationen stetig an.