"Implant Files"

Immer mehr gefährliche Implantate und Prothesen verletzen oder töten Patienten

mth
NachrichtenZahnmedizin
Große Medienrecherchen offenbaren: Die Zahl nachgewiesener Probleme mit Medizinprodukten war 2017 so hoch wie nie zuvor, die Zahl der Verdachtsmeldungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht.

Den "Implant Files" zufolge gibt es nur in etwa 20 Prozent aller Länder weltweit öffentliche Datenbanken mit Informationen über Sicherheitswarnungen und Rückrufe von Medizinprodukten. Denn die Behörden überlassen es den Herstellern selbst, die Patienten zu informieren und weiteren Schaden zu verhindern. In den USA hat die Aufsichtsbehörde FDA seit 1976 nur zwei Produkte vom Markt genommen, in Deutschland haben die Behörden seit 2010 lediglich sechs Medizinprodukte per Anordnung zurückgerufen.

Über 14.000 Probleme, Verletzungen und Todesfälle in Deutschland

Den Recherchen zufolge wurden allein im Jahr 2017 bei uns insgesamt 14.034 Mal Probleme, sogar Verletzungen und Todesfälle, im Zusammenhang mit Medizinprodukten gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein, obwohl Hersteller, Ärzte und Krankenhäuser zur Meldung verpflichtet sind.

Wie hoch die Diskrepanz ist, zeigt laut Recherchen das Beispiel Brustimplantate: So wurden Frauen im vergangenen Jahr in deutschen Kliniken 3.170 Implantate allein deshalb herausoperiert, weil das Gewebe um die Silikonkissen schmerzhaft vernarbt war. Gemeldet wurden jedoch nur 141 Fälle. Ärzte und Kliniken würden regelmäßig auf ihre Meldeverpflichtung hingewiesen, zitiert die SZ das Bundesgesundheitsministerium.

Die Behörden überlassen es aber offenbar in der Regel den Herstellern selbst, fehlerhafte Produkte zurückzurufen oder Sicherheitswarnungen auszusprechen. Seit 2010 geschah dies pro Jahr der Veröffentlichung zufolge etwa tausend Mal, durchschnittlich rund dreimal pro Tag. Von den Behörden wurde ein Rückruf im gleichen Zeitraum offenbar nur sechs Mal angeordnet. Häufig würde bei fehlerhaften Produkten nichts unternommen: In der Hälfte der Fälle wurden zwischen 2005 und 2016 selbst bei Produkten der höchsten Risikostufe, zu denen Herzschrittmacher, Knieprothesen und Brustimplantate zählen, keinerlei Maßnahmen ergriffen.

Aus ihren Recherchen schließen die Autoren, dass Ärzte ihren Patienten regelmäßig Produkte implantieren, die kaum getestet wurden. Selbst das BMG ging demzufolge laut internen Unterlagen 2016 davon aus, dass es nur für eines von zehn Medizinprodukten der höchsten Risikostufe klinische Daten gibt.

Für Patienten könne das schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben, die allerdings häufig gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen, heißt es in den umfangreichen Berichten weiter. Indem sie Entschädigungszahlungen an eine Verschwiegenheitsverpflichtung koppeln, hindern Unternehmen betroffene Patienten daran, über ihren Fall zu reden.

Für nur ein von zehn Hochrisikoprodukten gibt es klinische Daten

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weiß zwar als zuständige Überwachungsbehörde, welche Produkte in den vergangenen Jahren zu den meisten Toten und Verletzten geführt haben - auf Anfrage des Recherche-Teams verweigerten jedoch sowohl BfArM als auch BMG Auskunft über die betroffenen Geräte und Prothesen: Dies seien vertrauliche Informationen. Eine öffentlich einsehbare Datenbank dazu gibt es weder auf Bundesebene noch bei der Europäischen Union.

Das Geschäft mit künstlichen Gelenken, Hörgeräten oder Schrittmachern wächst. Immer mehr Menschen bekommen solche Hilfsmittel, die Technik wird ausgefeilter, die Geräte werden kleiner, die Eingriffe unkomplizierter. Das BMG schätzt das jährliche Volumen des Weltmarkts auf rund 282 Milliarden Euro. Allein deutsche Unternehmen setzen damit rund 30 Milliarden Euro im Jahr um und beschäftigen 210.000 Menschen. Nach den USA und China ist Deutschland der drittgrößte Markt für Medizinprodukte.

Die Rechercheure der SZ und der anderen beteiligten Medien haben Schwachstellen im System "Implantat" zusammengetragen.

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