Zahnarzt erhält 18 Jahre nach Abrechnungsbetrug seine Approbation zurück
Der Kläger betrieb als approbierter Arzt, Zahnarzt und MKG-Facharzt ab 2001 eine Zahnarztpraxis. Zwischen September 2004 und März 2006 schädigte er nachweislich zwei Patienten beziehungsweise deren Krankenversicherungen finanziell, indem er ihnen vorsätzlich falsche und überhöhte privatärztliche Honorarrechnungen stellte. Dabei setzte der Angeklagte fast ausschließlich den Steigerungsfaktor 3,5 an, obwohl er wusste, dass die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Er rechnete auch Leistungen ab, die er nicht erbracht und nicht dokumentiert hatte. Insgesamt lag der Schaden bei mehr als 19.000 Euro. Die Patienten zahlten die Rechnungen größtenteils, bis ihnen Zweifel kamen.
Die Richter berücksichtigten zu seinen Gunsten, dass der Mann sich nicht eigennützig an dem Geld bereichert hat: Seine Praxis litt seit 2002 unter zurückgehenden Patientenzahlen und Ende 2006 meldete er Insolvenz an. Er hatte zu diesem Zeitpunkt Privatschulden in Höhe von 45.000 Euro und wohnte mietfrei in einem kleinen Zimmer in der Wohnung eines Freundes.
Der Strafprozess
Das Amtsgericht München verurteilte ihn 2010 wegen 15 Fällen des Betrugs sowie sechs Fällen des versuchten Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zur Bewährung. Dagegen legten sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein.
Am 25. März 2015 hob das Landgericht München I das Urteil des Amtsgerichts auf, sprach den Kläger des Betrugs in sechs Fällen und des versuchten Betrugs fünf Fällen schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 50 Euro. Zu seinen Lasten wurde neben dem wirtschaftlich hohen Schaden gewertet, dass er eine Patientin zur Behandlung überredet, sie durch übertriebene Darstellung der sonst drohenden Folgen in Angst versetzt und durch die lange und schwierige Behandlung physisch und psychisch sehr belastet und damit das Vertrauensverhältnis zu der Patientin grob missbraucht hat.
Approbationsentzug und Klage
Im Januar 2016 widerrief die Regierung von Oberbayern schließlich die ärztliche und die zahnärztliche Approbation des Klägers wegen Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs und wegen Unzuverlässigkeit. Nicht nur habe er das Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patientin grob missbraucht und damit das Vertrauen in eine patientengerechte Behandlung zerstört, sondern auch das Vertrauen, das die Öffentlichkeit dem ärztlichen Berufsstand generell entgegenbringe. Zudem fehle dem Kläger jegliches Unrechtsbewusstsein für seine begangenen Taten,.
Eine im Februar 2016 eingereichte Anfechtungsklage des Mannes wies das Verwaltungsgericht München im September 2018 ab. Das Verhalten des Klägers erfülle den Tatbestand der Unwürdigkeit, urteilte das Gericht. Gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der im Strafverfahren gewonnenen Feststellungen bestünden nicht. Man könne nicht davon ausgehen, dass der Kläger in den zehn Jahren zwischen der letzten Betrugstat und der Widerrufsentscheidung seine Würdigkeit wiedererlangt habe, da er seitdem vollständig unter dem Druck der gegen ihn geführten straf- und approbationsrechtlichen Verfahren gestanden habe. Der Reifung in diesem Zeitraum komme daher geringeres Gewicht zu.
Der Kampf um Rehabilitation
Gegen das im Oktober 2018 zugestellte Urteil der Anfechtungsklage beantragte der Zahnarzt Berufung, die der Münchner Verwaltungsgerichtshof (VGH) auch zuließ. Einen Vergleichsvorschlag der Gegenseite lehnte der Mann ab. Er kämpfe in erster Linie für seine Rehabilitation und sei nicht bereit, seine Klagen gegen den Widerruf seiner Approbationen zurückzunehmen, erklärte er im Berufungsverfahren. 18 Jahre lang habe er nur aushilfsweise praktiziert, vor allem im Ausland und in einem Umfang und einer Form, die schon eher als karitativ bezeichnet werden müsse. Er habe wie jeder andere ein Recht auf Resozialisierung und damit auch in gewisser Weise ein Recht auf Vergessen. Nach nunmehr 18 Jahren sollte ihm dieses Recht gewährt werden.
Trotzdem startete er parallel einen neuerlichen Antrag auf Wiederaufnahme des bereits abgeschlossenen Strafverfahrens, aber vergeblich: Das Amtsgericht lehnte den Antrag ab, das Landgericht verwarf eine diesbezügliche Beschwerde als unbegründet – und auch das anschließend von dem Zahnarzt angerufene Bundesverfassungsgericht nahm die eingereichte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.
Die Wiedererlangung der Würdigkeit
Vor dem Bayerischen VGH mit Sitz in München kam es dann zur Wende: Der Verwaltungsgerichtshof hob den Widerruf der Approbation am 3. Juli 2024 auf; er argumentierte, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt im Januar 2016 seine Berufswürdigkeit bereits wiedererlangt habe und der Widerruf somit rechtswidrig gewesen sei. Das Gericht erkannte zwar grundsätzlich an, dass der Abrechnungsbetrug geeignet gewesen sei, die Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs zu begründen. Allerdings müsse man für die Beurteilung der aktuellen Würdigkeit auch die seit den Verfehlungen verstrichene Zeit sowie das Verhalten des Klägers in diesem Zeitraum berücksichtigen. Dabei maß der Senat der ungewöhnlich langen Dauer des Strafverfahrens erhebliche Bedeutung im Reifeprozess des Klägers zu.
In dem langen Zeitraum zwischen der letzten Tathandlung und dem Bescheidserlass konnte der Kläger seinen ärztlichen Beruf aufgrund der besonders gelagerten Umstände ab Mitte 2007 nicht beziehungsweise nur noch in sehr geringem Umfang ausüben. Er musste Ende 2006 für seine Privatarztpraxis Insolvenz anmelden, im Sommer 2007 schließlich die Praxis schließen und hatte Schulden. Deswegen sei für ihn eine Niederlassung in eigener Privatpraxis nicht mehr möglich gewesen. Er habe sich erfolglos um Anstellung bemüht, Angebote aus dem Ausland aber nicht annehmen können, da er wegen der schwebenden Ermittlungen keine Unbedenklichkeitsbescheinigung („Certificate of Good Standing“) von der Regierung von Oberbayern erhalten habe. Daher habe er gelegentlich als Gastarzt bei Kollegen hospitiert. Insbesondere seit Erlass des Amtsgerichtsurteils hätten seine Kollegen ihn kaum noch beschäftigen wollen.
In dieser fast zehn Jahre andauernden intensiven Auseinandersetzung des Klägers mit seinen eigenen abgeurteilten Taten, die anstelle der Ausübung des Arztberufs einen wesentlichen Teil seiner Lebenszeit in Anspruch nahm, durchlief der Kläger nach der Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs einen inneren Reifeprozess und hat das erforderliche Ansehen und Vertrauen der Patienten in die Integrität der Ärzteschaft zurückerlangt.
Laut Gericht müssen dem Kläger die Approbationen auf seinen Antrag hin unmittelbar wieder erteilt werden, da eine zeitintensive Neubeantragung seiner Approbationen ihn unverhältnismäßig benachteiligen würde.
Eine Revision wurde nicht zugelassen.
Vorinstanz:
VG München
Az.: M 16 K 17.3200
Urteil vom 18.09.2018
VGH München
Az.: 21 B 24.513
Urteil vom 03.07.2024