S3-Leitlinien-Update

Implantieren bei Diabetes mellitus

PD Dr. Dr. Hendrik Naujokat, FEBOMFS
,
Jörg Wiltfang
,
Dr. Juliane Wagner
Zahnmedizin
Was tun, wenn ein Patient mit Diabetes mellitus eine Versorgung mit Implantaten wünscht? Die Studienlage zur Implantation bei Diabetikern ist zwar umfangreich, allerdings nicht immer eindeutig. Die kürzlich aktualisierte S3-Leitlinie gibt jetzt konsentierte Empfehlungen.

Diabetes mellitus und Vorstufen davon stellen ein häufiges und zunehmendes Gesundheitsproblem [IDF Diabetes Atlas, 2021] mit weitreichenden Auswirkungen auf den gesamten Organismus dar [Abiko und Selimovic, 2010; Khader et al., 2006]. Der aktuelle Diabetesatlas zeigt, dass in Deutschland einer von zehn Erwachsenen im Alter von 20 bis 79 Jahren an einem Diabetes leidet. Damit gehört Deutschland europaweit zu den drei Ländern mit dem höchsten Anteil an Diabetikern [IDF Diabetes Atlas, 2021]. Etwa 90 Prozent davon sind Typ-2-­Diabetiker, etwa fünf Prozent leiden an einem Typ-1-Diabetes, weitere fünf Prozent entfallen auf verschiedene andere Diabetesformen.

Es gibt zahlreiche Tests zur Bestimmung einer Hyperglykämie. Zurzeit wird gemäß der WHO-Kriterien bei einer zufällig auffallenden Plasma-Glukose von 200 mg/dl mit diabetestypischen Symptomen, sowie ab einem HbA1c ≥ 6,5 Prozent oder einem Nüchternblutzucker von mindestens 126 mg/dl die Diagnose Diabetes gestellt. Jedoch werden mit den aufgeführten Tests nicht automatisch alle Diabetiker suffizient diagnostiziert [Cowie et al., 2010]. Des Weiteren weiß man inzwischen von einer kontinuierlich zunehmenden Anzahl von Personen mit einer Vor­stufe des Diabetes, dem Prädiabetes [IDF Diabetes Atlas, 2021]. Man geht davon aus, dass etwa zehn Prozent dieser Personen im Verlauf von einem Jahr einen manifesten Typ-2-Diabetes entwickeln [Group, 2002].

Diabetiker leiden bekannterweise häufig an Mikro- und Makroangiopathien. Außerdem kann der Diabetes mit vermehrt auftretenden Wundheilungs­störungen und einer kompromittierten Knochenheilung einhergehen. Diabetes mellitus gilt daher als relativer Risikofaktor für die zahnärztliche Rehabilitation mit Implantaten, wobei sich die zahnärztliche Implantatchirurgie in den vergangenen Jahren als komfortables Instrument der oralen Rehabilitation entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund haben die Deutsche Gesellschaft für Implantologie (DGI) und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) eine aktuelle S3-Leitlinie nach den Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erarbeitet.

Was hat sich beim Leitlinien-­Update verändert?

Für die aktualisierte Leitlinie konnten insgesamt 40 Titel der Primärliteratur und weitere 17 Titel der aggregierten Literatur berücksichtigt werden. Es wurde ein Kapitel zur Diagnostik mit entsprechenden, sich ableitenden Empfehlungen aufgenommen. Zudem wurde die Bedeutung der postoperativen Nachsorge sowie der interdiszi­plinären Zusammenarbeit hervorgehoben. Des Weiteren wurde ein Kapitel mit zwei zentralen Schlussfolgerungen neu hinzugefügt (siehe weiter unten).

Die Graduierung der Empfehlungen richtete sich nach der Evidenzstärke der zugrundeliegenden Literatur. Die Evidenzklassifikation kann dem Leitlinienreport der Leitlinie entnommen werden. Das Schema der Empfehlungsgraduierung beschreibt eine starke Empfehlung bei einer Empfehlungsformulierung mit „soll / soll nicht“ oder „wir empfehlen / empfehlen nicht“, einer Empfehlung bei Formulierungen mit „sollte / sollte nicht“ oder „wir schlagen vor / schlagen nicht vor“ sowie einer offenen Empfehlung bei Formulierungen mit „kann (erwogen werden) / kann verzichtet werden“.

Das Ziel der Leitlinie ist, eine Ent­scheidungshilfe zur kaufunktionellen Rehabilitation für oder gegen Zahnimplantate bei Patienten mit Diabetes mellitus zu geben. Dabei beginnt die adäquate Behandlung dieser Patientengruppe — wie so oft — bereits bei der Therapieplanung.

Anamnese bezüglich der Risikofaktoren

Die Leitlinie besagt, dass vor Behandlungsbeginn die Anamnese bezüglich aller Risikofaktoren inklusive des Dia­betes mellitus erhoben werden soll. Liegt ein Diabetes vor, sollte sich der Behandler vor Behandlungsbeginn über die Einstellung des Diabetes mellitus informieren. Diese sollte dem Zielkorridor nach der Nationalen Versorgungsleitlinie „Therapie des Typ-2-­Diabetes“ entsprechen. Dafür kann es hilfreich sein, mit den behandelnden Hausärzten, Allgemeinmedizinern oder Internisten Kontakt aufzunehmen, um ein gemeinsames Behandlungskonzept zu entwickeln. Unklar ist bei der vorliegenden, äußerst heterogenen Studienlage, ob die Güte der Blutzuckereinstellung einen unmittelbaren Einfluss auf den Erfolg der Implantattherapie zeigt. Intermediär erhöhte Blutzuckerwerte scheinen jedoch insgesamt keinen Einfluss auf das Implantatüberleben zu haben.

Es liegt nahe, dass die Erkrankungs­dauer des Diabetes mellitus zudem einen Einfluss auf den Erfolg der Implantattherapie haben könnte, darüber liegt jedoch bisher keine ausreichende Evidenz vor. Weitere Studien könnten diesen Aspekt in der Zukunft weiter erhellen.

Auch die allgemeine orale Gesundheit und besonders der parodontale Status müssen berücksichtigt werden. Die Leitlinie besagt hier, dass der Behandler bei Patienten mit Diabetes mellitus den parodontalen Gesundheitszustand bereits vor Behandlungsbeginn berücksichtigen soll. Bei Vorliegen einer parodontalen Erkrankung soll außerdem eine adäquate Parodontaltherapie entsprechend der Leitlinie „Die Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III“ erfolgen. Dies gilt grundsätzlich für alle Patientengruppen, ist aber für Patienten mit diabetischer Stoffwechsellage vor Implantatinsertion hervorzuheben.

Periimplantäre Infektionen nach Implantatinsertionen spielen gerade bei einem vorliegenden Diabetes eine relevante Rolle. Der unmittelbare Einfluss von Diabetes mellitus auf die Entstehung periimplantärer Infektionen ist aufgrund einer heterogenen Daten­lage zwar unklar, im zeitlichen Verlauf scheint jedoch das Risiko für peri­implantäre Infektionen anzusteigen. Die Leitlinie empfiehlt, dass Patienten mit einem Diabetes bereits vor Beginn der Therapie über die Möglichkeit der Entwicklung einer periimplantären Infektion aufgeklärt werden sollten.

Empfehlungen für die Therapie

Die Leitlinie gibt konsentierte Empfehlungen zum perioperativen Management bei Diabetikern. So sollte die perioperative Anwendung einer desinfizierenden Mundspülung erfolgen. Zudem wird die präoperative, prophylaktische Einmalgabe eines Antibiotikums empfohlen.

In der Literatur finden sich keine Hinweise darauf, dass Augmentationsverfahren wie guided bone regeneration und Sinuslift eine höhere Komplikations- und Fehlerrate bei Patienten mit gut eingestelltem Diabetes mellitus im Vergleich zu Patienten ohne Diabetes mellitus aufweisen.

Patienten mit einem schlecht eingestellten Diabetes mellitus scheinen eine verzögerte Osseointegration nach der Implantation aufzuweisen, deshalb sollte die Indikation für eine Sofort- und Frühbelastung insbesondere bei diesen Patienten besonders kritisch gestellt werden. Die Angaben zur Osseointegration bei Patienten mit einem gut eingestelltem Diabetes mellitus sind sehr heterogen. Nach einem Jahr scheint es jedoch keinen Unterschied in der Implantatstabilität zwischen Dia­betikern und gesunden Personen zu geben.

Insgesamt zeigen sich keine signifikanten Unterschiede der Überlebensraten in den ersten Jahren bei Patienten mit Diabetes mellitus im Vergleich zur gesunden Vergleichsgruppe. Im Langzeitverlauf scheint das Risiko für einen Implantatverlust jedoch weiterhin erhöht zu sein. Dementsprechend sollte eine risikoorientierte Nachsorge nach der Implantatinsertion erfolgen. Dazu gehört auch, dass der behandelnde Arzt oder Zahnarzt sich über den HbA1c-Wert des Patienten informiert und bei Bedarf weiter ärztlich abklären lässt.

Fazit

In Zusammenschau der vorhandenen Evidenz lässt sich schlussfolgern, dass die dentale Rehabilitation mit Zahnimplantaten bei Menschen mit intermediär erhöhten Blutzuckerwerten und Diabetes mellitus bei korrekter Indikationsstellung und einem risikoorientierten Vorgehen ein sicheres und vorhersagbares Verfahren ist.

In diesem Zusammenhang sollte Dia­betes mellitus als ein potenzieller Risikoindikator für eine verzögerte Osseointegration, für das Auftreten peri­implantärer Entzündungen und für ein geringeres langfristiges Im­plantatüberleben eingestuft werden und dies in der Patientenkommunikation, bei der Therapieentscheidung sowie bei der Nachsorge berücksichtigt werden.

Die Leitlinie ist auf der Webseite der DGZMK veröffentlicht: www.dgzmk.de/leitlinien.

Literatur

Abiko, Y., and D. Selimovic. 2010. 'The mechanism of protracted wound healing on oral mucosa in diabetes. Review', Bosn J Basic Med Sci, 10: 186-91.

Cowie, C. C., K. F. Rust, D. D. Byrd-Holt, E. W. Gregg, E. S. Ford, L. S. Geiss, K. E. Bainbridge, and J. E. Fradkin. 2010. 'Prevalence of diabetes and high risk for diabetes using A1C criteria in the U.S. population in 1988-2006', Diabetes Care, 33: 562-8.

Group, Diabetes Prevention Program Research. 2002. 'Reduction in the Incidence of Type 2 Diabetes with Lifestyle Intervention or Metformin', New England Journal of Medicine, 346: 393-403.

International Diabetes Federation. IDF Diabetes Atlas, 10th edn. Brussels, Belgium: International Diabetes Federation, 2021.

Khader, Y. S., A. S. Dauod, S. S. El-Qaderi, A. Alkafajei, and W. Q. Batayha. 2006. 'Periodontal status of diabetics compared with nondiabetics: a meta-analysis', J Diabetes Complications, 20: 59-68.

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