In Zukunft barrierefrei
Gemeinsam lernen und leben - die Inklusion an den Schulen könnte auch für viele Arbeitgeber in Deutschland ein Vorbild sein. In der Realität haben es Menschen mit Behinderung aber oft noch schwer, einen passenden Job in der freien Wirtschaft zu finden.
Barrieren durch Berührungsängste
Berührungsängste im täglichen Umgang, aber auch mangelnde Kenntnisse über spezielle Stärken und Fähigkeiten behinderter Menschen und über Fördermöglichkeiten gehören zu den Hürden für Einstellungen. Die wachsende Fachkräftelücke könnte künftig helfen, solche Barrieren aus dem Weg zu räumen. Experten sind sich jedenfalls einig, dass beide Seiten von mehr Miteinander in der Arbeitswelt profitieren würden.
Diese Erfahrung hat etwa der Flughafen München gemacht. Das Unternehmen bietet über eine Kooperation mit der Lebenshilfe jungen Menschen mit geistiger Behinderung oder Lernbehinderung Praktika und Arbeitsplätze.
Eine Chance, mehr Menschlichkeit
Der Schwerbehindertenvertreter des Unternehmens, Jürgen Haupt, sieht darin einen Gewinn auch für die übrigen Mitarbeiter. Sie können Verantwortung bei der Einarbeitung und Begleitung ihrer neuen Kollegen übernehmen und erfahren dadurch eine Bereicherung ihrer eigenen Tätigkeit, sagt Haupt. An den jungen Leuten, die über die Kooperation ins Unternehmen kommen, schätzt er besonders die Freude, die sie über eigene Leistungen und Fortschritte empfinden. "Das ist eine Chance, mehr Menschlichkeit ins Arbeitsleben zu bringen", sagt Haupt.
Für sein Engagement ist der Flughafen im vergangenen Jahr mit dem Inklusionspreis des Unternehmensforums ausgezeichnet worden. In dem Netzwerk haben sich Firmen zusammengeschlossen, die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in der Wirtschaft voranbringen wollen. Zu den Mitgliedern gehören beispielsweise die Deutsche Bahn, Fraport, Galeria Kaufhof und der Energiekonzern RWE. Als Schwerpunkte haben sie sich unter anderem die Ausbildung schwerbehinderter Schulabgänger und die Bewältigung des demografischen Wandels auf die Fahne geschrieben.
Behinderungen: meist Folgen schwerer Erkrankungen
Denn klar ist: Mit dem steigenden Anteil Älterer in Deutschland wächst auch die Zahl schwerbehinderter Menschen. Ganz überwiegend sind Behinderungen nämlich Folgen schwerer Erkrankungen im Lebensverlauf. Der Trend spiegelt sich auch in den Arbeitsmarktdaten der Bundesagentur für Arbeit (BA) wider: Fast zwei Fünftel der Arbeitslosen mit einer Schwerbehinderung sind demnach 55 Jahre und älter - und haben es damit doppelt so schwer, eine Tätigkeit aufzunehmen.
Nach BA-Erhebungen werden Menschen mit Behinderung zwar nicht so häufig arbeitslos wie die übrigen Arbeitnehmer, finden aber auch schwerer wieder einen neuen Job und sind damit im Schnitt länger arbeitslos. Dabei ist der Fachkräfteanteil bei Arbeitslosen mit Handicap sogar etwas größer als bei nicht schwerbehinderten Arbeitslosen.
Mehr über rechtliche Bedingungen und Fördermöglichkeiten informieren
Aus Sicht des Deutschen Industrie- und Handelskammertags werden solche Potenziale angesichts des Fachkräfteengpasses künftig an Bedeutung gewinnen. "Ganz wichtig ist es deshalb, die Betriebe noch besser über rechtliche Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten in diesem Bereich zu informieren", sagt DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Hier setze etwa die Internetplattform "Inklusion gelingt!" der Spitzenverbände der Wirtschaft an.
Mit Blick auf die demografische Entwicklung werde es aber auch immer wichtiger, Mitarbeiter lange und gesund zu beschäftigen. "Präventionsmaßnahmen und Gesundheitsförderung gehören daher in den Betrieben vielerorts bereits zum Alltag", erklärt Dercks.
Immer wichtiger: Präventionsmaßnahmen und Gesundheitsförderung
Dennoch bleibt noch viel zu tun: So mussten von den gut 145.700 privaten und öffentlichen Arbeitgebern in Deutschland im Jahr 2012 fast 88.000 Ausgleichsabgaben zahlen, weil sie ihre Verpflichtungen zur Beschäftigung behinderter Menschen nicht erfüllten.
Schon gut bewährt habe sich die Inklusion beispielsweise in der Gastronomie und in Supermärkten, sagt eine Sprecherin von Aktion Mensch. In anderen Branchen geht es dagegen eher schleppend voran. Die Organisation hofft, dass auch dort Positivbeispiele aus der Praxis Schule machen. "Das Wichtigste aus unserer Sicht ist, die Barrieren in den Köpfen abzubauen", sagt die Sprecherin.
von Christine Schultze, dpa