Krebsgene kapern sich Verstärkung
Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) fanden nun mit internationalen Kollegen heraus, dass bei einer besonders bösartigen Gruppe der Medulloblastome die Krebsgene meist nicht verändert sind, sondern stärker oder schwächer abgelesen werden. Verantwortlich dafür sind bislang unbekannte Steuermechanismen: So kapert sich ein Krebsgen fremde Verstärker.
Medulloblastome sind die häufigsten Hirntumoren bei Kindern. Sie werden in vier Gruppen eingeteilt, die sich in der Aggressivität der Erkrankung stark unterscheiden. Besonders häufig treten die sehr schwierig zu behandelnden Tumoren der Gruppen 3 und 4 auf.
Keine medikamentöse Schlagkraft gegen die Tumoren
„Gerade bei diesen beiden Tumorgruppen waren bisher kaum charakteristische Erbgutveränderungen bekannt, die das Tumorwachstum antreiben und sich als Zielstruktur für die Entwicklung Medikamenten eignen“, sagt Prof. Dr. Peter Lichter aus dem DKFZ.
Dr. Paul Northcott und die Kollegen nahmen 137 Fälle der aggressiveren Gruppe 3- und 4-Medulloblastome unter die Lupe und kamen dabei einem bisher bei Hirntumoren noch nie beobachteten Phänomen auf die Spur. In vielen Tumorgenomen sind große DNA-Bereiche verloren gegangen, verdoppelt oder in ihrer Richtung verkehrt.
Bei all diesen Tumoren hatten diese strukturellen Defekte trotz ihrer Verschiedenartigkeit eine identische Konsequenz: Eines der beiden Krebsgene GFI1 oder GFI1B, die im gesunden Gehirngewebe nicht aktiv sind, wird in diesen Tumoren abgelesen und trägt damit zur Krebsentstehung bei.
Das Krebsgen wird verschoben und aktiviert
Die Forscher entdeckten auch die Ursache des seltsamen Phänomens: Die verschiedenartigen Strukturveränderungen „verschoben“ das Krebsgen aus seiner angestammten, inaktiven Umgebung im Erbgut in die Nähe sogenannter Verstärkerelemente (Enhancer), die zur Aktivierung von Genen beitragen.
„Es ist gut möglich, dass gekaperte Enhancer als Aktivierungsmechanismen auch bei vielen anderen Krebsarten eine Rolle spielen. Sie sind jedoch nur durch extrem sorgfältige Analyse des Erbguts zu entdecken und deshalb leicht zu übersehen“, sagt Prof. Dr. Stefan Pfister, Molekulargenetiker am DKFZ und zugleich Kinderarzt am Universitätsklinikum Heidelberg.
Die Forscher freuen sich besonders, dass ihre Arbeit direkt dazu beitragen kann, Kinder mit Hirntumoren besser zu behandeln: Substanzen, die die Wirkungsweise der Krebsgene GFI1 und GFI1B blockieren, werden bereits präklinisch erprobt und könnten nun auch das Wachstum der aggressiven Gruppe 3- und 4-Medulloblastome aufhalten.
Das zweite Team konzentrierte seine Untersuchungen auf die „epigenetische“ Steuerung der Genaktivität durch chemische Markierungen des Erbguts. Auch veränderte Methylgruppen innerhalb der Gene selbst haben demnach besondere Bedeutung für deren Aktivierung. Zahlreiche Gene der Tumorzellen wiesen im Vergleich mit ihren gesunden Pendants einen auffälligen Mangel an Methylgruppen auf. Gleichzeitig wurden sie deutlich häufiger abgelesen als in gesunden Zellen - ein sicheres Zeichen dafür, dass das Fehlen der Methylgruppen sich auch tatsächlich funktionell auswirkt.
eine molekulare Schwachstelle der Tumoren
Lichter: „Die Ergebnisse zeigen die außerordentliche Bedeutung der epigenetischen Genregulation beim Medulloblastom, die auch bekannte Krebsgene einschließt. Außerdem haben wir mit den Krebsgenen GFI1 oder GFI1B eine Achillesferse der besonders gefährlichen Medulloblastome entdeckt. Damit kennen wir zum ersten Mal eine molekulare Schwachstelle der Tumoren, gegen die zielgerichtete Medikamente entwickelt werden können.“
Volker Hovestadt, David T. W. Jones, …, Bernhard Radlwimmer, Stefan M. Pfister und Peter Lichter im Auftrag des ICGC PedBrain Tumor Project: Decoding the regulatory landscape of medulloblastoma using DNA methylation sequencing. Nature 2014, DOI: 10.1038/nature13268
Paul A Northcott, Catherine Lee, Thomas Zichner, …, Peter Lichter, Jan O Korbel, Robert J Wechsler-Reya und Stefan M Pfister im Auftrag des ICGC PedBrain Tumor Project: Enhancer hijacking activates GFI1 family oncogenes in medulloblastoma. Nature 2014, DOI:10.1038/nature13379