Studie der Techniker Krankenkasse

"Kassen beeinflussen weiter Diagnosestellung der Ärzte"

mg/pm
Die Kassen nehmen - trotz des Verbots durch den Gesetzgeber - weiter Einfluss auf die Kodierung der Diagnosen ihrer Versicherten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK).

In der jetzt veröffentlichten Studie gaben 82 Prozent der befragten Mediziner an, schon einmal von einer Krankenkasse hinsichtlich der Diagnosestellung ihrer Versicherten beeinflusst worden zu sein. Auf Basis dieser Diagnosen erhalten die Krankenkassen Gelder aus dem Gesundheitsfonds. Und das, obwohl der Gesetzgeber die Einflussnahme der Kassen, das sogenannte "Upcoding", im April 2017 verboten hatte.

Die Studie zeigt jedoch, dass das entsprechende Gesetz bislang keine ausreichende Wirkung entfaltet: Schon in den ersten zwei Quartalen nach Inkrafttreten sind bereits wieder 18,2 Prozent der nun befragten Ärzte von Krankenkassen zu ihrer Diagnosestellung beraten worden, wobei fast die Hälfte von Ihnen erst nach dem Verbot überhaupt zum ersten Mal kontaktiert wurden. Hochgerechnet sei davon auszugehen, folgern die Studienautoren, dass allein im zweiten und dritten Quartal diesen Jahres bundesweit etwa 11.000 niedergelassene Ärzte mit dem Zweck angesprochen worden seien, die Diagnose zugunsten einer höheren Ausschüttung aus dem Gesundheitsfonds für die Krankenkasse zu beeinflussen.

Gesetzgeber kann softwaregestützte Beeinflussung nicht nachverfolgen

"Durch dieses System wird es für Krankenkassen lukrativ, darauf Einfluss zu nehmen, dass ihre Versicherten bestimmte Diagnosen zugeschrieben bekommen. Für die Beratung der Ärzte zu dieser Kodierung geben sie Geld aus, das stattdessen in die Versorgung der Versicherten fließen sollte", sagt Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. Laut Experten investierte die Branche für diese Manipulationen von 2014 bis 2016 rund eine Milliarde Euro - eine Investition, die bei besonders erfolgreichen Kassen zu Überschüssen führt, die wieder in Marketingmaßnahmen, attraktive Zusatzleistungen oder Versicherten-Boni reinvestiert werden können. 

"Der Wettbewerb der Krankenkassen sollte über gute Leistungen und guten Service funktionieren und nicht über das Beeinflussen von Arztdiagnosen", sagt der TK-Chef und moniert, die derzeitigen Regelungen gingen noch nicht weit genug. So sehen es auch die Studienautoren: dass vor allem die Beeinflussung der Kassen mittels softwaregestützte Kodierberatung relativ stark an Bedeutung gewonnen habe, stelle den Gesetzgeber vor eine große Herausforderung, da dieser zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage sei, "darüber vollzogene Manipulationen nachzuverfolgen."

Kassen nahmen allein in zwei Quartalen zu 11.000 Ärzten Kontakt auf

In absoluten Zahlen am häufigsten nutzen die Kassen zur Beeinflussung jedoch nach wie vor ein persönliches Gespräch, auch "Kodierberatung" genannt. In etwa einem drittel der Fälle bezogen sich diese Hinweise auf das gesamte Krankheitsspektrum, in den übrigen Fällen vor allem auf Krankheiten des Kreislaufsystems, Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten sowie Erkrankungen des Atmungssystems.

Ein Sondergutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesversicherungsamts kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es Manipulationen gibt. "Das Gutachten bietet aber keine Vorschläge an, um die Manipulationen zu unterbinden", erklärt Baas. "Im Gegenteil: Nach den Empfehlungen des Beirats würden die bestehenden Anreize sogar noch weiter verstärkt."

Der Beirat unter dem Vorsitz von Professor Dr. Jürgen Wasem empfiehlt ein sogenanntes Vollmodell. Das heißt: Bislang sind es 80 Krankheiten, für die die Krankenkassen einen besonderen Zuschuss erhalten und die daher auch für die Diagnosebeeinflussung besonders interessant sind. Das Vollmodell soll stattdessen alle Krankheiten berücksichtigen und finanziell ausgleichen. Das öffnet nach Ansicht der TK letztlich Tür und Tor für weitere, sogar noch stärkere Einflussnahmen. Die Kassen hätten dann bei jeder Erkrankung Interesse daran, auf die Kodierung der Diagnosen Einfluss zu nehmen, so die Argumentation. Darum wäre das System anschließend sehr viel anfälliger für Manipulationen als heute. Baas: "Ein Vollmodell würde die Manipulationsanfälligkeit des Morbi-RSA-Systems weiter erhöhen. Damit würden wir den Weg in die völlig falsche Richtung weitergehen - mit katastrophalen Folgen für das gesamte GKV-System."

Für die Analyse wurden 1.000 Allgemeinmediziner im Zeitraum von 31.8. bis 20.10.2017 befragt, die an der Versorgung von GKV-Patienten teilnehmen. Die Befragung erfolgte anonym und onlinebasiert und wurde durch das Dienstleistungsunternehmen DocCheck Medical Services GmbH durchgeführt. Den Link zur Studie finden Siehier.

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