Fahrradsturz mit Folgen

Felix Paulßen von Beck, Cristian Räder, Andreas Hammacher
Zahnmedizin
Dieser Fall ist ein Beispiel für eine fremdkörperinduzierte posttraumatische Wundheilungsstörung mit Fistelung nach extraoral. Und zeigt, wie wichtig die sorgfältige Anamnese ist.

Ein 70-jähriger Mann stellte sich mit einer Überweisung vom niedergelassenen HNO-Arzt aufgrund einer progredienten Schwellung im Bereich der linken Wange in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Malteser Krankenhaus St. Josefshospital in Krefeld vor. Anamnestisch berichtete der Patient über einen Fahrradsturz vor fünf Tagen, bei dem er in ein Gebüsch gefallen sei.

Da er sich bei dem Sturz bis auf eine kleine punktuell blutende Hautverletzung im Bereich der Oberlippe links keine größeren Verletzungen zugezogen hatte, schenkte er dem Vorfall vorerst keine weitere Beachtung. In den nächsten Tagen entwickelte sich daraus jedoch eine schmerzhafte Wangenschwellung links mit persistierendem Eiteraustritt aus der kleinen Wunde im Bereich der linken Oberlippe (Abbildung 1). Dies veranlasste ihn schließlich am fünften Tag nach dem Unfall einen HNO-Arzt aufzusuchen, der ihn zur Behandlung einer beginnenden Wangenphlegmone und zum Ausschluss einer Mittelgesichtsfraktur in unsere Klinik überwies.

Die klinische Untersuchung zeigte intraoral eine derbe, druckdolente, nicht verschiebliche, abgekapselte Schleimhautschwellung vestibulär regio 23 bis 27 (Abbildung 2) mit putridem Ausfluss aus einem Fistelgang nach extraoral im Bereich der Oberlippe links.

Klinisch bestand kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Fraktur im Gesichtsbereich, so dass auf eine radiologische Untersuchung verzichtet wurde. Therapeutisch erfolgte zunächst eine Erweiterung des Fistelgangs mit anschließender Wundspülung und Einlage einer Drainage.

Zusätzlich wurde der Patient in den folgenden drei Tagen mit einer oralen Antibiose versorgt sowie zur täglichen Wundspülung einbestellt. Nach dieser Behandlung waren die Beschwerden zunächst leicht regredient. Unter Fortführung der oralen Antibiotikagabe zeigte sich die Beschwerdesymptomatik jedoch persistent, so dass wir uns dazu entschlossen, eine Wundinspektion in Lokalanästhesie durchzuführen. Intraoral konnte dabei ein subcutan liegender harter Gegenstand palpiert werden. Die unmittelbar folgende Schleimhautinzision brachte einen Fremdkörper in Form eines 4,5 cm langen Aststücks (Abbildungen 3 und 4) zum Vorschein.

Die anschließende Spülung mit wiederholter Inspektion ergab kein weiteres Fremdkörpermaterial. Der Wundverschluss erfolgte mit Einlage einer Wunddrainage. Unter dieser Behandlung kam es zur Symptomregredienz mit vollständiger Wundheilung.

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Diskussion

Nach einem Unfall tief ins faziale Gewebe eingedrungene Fremdkörper in Form von Sandkörnern, Holzsplittern, Dornen oder Glasscherben sind für die Medizin und Zahnmedizin eine große Herausforderung. Häufig werden sie erst nach dem Einsatz bildgebender Verfahren oder mit dem Einsetzen einer Entzündungssymptomatik entdeckt [Rudagi et al., 2013].

Bis zu einem Drittel aller Fremdkörper werden initial nicht erkannt [Krimmel et al., 2001]. Eine genaue Anamneseerhebung mit körperlicher Untersuchung kann den Hinweis auf eine mögliche Perforation mit anschließendem Fremdkörperverbleib liefern. Nach einem wenige Tage andauernden symptomlosen Intervall können Krankheitszeichen, wie zum Beispiel Schmerzen, Schwellungen und Abszessbildungen, Hinweise auf im Wundbereich verbliebenes Fremdmaterial sein [Rudagi et al., 2013].

Die Diagnostik von verbliebenen Holzsplittern ist nicht immer einfach, da oftmals kleine unscheinbare Eintrittspforten vorliegen, die sich klinisch nur sehr schwer identifizieren lassen [Krimmel et al., 2001; Rudagi et al., 2013]. Weil Holz als organisches Material eine niedrige Dichte besitzt, ist es schwierig die Lage eines hölzernen Fremdkörpers auf konventionellen Röntgenaufnahmen auszumachen. Lediglich 15 Prozent solcher Fremdkörper werden dabei erkannt. Oft werden sie übersehen oder falsch interpretiert [Robinson et al., 1997].

Falls es die Wundlokalisation zulässt, sollte bei hölzernen Fremdkörpern als direktes und kostengünstiges bildgebendes Verfahren die Sonografie zum Einsatz kommen [Bradely et al., 1992; Oikarinen et al., 1993; Krimmel et al., 2001; Peterson et al., 2002; Ng et al., 2003].

Vor der operativen Fremdkörperentfernung ist die genaue Lokalisierung unerlässlich [Cameron and Phillips, 2006]. Abhängig vom Fremdkörpermaterial sollte dabei die richtige bildgebende Diagnostik gewählt werden. Oberflächliche Fremdkörper lassen sich gut mittels Sonografie darstellen. In der Tiefe verweilendes Fremdkörpermaterial lässt sich am besten computertomografisch detektieren.

Falls hierdurch hölzernes Material nicht sichtbar wird, empfiehlt sich die Magnetresonanztomografie [Bradely et al., 1992; Oikarinen et al., 1993; Krimmel et al., 2001; Peterson et al., 2002; Ng et al., 2003]. Im Falle metallischer Fremdkörper darf die Magnetresonanztomografie jedoch nicht eingesetzt werden, weil während der Untersuchung deren Lage verändert werden und somit eine Verletzungsgefahr besteht.

Klinisch unauffälliges Fremdkörpermaterial kann in situ belassen werden, sollte jedoch im Falle auftretender Komplikationen, insbesondere bei Infektionen, entfernt werden [Cameron and Phillips, 2006].

Falls es nicht möglich ist, das ganze Fremdkörpermaterial zu entfernen, sollten große, gut zu lokalisierende Fremdkörper entfernt werden, da sie zu Schmerzen, Sensibilitätsstörungen oder Deformitäten führen können. Hölzerne Fremdkörper sollten generell entfernt werden, weil ihr Verbleib persistierende Infektionen hervorrufen kann [Vikram et al., 2012].

Ebenfalls muss der Tetanusstatus des Patienten eruiert werden. Bei Bedarf ist es entsprechend der RKI-Richtlinien angebracht, zu impfen beziehungsweise nachzuimpfen. Eine in den Wundbereich eingebrachte Drainage gewährleistet postoperativ einen Abfluss von Entzündungssekret. Sollte es hierunter nicht zeitnah zu einer schnellen Wundheilung kommen, ist der Wundbereich erneut klinisch und gegebenenfalls radiologisch auf eventuelle zusätzlich verbliebene Fremdkörper zu untersuchen [Oikarinen et al., 1993; Krimmel et al., 2001; Peterson et al., 2002; Rudagi et al., 2013].

Fazit

Posttraumatisch in einer Wunde persistierendes Fremdkörpermaterial kann ein großes diagnostisches Problem darstellen. Im Falle persistierender Wunden muss bei Progredienz mit Ausbildung einer Entzündungssymptomatik an einen Fremdkörperverbleib gedacht werden.

Abhängig vom Fremdkörpermaterial sollte die entsprechende radiologische Untersuchung gewählt werden. Hölzerne Fremdkörper lassen sich oberflächlich gut mittels Sonografie sowie in der Tiefe mittels Magnetresonanztomografie darstellen. Dieser Fall zeigt, wie wichtig eine sorgfältig erhobene Anamnese zum Unfallhergang ist.

Felix Paulßen von Beck, Dr. Cristian Räder , Dr. Dr. hc. Andreas Hammacher,

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Malteser Krankenhaus St. JosefshospitalKurfürstenstr. 69, 47829 Krefeldmailto: Felix.Paulssen@malteser.org

Bradely M, Kadzombe E, Simms P, Eyes B. Percutaneous ultrasound guided extraction of non palpable soft tissue foreign bodies. Arch Emerg Med 1992; 9:181–184.

Cameron M, Phillips B. Snookered! Facial infection secondary to occult foreign body. Int J Oral Maxillofac Surg 2006; 35:373–375

Krimmel M, Cornelius CP, Stojadinovic S, Hoffmann J, Reineri S. Wooden foreign bodies in facial injury: a radiological pitfall. Int J Oral Maxillofac Surg 2001; 30:445–447.

Ng SY, Songra AK, Bradely PF. A new approach using intraoperative ultrasound imaging for the localization and removal of multiple foreign bodies in the neck. Int J Oral Maxillofac Surg 2003; 32:433–436.

Oikarinen KS, Nieminen TM, Makarainen H, Pyhtinen J. Visibility of foreign bodies in soft tissue in plain radiographs, computed tomography, magnetic resonance imaging, and ultrasound. An in vitro study. Int J Oral Maxillofac Surg 1993; 22: 119-124.

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Robinson PD, Rajayogeswaran V, orr R. Unlikely foreign bodies in unusual facial sites. Br J Oral Maxillofac Surg 1997; 35:36–39.

Rudagi BM, Halli R, Kini Y, Kharkhar V, Saluja H, Foreign Bodies in Facial Trauma-Report of 3 Cases, J. Maxillofac. Oral Surg. 2013; 12(2):210–213.

Vikram A, Mowar A, Kumar S. Wooden Foreign Body Embedded in the Zygomatic Region for 2 Years. J. Maxillofac. Oral Surg. 2012; 11(1):96–100. 

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