Studie der Universitäten Bielefeld und Köln

Gesundheitskompetenz von Migranten ist gar nicht so niedrig

pr
Gesellschaft
Entgegen der bislang vorherrschenden Einschätzung ist die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund ähnlich wie die der Gesamtbevölkerung in Deutschland, tendenziell sogar etwas besser. Das ergab eine neue Studie der Universitäten Bielefeld und Köln.

Erstmals untersuchten die Wissenschaftler die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund. Das für sie überraschende Ergebnis: Entgegen der bislang vorherrschenden Einschätzung fällt ihre Gesundheitskompetenz ähnlich aus wie die der Gesamtbevölkerung in Deutschland, tendenziell sogar etwas besser. Ihre Folgerung: Menschen mit Migrationshintergrund können mit Blick auf ihre Gesundheitskompetenz nicht pauschal als vulnerable Gruppe bezeichnet werden, sondern sollten differenziert betrachtet werden.

Für die Studie wurden die zwei größten Einwanderungsgruppen in Deutschland befragt: Menschen mit Wurzeln aus der Türkei und aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Gemeinsam haben sie einen Anteil von 30 Prozent an allen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Erstmals sei mit der Studie das Ausmaß, die Ursachen und die Konsequenzen der Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland detailliert erfasst worden, hebt Prof. Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld hervor, die die Studie gemeinsam mit Dr. Eva-Maria Berens leitet.

Die Studie zeigt, dass gut die Hälfte (52 Prozent) der untersuchten Personen mit ex-sowjetischem und türkischem Migrationshintergrund über eine geringe Gesundheitskompetenz verfügt; die andere Hälfte (48 Prozent) weist eine hohe Gesundheitskompetenz auf. Menschen mit Migrationshintergrund sind damit ähnlich aufgestellt wie die Allgemeinbevölkerung. Dies erklären die Forscherinnen mit der oft langjährigen Aufenthaltsdauer in Deutschland.

Die Gesundheitskompetenz bei Menschen mit Migrationshintergrund ist somit sozial ungleich verteilt. Ein niedriges Bildungsniveau, niedriger Sozialstatus, ein höheres Lebensalter und chronische Erkrankung gingen ähnlich wie in der Allgemeinbevölkerung auch mit einer geringeren Gesundheitskompetenz einher. Zudem seien eine eigene Migrationserfahrung und geringe Deutschkenntnisse Faktoren für eine geringe Gesundheitskompetenz, heißt es in der Untersuchung.

Die Studie analysiert überwiegend die Perspektive von Frauen der mittleren Generation mit türkisch- und russischsprachigem Migrationshintergrund.

Frauen wurden deshalb ausgewählt, weil sie eine besondere Rolle in der Familie als Gesundheitsmanagerin und dem dazu nötigen Umgang mit gesundheitsrelevanter Information spielen. Gefragt wurde in Interviews, (1) welches Verständnis die Frauen von Gesundheitskompetenz haben, (2) wie sich ihre Erfahrungen beim Suchen, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Informationen darstellen und (3) welche Informationsquellen sie wie nutzen beziehungsweise welche Wünsche sie an die Verbesserung von Gesundheitsinformationen für Menschen mit Migrationshintergrund haben.

Es zeigt sich, dass die befragten Frauen der mittleren Generation sehr versiert im Umgang mit Gesundheitsinformationen sind: Sie nutzen die unterschiedlichsten Informationsquellen – insbesondere digitale Informationsmedien – mehrgleisig und mehrsprachig. Gleichzeitig fühlen sie sich aber durch die Vielfalt überfordert und wünschen sich Orientierungshilfen. Vor allem für ältere Angehörige sehen sie einen großen Bedarf, deren Gesundheitskompetenz zu erhöhen und die Informationsvermittlung mehrsprachig, kultur- und migrationssensibel auszurichten.

Das Interesse von Menschen mit Migrationshintergrund an Gesundheitsinformationen ist laut der Studie groß. Ein großer Teil der Befragten nutze die Gesundheitsinformationen mehrsprachig, heißt es dort. Mehr als die Hälfte der ex-sowjetischen Befragten (64 Prozent) beziehe Gesundheitsinformationen auch oder ausschließlich auf Russisch.

Befragte mit türkischem Migrationshintergrund nutzten zu 45 Prozent auch Informationen auf Türkisch. Vor allem Menschen mit eigener Migrationserfahrung und geringen Deutschkenntnissen suchen häufiger nach Information in der Sprache ihres Herkunftslandes. Aber auch Befragte der zweiten Generation und mit guten Deutschkenntnissen machten durchaus davon Gebrauch.

Einen Unterschied zur Allgemeinbevölkerung konnte das Wissenschaftlerteam bei der Kommunikation mit Ärzte feststellen. Für Menschen mit Migrationshintergrund sei es gemäß der Studie besonders schwer, Ärzte zum Zuhören zu bringen, ohne unterbrochen zu werden. Etwa ein Drittel der ex-sowjetischen Befragten wie auch der Befragten mit türkischem Migrationshintergrund empfinde das laut Studie als schwierig. Dieser Wert sei deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Auch Fachbegriffe seien eine Hürde.

Um den Umgang mit Gesundheitsinformationen zu erleichtern, fordern die Autorinnen der Studie, dass besonders die Qualität und Zugänglichkeit von Gesundheitsinformationen verbessert werden müsse. Auch zielgruppenspezifische Maßnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz seien sehr wichtig.

Zur Studie

Adam Y, Carol S. Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund: Perspektive und Erfahrungen von türkisch- und russischsprachigen Frauen. Bielefeld: Univ. Bielefeld, Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung; 2020.

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