Lauterbach: Kita-Schließungen in der Pandemie waren unnötig
Kitas seien keine Infektionsherde gewesen, deshalb müsse man mit Wissesstand von heute feststellen, dass die Kita-Schließungen zu Beginn der Pandemie nicht notwendig gewesen seien, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gestern bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Die Studie wurde von ihm gemeinsam mit Bundesjugendministerin Lisa Paus (Grüne) präsentiert.
Die Pandemie hat laut der Studie dazu beigetragen, soziale Ungleichheiten in Deutschland zu verstärken, denn sozial benachteiligte Kinder waren besonders oft von negativen Folgen wie Infektionen und Kita-Schließungen betroffen und müssten jetzt stärker gefördert werden als Kinder aus nicht benachteiligten Familien. Es werde keine Schließungen dieser Art mehr geben, erklärte Lauterbach. Er halte aber nichts von Schuldzuweisungen. Es lägen jetzt neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor und es gelte jetzt, nach vorne zu schauen.
Besonders sozial benachteiligte Kinder sind stark betroffen
Bundesjugendministerin Lisa Paus erklärte, dass Kinder in der Pandemie bereits erheblich gelitten hätten - oft weniger am Virus selbst als an den Folgen der Eindämmungsmaßnahmen. Paus: „Besonders erschreckt mich, dass ausgerechnet sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche besonders stark betroffen sind und so viele Kinder und Jugendliche psychische Belastungen zeigen. Gerade die Kinder, die am dringendsten Zugang zu früher Bildung und Förderung benötigen, unterlagen oft den stärksten Einschränkungen. In Zukunft muss das Kindeswohl unbedingt an oberster Stelle stehen.“
Die über 130 Seiten starke Corona-Kita-Studie des Robert Koch-Instituts und des Deutschen Jugendinstituts ging der Frage nach, welche Rolle Kita-Kinder im Infektionsgeschehen spielen und welche Folgen die Pandemie für Kinder, Familien und Kitas hat. Die Studie nahm im Mai 2020 ihre Arbeit auf.
Der Förderbedarf ist gestiegen
Die jüngste Kita-Befragung vom Frühjahr 2022 zeigte: Es gibt grundsätzlich gestiegene Förderbedarfe bei der sprachlichen, motorischen und sozial-emotionalen Entwicklung. In Kitas mit höheren Anteilen von Kindern aus sozial benachteiligten Familien stieg der Bedarf um 40 Prozent. In Kitas mit wenigen Kindern aus sozial benachteiligten Familien besteht dagegen bei rund 20 Prozent ein pandemiebedingter Förderbedarf.
Die Studie zeigt auch, dass die konsequente Umsetzung bestimmter Schutz- und Hygienemaßnahmen - wie das Tragen von Masken oder die Unterteilung in kleine Gruppen - mehr Sicherheit schaffen könne. Allerdings seien die Maßnahmen zum Teil sehr personalintensiv und könnten die pädagogische Arbeit einschränken, heißt es weiter. Deshalb sei eine sorgfältige Abwägung ratsam. Mit guten Hygiene- und Schutzkonzepten könnten Kitas auch in der Pandemie sicher betrieben werden.
Die zentralen Ergebnisse der Studie
Erkrankungsrisiko der Kinder:Kinder im Alter bis 5 Jahren waren in den ersten 2,5 Jahren der Pandemie weniger von COVID 19-Infektionen betroffen als andere Altersgruppen. Infizierte Kinder hatten meist wenige oder keine Symptome, insbesondere konnten keine Corona-spezifischen Symptommuster identifiziert werden. Kinder zeigten auch seltener schwere Krankheitsverläufe als Personen anderer Altersgruppen. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 für Kinder geht nur selten mit einer besonderen Krankheitslast oder gar langfristigen Folgen einher..
Rolle von Hygienemaßnahmen:Die umfangreichen Schutz- und Hygienemaßnahmen in der Kita sorgten dafür, das Risiko, sich als Kontaktperson in der Kita anzustecken, deutlich niedriger zu halten als in privaten Haushalten. Die erfolgreiche Implementierung der Maßnahmen reduzierten das Übertragungsrisiko in relevantem Umfang. Die Befunde der Studie zeigen auch, dass gerade in Phasen oder Regionen mit einem sehr dynamischen Infektionsgeschehen die konsequente Umsetzung der Maßnahmen Übertragungsmöglichkeiten reduzieren kann.
Angebot und Nutzung frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung:Die Studie verweist auf deutlich eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten für Kinder während der Pandemie. Insbesondere die drei Kita-Schließungsphasen (Mitte März bis Sommer 2020 im Rahmen des ersten Lockdowns, Mitte Dezember 2020 bis Anfang März 2021 im Rahmen des zweiten Lockdowns und Ende März bis Ende Mai 2021 im Rahmen der bundesweiten Notbremse während der dritten Welle) führten zu mehrmonatigen Ausfällen in der Nutzung von Bildungsgelegenheiten für viele Kita-Kinder. Dabei spielten neben dem Wegfall der Routinen, Sozialkontakte und Anregungsangebote auch deren Unstetigkeit, innerfamiliäre Veränderungen und die damit einhergehende Unsicherheit eine wichtige Rolle.
Herausforderungen für die Betreuung:Für mehr Belastung der Kita-Betreuung trugen vor allem die mit den Schutz- und Hygienemaßnahmen verbundenen Mehrarbeiten und Restriktionen sowie die hohe Fluktuation anwesender Kinder und verfügbaren Personals bei. Zudem erschwerten Konflikte mit Eltern und teilweise in den Teams die Arbeit.
Erfolgreiche Verhaltensänderung:Ein sehr hoher Anteil an Einrichtungen hat laut Studie berichtet, dass alltägliche Maßnahmen wie das Lüften, das Desinfizieren von Oberflächen oder das Händewaschen vollständig und durchweg umgesetzt wurden. Gerade das gründliche und richtige Händewaschen ist auch in den Familien mit sehr kleinen Kindern ausführlich und erfolgreich eingeübt worden. Auch wenn das SARS-CoV-2-Virus vorrangig über die Atemluft übertragen wird, zeigt sich, dass eine nachhaltige Verhaltensänderung auch im Bereich Händehygiene möglich ist. Das kann dazu beitragen, endemisch auftretende Erreger oder zukünftige Infektionslagen – gegebenefalls auch verursacht durch andere Erreger (wie etwa Windpocken, Influenza) – besser oder schneller unter Kontrolle zu bekommen.
Die Studie kombiniert Bildungs- und Sozialwissenschaften, epidemiologische Feldarbeit und Surveillance sowie Laboruntersuchungen. Mehr als 5000 Kitas meldeten für die Studie wöchentlich die Corona-Infektionen. Dazu gab es Befragungen der Kita-Leitungen, der Kinder und Eltern und auch Untersuchungen vor Ort.