Kind und Karriere bleiben für Ärztinnen schwer vereinbar
Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Universitätsklinikums der Ruhr-Universität Bochum, die von November 2021 bis Februar 2022 insgesamt 2.060 Ärztinnen und Ärzten aller Karrierestufen (assistenz-, fach- und oberärztliche Position) in Deutschland online befragt hatte, die Mitglied einer klinischen Berufsgenossenschaft waren. Dabei machten die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer Angaben zu ihren Erfahrungen und Einstellungen in verschiedenen Abschnitten der Lebens- und Karriereplanung sowie zu alternativen Arbeits- und Elternzeitmodellen.
Insgesamt 69 Prozent der Probanden waren Frauen, zwei Drittel hatten Kinder. 88 Prozent der weiblichen und 75 Prozent der männlichen Fachärzte hatten bereits Elternzeit genommen, bei den Oberärzten waren es 31 Prozent der Männer und 42 Prozent der Frauen. Auf Chefarztebene gingen 20 Prozent der Männer und 64 Prozent der Frauen in Elternzeit.
Frauen arbeiten öfter Teilzeit und gehen länger in Elternzeit
Die Dauer der Elternzeit betrug in der Gruppe der männlichen Assistenzärzte bei 37 Prozent 1–2 Monate, bei 47 Prozent 3–6 Monate, während 92 Prozent der weiblichen Assistenzärzte mindestens 7 Monate in Anspruch nahmen. Eine ähnliche Diskrepanz zeigte sich bei den Fachärzten (73 Prozent der Männer nahmen gleichermaßen 1-2 und 3-6 Monate Elternzeit; 90 Prozent der Frauen mindestens 7 Monate) und Oberärzten (Männer: 68 Prozent für 1-2 und 3-6 Monate gleichermaßen; Frauen: 72 Prozent für mindestens 7 Monate).
Die Mehrheit der Befragten arbeitete Vollzeit. In Teilzeit waren 32 Prozent der weiblichen und nur 7,5 Prozent der männlichen Assistenzärzte beschäftigt. Bei den Oberärzten waren es 42 Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer. Bei den Chefärzten hatten 47 Prozent der Frauen während ihrer Karriere Teilzeit gearbeitet und 17 Prozent der Männer. Der häufigste Grund für eine Teilzeitbeschäftigung war bei beiden Geschlechtern die Kinderbetreuung (Männer: 67 Prozent; Frauen: 90 Prozent).
Hausarbeit bleibt Ärztinnensache
Die Hälfte der männlichen Assistenzärzte gab an, dass die häuslichen und familiären Pflichten gleichmäßig verteilt seien, 49 Prozent berichteten, dass die Hauptverantwortung bei ihrer Partnerin liege. Von den männlichen Oberärzten wiesen 75 Prozent ihrer Partnerin die Hauptverantwortung für familiäre Pflichten zu, wohingegen nur 18 Prozent der weiblichen Chefärzte meinten, von ihrem Partner dabei unterstützt zu werden.
Viele Kinderlose berichteten, dass sie das Gefühl hätten, sich zwischen Kindern und Beruf entscheiden zu müssen. 55 Prozent der weiblichen Assistenzärzte, Fachärzte und Belegärzte gaben an, durch die Inanspruchnahme der Elternzeit berufliche Einbußen erlitten zu haben, während die meisten Männer (54 Prozent) diese Erfahrung nicht teilten. 92 Prozent aller Befragten stimmten der Aussage zu, dass sich die Karrierechancen von Männern und Frauen unterscheiden. Job-Sharing-Modelle halten durchschnittlich 56 Prozent aller medizinischen Führungskräfte für machbar, und zwar auf allen Hierarchieebenen.
Männer in Eltern- und Teilzeitarbeit befürchten keine schlechteren Karrierechancen
„Fast alle Ärztinnen und Ärzte empfinden die Berufschancen von Frauen und Männern sowohl während als auch nach der Ausbildung als ungleich. Gender Mainstreaming bleibt daher ein zentrales Thema“, schreiben die Forschenden. Insbesondere Frauen richteten ihre Familienplanung nach Karriereschritten aus, was auf eine Beeinträchtigung der Karrierechancen durch die Elternzeit während der Facharztausbildung hindeutet oder sogar den Eindruck erwecke, sie müssten sich zwischen Kind und Beruf entscheiden.
Diesen Problemen könne neben dem Ausbau der betrieblichen Kinderbetreuung nur durch neue Arbeits- und Elternzeitmodelle begegnet werden. „Wir konnten zeigen, dass neben den Frauen auch die Mehrzahl der Männer Elternzeit in Anspruch nimmt. Im Gegensatz dazu befürchten oder sehen sie keine langfristigen Auswirkungen auf die Karrierechancen." Zugleich unterstützten viele leitende Ärzte als Koordinatoren der postgradualen medizinischen Ausbildung Männer und Frauen gleichermaßen in Bezug auf Elternzeit und Teilzeitarbeit. Dies deute darauf hin, dass sich das Arbeitsumfeld bereits erheblich verändert.
Elternschaft und die Inanspruchnahme von Elternzeit und Teilzeitarbeit scheinen daher einen erheblichen Einfluss auf die Karrierewege der Befragten zu haben, bilanzieren die Autorinnen und Autoren. „Innovative Arbeits- und Elternzeitmodelle sind ein wesentlicher Schlüssel, um die Rahmenbedingungen für die ärztliche Karriere von Frauen und Männern anzugleichen“, bekräftigtProf. Dr. Elena Enax-Krumova von der Neurologischen Klinik am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil. „Wesentliche Gründe für die unterschiedlich wahrgenommenen Karrierechancen scheinen in der multifaktoriellen Belastung von berufstägigen Frauen zu liegen, aber auch in der zumeist längeren beruflichen Abwesenheit von Frauen durch die genommene Elternzeit mit anschließender Teilzeittätigkeit.“
Stella Oberberg et al.: Career and Life Planning in the Context of the Postgraduate Medical Training – Current Challenges and Opportunities, in: GMS Journal for Medical Education, 2024, DOI: 10.3205/zma001660, https://dx.doi.org/10.3205/zma001660